Ali konkret

Warum Migranten nicht zwangsläufig Migrantenpolitik machen sollten

Mit Aygül Özkan und Bilkay Öney dient die zweite türkischstämmige Ministerin in einem Bundesland an, aus der Ausnahme langsam aber sicher ein Stückchen Normalität in diesem Land zu machen.

Seit der Ernennung von Aygül Özkan (CDU) zur ersten Landesministerin mit türkischen Wurzeln in Niedersachsen sind mehrere Landtagswahlen vergangen und nach dem grün-roten Sieg im ehemals tiefschwarzen Baden-Württemberg dient sich mit der ehemaligen grünen, jetzt roten, Integrationsministerin Bilkay Öney aus Berlin die zweite türkischstämmige Ministerin in einem Bundesland an, aus der Ausnahme langsam aber sicher ein Stückchen Normalität in diesem Land zu machen.

Sowohl Özkan, als auch Öney verbindet neben der Parallele „Herkunft“ in ihren Biografien noch ein weiteres Merkmal: sie sind auch für das sehr breite Feld der Integrationspolitik, bei Özkan unter anderem neben Soziales, zuständig. In diesem Moment macht es bei nicht wenigen Menschen unbewusst „Klick!“ im Kopf, ist doch klar, Migrantinnen machen Migrantenpolitik, denn darin kennen sie sich doch am besten aus, denn sie sind ja irgendwie auch selbst betroffen. Dieser Analogieschluss wirkt auf den ersten Blick verständlich, darf aber nicht zwangsläufig zu einem automatischen Gedanken für künftige Ministerpostenbesetzungen werden. Zum anderen sagt der Migrationshintergrund noch lange nichts über die fachliche Qualifikation der jeweiligen Person aus.

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So kommt Frau Özkan tatsächlich aus der Wirtschaft, wo sie unter anderem beim niederländischen Postunternehmen TNT als Managerin tätig war, welches nicht gerade für vorbildliche Mitarbeiterentlohnung bekannt ist. Aber warum hat man sie nicht gleich zur Wirtschaftsministerin gemacht? Die FDP hätte doch bestimmt kein Problem damit gehabt, außerdem wäre man auch ganz elegant der Denkfalle „Migranten machen Migrantenpolitik – MmM“ entgangen.

Auch Frau Öney hätte durchaus Innenpolitik gekonnt, was sie in Berlin zumindest thematisch mit betreut hat, doch Parteifreund und Fraktionschef Nils Schmid fand sie dann so dufte, dass er sie sogleich zur neuen Integrationsministerin machte. Die baden-württembergische CDU forderte deshalb vorsorglich schon mal den Rücktritt von Frau Öney, denn schließlich sei das „Ländle“ nicht Berlin-Kreuzberg. Mag sein, dass das geografisch richtig ist, aber das Migrantenparadies auf Erden ist Baden-Württemberg deshalb noch lange nicht.

Ob Öney die richtige Wahl war, wird sich noch zeigen müssen, denn „Wikipedia“ vermerkt zu ihrem biographischen Eintrag neben einigen Grunddaten lediglich, dass sie für das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst sei. Mit dieser populären Idee ist sie zumindest bei ihren Parteifreunden ganz auf Linie, im Gegensatz zu Özkan, die mit ihrer Forderung nach einem Kruzifixverbot in Niedersachsen fast politisch gesteinigt worden wäre.

Die ersten Statements Öneys deuten bereits an, dass sie sich noch einige Zeit in die Materie einarbeiten muss. So war jüngst in den „Deutsch-Türkischen Nachrichten“ folgende denkwürdige Aussage zum Thema „Migranten und Bildung“ zu lesen: „In Deutschland kann es jeder schaffen, wenn er oder sie will. Dafür gibt es viele gute Beispiele in allen Bereichen. Wir haben hier den Luxus, für möglichst wenig Geld eine gute Schulbildung zu bekommen. Wir leben in sicheren Verhältnissen. Ich weiß nicht, ob das den Menschen bewusst ist, aber wir haben hier wirklich sehr gute und sehr sichere Lebensbedingungen: Hier gibt es keine Erdbeben, keine Kriege, keine Hungersnöte. Ich sage das jetzt so zugespitzt, um allen klar zu machen, in welch glücklicher Situation wir uns befinden. (…)“

Mag zwar sein, dass wir seit dem Ende der Kaiserzeit kein Schulgeld in Deutschland mehr haben, doch dass unzählige Studien wie PISA und Co. dem deutschen Bildungssystem bis heute noch einen hohen Grad an Diskriminierung bescheinigen, von der gerade auch Migrantenkinder in besonderem Maße betroffen sind, ist Standard jeder Erstsemestervorlesung für Lehramtsstudierende.

Natürlich bin ich auch dafür dankbar, dass bei uns nicht um die Ecke geballert wird und dass wir sauberes Trinkwasser haben, da bin ich bescheiden.

Aber: Guter Wille und gute Noten helfen oftmals noch lange nicht, oder wie sonst ist die hohe Quote von potenziellen Abwanderungsabsichten von jungen und ausgebildeten türkischstämmigen Akademikern in die Heimat ihrer Eltern zu erklären?

So easy going mit dem Bildungsaufstieg von Migranten läuft das dann doch nicht. Da erwarten wir von einer Integrationsministerin Weitsicht und keine Beschreibungen aus dem Deutschland-Reisekatalog.

Wir halten fest: Dass die ersten Integrationsministerien in den Ländern von PolitikerInnen mit Migrationshintergrund besetzt werden, mag anfangs praktisch sein, denn sie sorgen auch für ein gewisses Maß an sichtbarer Normalität.

Dennoch müssen die Parteistrategen jetzt den nächsten Schritt machen und auch andere Themen und Aufgaben versierten Politkern mit Migrationsgeschichte zutrauen. Gerne auch als künftige/n BundeskanzlerIn!

Übrigens, in Rheinland-Pfalz wurde kürzlich auch ein Integrationsministerium eingerichtet, zusammen mit den Fachbereichen Kinder, Jugend und Familie wird dieses von der Grünen-Politikerin Irene Alt geleitet, einer „Bio-Deutschen“ wie man auf Neudeutsch sagt. Den Rest überlasse ich jetzt Eurer Fantasie …