Filiz’ Kolumne

Wahlrecht? – Nicht für alle!

Wieso EU-Ausländer schon nach wenigen Monaten bei Kommunalwahlen stimmberechtigt sind und andere selbst nach 50 Jahren nicht – Filiz Polat in ihrer neuesten MiGAZIN-Kolumne über die Gründe und was sie dabei besonders ärgert.

Mein Vater lebt wie viele andere türkische Immigranten der 60er seit 50 Jahren in Deutschland – ein halbes Jahrhundert. Seit 50 Jahren ist ihm aber das Recht verwehrt, ein Parlament in Deutschland zu wählen.

Während dieser Zeit kamen viele verschiedene Zuwanderergruppen nach Deutschland – die Russlanddeutschen und die Zuwanderer der verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. So selbstverständlich es für Deutschland war, dass die Russlanddeutschen als Deutsche nach dem wilhelminischen Blutsrecht die vollen BürgerInnenrecht erhielten und damit das aktive und passive Wahlrecht, so selbstverständlich war es, dass kommunale Wahlrecht für BürgerInnen der EU einzuführen.

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Man änderte sogar das Grundgesetz dafür. So kann eine Bulgarin, die seit ein paar Monaten in einer Stadt ihren Wohnsitz hat, nicht nur an den Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben, sondern sich sogar selber wählen, wenn sie sich für eine Kandidatur hat aufstellen lassen.

Die Kritik ist daher groß und der Protest insbesondere der Zuwanderer außerhalb der Europäischen Union, die seit mehreren Jahrzehnten in unseren Kommunen wohnen, leben und arbeiten, berechtigt, wenn ihnen dieses Wahlrecht verwehrt bleibt. Jetzt mögen sich viele Fragen, warum dies so ist, zumal Mensch von Seiten der PolitikerInnen tagtäglich immer wieder zu hören und lesen bekommt, dass die Zuwanderer ein Teil dieser Gesellschaft sind und diese auch bereichern.

Die Antwort ist ganz einfach. Seit Jahrzehnten blockieren zwei Parteien – die CDU und die CSU – im Deutschen Bundestag die wichtige gesetzliche Änderung für Zuwanderer für eine echte gesellschaftliche Teilhabe. Denn für das so genannte kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige benötigt man eine Grundgesetzänderung. Daraus ergibt sich eine notwendige Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag, die wie beschrieben, bisher an CDU und CSU scheiterte. Alle anderen Parteien im Bundestag sprechen sich seit Jahren für das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige aus.

Deshalb ärgert es mich besonders, wenn ich Reden unserer CDU-KollegInnen zur Integrationspolitik höre, in denen immer wieder betont wird, wie sehr man doch die Zuwanderer schätze und sie ja sogar brauche. Wenn es aber um ihre grundlegenden Rechte geht wie beispielsweise das Wahlrecht, aber auch die Doppelte Staatsangehörigkeit oder auch die Visumsfreiheit – ist die Grenze der Toleranz bei den Christdemokraten erreicht. Christdemokratische Integrationspolitik endet regelmäßig dort, wo es darum geht Zuwanderern Rechte an die Hand zu geben, die andere schon längst besitzen.

Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle darauf hinwiesen, dass Deutschland in diesem Bereich internationales Schlusslicht ist. In über 16 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist es eine Selbstverständlichkeit, dass neben den EU-BürgerInnen alle anderen Zuwanderergruppen das kommunale Wahlrecht erhalten.

So bleibt am Ende zumindest für dieses Jahr festzuhalten, dass in Niedersachsen etwa 280.000 Zuwanderer am 11. September das Recht verwehrt bleibt, ihren Rat oder gegebenenfalls ihre/n BürgermeisterIn oder Landrat/Landrätin mit zu wählen. Mein Vater wird am Ende mir seine Stimme nicht geben können, obwohl er sich seit 50 Jahren für seine Stadt engagiert.