Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug

Bundesregierung wartet auf Richterhammer

Recht hin, Recht her – die Bundesregierung wird den Ehegattennachzug bei türkischen Staatsbürgern so lange von Sprachkenntnissen abhängig machen, bis ein Richterspruch sie zum Umlenken zwingt.

Wenn Menschen gegen Gesetze verstoßen oder Verträge nicht einhalten, müssen sie mit Sanktionen rechnen. Entweder bittet die Staatsanwaltschaft zur Kasse oder der Vertragspartner macht Schadensersatz geltend. Das ist auch richtig so. Schließlich müssen Gesetze befolgt und Verträge eingehalten werden.

Das gilt aber nicht für Politiker, wenn sie hoheitlich tätig werden. Sie haben in aller Regel weder Geldbußen noch Schadensersatz zu befürchten. Und wird im Einzelfalle der Staat zur Zahlung verpflichtet, wird das aus Steuergeldern beglichen. Die verantwortlichen Politiker bekommen ihre Gehälter weitergezahlt – ebenfalls von Steuergeldern finanziert. Narrenfreiheit nennt man so etwas im Volksmund.

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Warten auf den Richterspruch
Das Treiben geht dann so lange, bis ein Bundes- oder Europarichter kommt und dem Ganzen ein Ende setzt. Und genau darauf scheinen derzeit auch Regierungspolitiker zu warten. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion erklärt sie ungeniert, dass sie so lange am Spracherfordernis vor dem Ehegattennachzug für türkische Staatsbürger festhalten will, so lange es „es keine gegenteilige Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Bundes, des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gibt.“

Im Volksmund bezeichnet so etwas wiederum als „stur“. Denn im Fall der Sprachanforderungen ist die Rechtslage so weit geklärt, dass selbst die für ihre strenge Ausländerpolitik bekannte Niederlande kürzlich die Notbremse ziehen und türkische Ehegatten vom Sprach- und Integrationstest ausnehmen musste. Die Niederlande hat damit auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und auf eine Stellungnahme der EU-Kommission reagiert.

Aus dem Weg gehen
In Deutschland kommt ein erdrückendes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hinzu, das ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass neben weiteren Vorschriften die Regelungen zu den Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug auf türkische Staatsbürger nicht anwendbar sind. Das interessiert die Bundesregierung aber nicht: „Dieser Dissens bietet keinen Anlass zur regelmäßigen Führung eines juristischen Fachdisputs“, heißt es in der Antwort lapidar. Damit geht sie einer inhaltlichen Auseinandersetzung – wenn auch ungestüm – aus dem Weg.

In einer mündlichen Frage der Linkspolitikerin Sevim Dağdelen zur jüngsten Stellungnahme der EU-Kommission teilt sie außerdem mit, dass die Bundesregierung auch hieraus keine Schlussfolgerungen zieht. „Meinungsverschiedenheiten zwischen Kommission und Bundesregierung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union“ seien „nichts Ungewöhnliches“.

Dabei hatte die EU-Kommission den Rahmen des sogenannten Verschlechterungsverbots im Assoziationsabkommen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit der Türkei klar definiert und deutlich gemacht, dass darunter auch solche Regelungen fallen, die den Ehegattennachzug von Sprachanforderungen abhängig machen.

Kein gutes Bild
Nun möchte die Linkspolitikerin Dağdelen wissen, ob die Bundesregierung wenigstens aus dem Einlenken der Niederländer irgendwelche Konsequenzen ziehen wird. Die Antwort dürfte in Kürze vorliegen. Spannung kommt aber längst nicht mehr auf. Denn auch diesmal dürfte die Antwort lauten, dass sich nichts ändern wird. So lange nicht, bis die Bundesregierung per Richterhammer zur Einhaltung des Assoziationsabkommens gezwungen wird.

Recht hin, Recht her – ein gutes Bild gibt die Bundesregierung damit jedenfalls nicht ab und disqualifiziert sich selbst. Insbesondere deshalb, weil sie von Zuwanderern gebetsmühlenartig die Einhaltung von Recht und Gesetz einfordert, mit ihnen Integrationsverträge abschließt, sich selbst aber zu nichts verpflichtet fühlt. (bk)