Farhad Badalbeyli

„Musik ist unsere einzige Waffe!“

Farhad Badalbeyli, ein begnateter und leidenschaftlicher Klavierspieler, im Gespräch mit MiGAZIN über den Sieg von Ell/Nikki mit „Running Scared“ bei der Eurovision 2011 und was Musik für sein Land Aserbaidschan bedeutet.

Leger angezogen, mittelgroß, kräftig gebaut mit einem recht markanten Gesicht. Er wirkt sehr natürlich und offen. Seine Schritte sind groß und sein Gang selbstsicher. Kaum angekommen bricht er durch sein Lachen das etwas biedere Ambiente. Temperamentvoll gibt er mir seine Hand und sagt: „Farhad“! Dann rückt er seine große Brille zu Recht, und während wir uns hinsetzen, geht er noch einmal mit der Hand über sein durch den Wind zerzaustes Haar. Ich sitze neben Prof. Dr. Farhad Badalbeyli, die große Musik-Legende Aserbaidschans.

1947 als Sohn einer der berühmtesten aserbaidschanischen Künstler Familie geboren, entdeckte er sehr früh seine Leidenschaft fürs Klavier. Heute gehört Prof. Dr. Farhad Badalbeyli zu den prominentesten Pianisten in der Region und ist Rektor der Musik-Akademie in Baku. Rachmaninow, Brahms, Jazz, Mugham, für ihn ist die Musik wie ein Ozean, sagt er mir während unseres Gesprächs in einem Nobel-Hotel mitten in Berlin.

___STEADY_PAYWALL___

MiGAZIN: Was halten Sie vom Sieg von Ell und Nikki bei der Eurovision 2011?

Farhad Badalbeyli: Das künstlerische Niveau von „Running Scared“ befriedigt mich nicht ganz, aber 200 Millionen haben die Eurovision verfolgt. Also kann man sagen, dass durch den Sieg der beiden innerhalb einer Nacht plötzlich für Millionen Menschen Aserbaidschan bekannt wurde. Viele wussten vorher nicht einmal, wo Aserbaidschan liegt. So gesehen ist für uns der Grand Prix Preis von großer Bedeutung.

MiG: Wie haben Sie diese Nacht erlebt?

Badalbeyli: Aufregend wurde für mich die Show erst bei der Auszählung der Punkte. Ich saß mit meiner Familie gebannt vor dem Fernseher und habe wie Millionen meiner Landsleute auf den ersten Platz gehofft.

Nach dem Triumph gingen vor allem junge Leute auf die Straßen, es gab Autokorsos, viel Jubel und alle haben sich gegenseitig gratuliert. In dieser Nacht hat unsere Stadt Baku nicht geschlafen. Tolle Stimmung.

MiG: Und was erwarten Sie vom nächsten Jahr?

Badalbeyli: Ich wünsche mir als Musiker, dass wir mehr aserbaidschanische Motive in unseren Song einbauen werden. Es dürfte eigentlich nicht so schwer sein, denn wir haben ja nun nicht mehr diesen Druck unbedingt den ersten Platz gewinnen zu müssen. Als Gastgeber haben wir nun aller Hand Freiheit, den Song Contest zu gestalten.

MiG: Aserbaidschan war dieses Jahr erst das fünfte Mal dabei, und dennoch hat Ihr Land gewonnen! Was war Ihr Erfolgsrezept für den Sieg?

Badalbeyli: Die größte Waffe in den Händen der Aserbaidschaner ist ihre Musik. Wir sind kein Militärland. Unsere Stärke liegt in unserer Kultur und vor allem in unserer Musik. Wir haben großartige Künstler, die unsere Musik wie z.B. das traditionelle „Mugham“ komponieren und gestalten aber auch wunderbare Volkstänze inszenieren.

Leider haben viele Menschen hier eine völlig falsche Vorstellung von Aserbaidschan. Bereits im Jahr 1908 wurde in Aserbaidschan, einem islamisch geprägten Landdie Operette „Leyli und Majnun“ aufgeführt. Es war die erste Inszenierung dieser Art in der islamisch-orientalischen Welt. Auch die ersten Ballettvorstellungen fanden bei uns statt. In unserem Land verbinden sich islamische Traditionen und europäische Einflüsse und bilden einer neuen Art der Mix-Kultur! Wir haben auf der einen Seite unsere traditionelle Melodien und Tänze und gleichzeitig haben wir wie die Europäer auch Operetten, Symphonie-Orchester und Kammer-Musik, aber auch eine reichhaltige Jazzkultur.

Zu alledem kommt, dass unsere Regierung schon immer viel in der Musik-Ausbildung investiert hat. Allein in Baku haben wir 36 Musikschulen. Und der überwiegende Teil der Eltern in Aserbaidschan legt auch einen großen Wert darauf, dass zumindest eines ihrer Kinder ein Musikinstrument beherrscht. Die Poesie und Musik liegt uns sozusagen im Blut.

MiG: Was glauben Sie, was macht die aserbaidschanische Musik aus?

Badalbeyli: Die besondere Verbindung, die diese Musik zu den Menschen aufbauen kann, ist ein sonderbares Merkmal. Wenn auf der Bühne aserbaidschanischer Musik gespielt wird, dann ist meistens das gesamte Publikum total begeistert.

Auf dem ausverkauften Konzert von Alim Qasimov, auch einer der großen international bekannten „Mugham Meister“ in Paris, waren so gut wie keine Aserbaidschaner im Publikum, dennoch waren die Zuschauer alle vollkommen fasziniert.

Ich glaube auch, dass die Einflüsse der Mystik wie z.B. dem „Sufismus“ eine wichtige Rolle bei der Entstehung unserer Musik spielt. Dieser Geist der mystischen Elemente verleiht der aserbaidschanischen Musik etwas Geheimnisvolles, die auch viele Zuhörer, die nicht aus Aserbaidschan stammen, in ihren Bann zieht.

Die„Mugham“-Musik hat sich heute natürlich in viele Richtungen weiterentwickelt. Es gibt symphonisches „Mugham“ aber wir haben auch heute den „Jazz Mugham“! Das klingt sehr modern und ist einfach klasse. Eine einzigartige Kombination!

MiG: Aber wie kommt es, dass man hier in Europa so wenig darüber weiß? Die meisten Menschen hier verbinden nämlich Aserbaidschan mit Gas oder Erdöl!

Badalbeyli: Klar sind Erdöl und Gas wertvolle Bodenschätze unseres Landes.

Aber was ihre Frage betrifft, ich sehe die Schuld bei uns. Wir waren all die Jahre nach außen hin sehr passiv. Wir müssen uns besser präsentieren. Wir müssen mehr auf den internationalen Bühnen auftreten. Wir können uns nicht zurücklehnen und erwarten, dass die Welt uns entdeckt, wir müssen im positiven Sinne aggressiver werden.

Ich glaube aber, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ein einfaches Beispiel: Als ich letztens in einem britischen Orchester Klavier spielte, wurde ich am Ende dem Publikum als ein Pianist aus Aserbaidschan vorgestellt.

Oder – viele meine Schüler nehmen immer häufiger an internationalen Musikfestivallen teil. Besonders stolz bin ich auf Isfar Sarabski. 2009 gewann er den ersten Preis auf dem berühmten Jazzfestival in Montreux. Oder aber auch eine andere ehemalige Schülerin von mir, Aziza Mustafa Zadeh, die wegen ihrer besonderen Stilrichtung im Jazz auch im Westen sehr bekannt ist und auch bereits zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Aber auch die Pianistin Elnara Ismailova, die übrigens hier in Deutschland lebt! Ich könnte noch viele weitere Namen meiner Schüler aufzählen. Aber Tatsache ist, ich freue mich über jeden aserbaidschanischen Musiker, der die Weltbühne betritt.

MiG: Ist das auch der Grund Ihrer Reise nach Berlin?

Badalbeyli: Ja genau. Es ist ein großes Projekt, der Dirigent und alle Solisten sind Aserbaidschaner und wir spielen gemeinsam mit der Litauischen Orchester, das aus 70 Musikern besteht. Unsere Tournee hat Anfang Mai in Stockholm begonnen und war bis jetzt ein großer Erfolg. Ich spiele dabei Klavier und freue mich auf unseren Auftritt am 31. Mai in der Berliner Philharmonie.

MiG: Und planen Sie auch musikalische Projekte mit Deutschland?

Badalbeyli: Ja, natürlich! Wir bemühen uns sehr darum. Es könnte sein, dass ein bayrisches Orchester zu uns nach Aserbaidschan kommt und wir gemeinsam dort ein klassisches Konzert geben.

Wir besprechen derzeit auch ein Operetten-Projekt „Samt und Seide“ vom berühmten aserbaidschanischen Komponisten Uzeyir Hajibeyovv. Es ist eine lustige Oper, die sich mit dem Bruch alter Traditionen auseinandersetzt. Vielleicht kann man in Zusammenarbeit mit deutschen Künstlern daraus eine moderne Version inszenieren.

Das eigentliche Problem liegt aber wie so oft bei der Finanzierung. Und hinzu kommt, dass wir auch dringend ein viel besseres Management für solche große Konzepte bräuchten.

MiG: Was wünschen Sie sich für die musikalische Zukunft Aserbaidschans?

Badalbeyli: Es ist sehr schade, dass unsere „Hauptstadt der Musik“ Shusha in Bergkarabach, in den besetzen Gebieten liegt. Die meisten berühmten und bekannten aserbaidschanischen Komponisten stammen aus Shusha. Auch ich wurde dort geboren. Bei uns sagt man: „In Shusha liegt die Musik in der Luft, im Wasser, einfach überall.“ Deswegen hat man auch früher diese Stadt das „Konservatorium des Kaukasus“ genannt. Heute ist dieser Ort zerstört. Und mein größter Wunsch ist, eine „Renaissance“ dieser großen Musik-Stadt zu erleben.