Die Fachveranstaltung „Nürnberger Tage für Integration 2011“, die gestern und heute läuft, steht unter dem Titel „Mittendrin und doch aneinander vorbei? – Der gesellschaftliche Zusammenhalt auf dem Prüfstand“. Ziel ist es, das Thema im Hinblick auf Aspekte einer erfolgreichen Integration von Zuwanderern zu beleuchten.
Integration keine Einbahnstraße
Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, definierte in seiner Begrüßung Integration als wechselseitigen Prozess, der gemeinsam von Zuwanderern und der übrigen Gesellschaft gestaltet wird. Auch Klaus-Dieter Fritsche, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, bemerkte, dass Zusammenhalt nicht durch „Einbahnstraßenmentalität“ wachsen könne: Zuwanderer und Aufnahmegesellschaft müssten jeweils ihren Teil leisten.
Was dabei von Migranten gefordert wird, bedurfte keiner näheren Erklärung. Was allerdings die Aufnahmegesellschaft konkret zu leisten habe, blieb offen. Fritsche machte lediglich auf den seiner Meinung nach „nicht zielführenden“ „Multikulti-Ansatz“ aufmerksam. Denn die verschiedenen kulturellen Gruppen blieben „dabei letztlich voneinander getrennt“. Es fehle am „Klebstoff“, der sie zusammenhalte.
Eine neue Identität
„Voraussetzung für ein gutes und respektvolles Miteinander zwischen den Menschen sind dabei gemeinsame Werte und demokratische Überzeugungen“, so Fritsche weiter. Es bedürfe aber vor allem einer neuen gemeinsamen Identität: „Es geht um die Identifikation mit der Gesellschaft, in der man lebt, der man angehören wollen muss, aber in der man sich auch angenommen fühlen muss. Eine Gesellschaft, zu der man sich zugehörig fühlt, und die damit ein Stück neue Identität vermittelt: eine neue gemeinsame Identität, die über die alte Identität hinausgeht.“
Prof. Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld ging in seinem wissenschaftlichen Fachvortrag der Frage nach „Was hält unsere Gesellschaft zusammen – was treibt sie auseinander?“ Er führte aus, dass „freiwillige Normakzeptanz durch politischen Anpassungsdruck in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht erreichbar“ sei. Als Abschluss forderte Prof. Heitmeyer dazu auf, über grundlegende Fragen der Gesellschaft neu nachzudenken: „Ich vermisse eine gesellschaftliche Debatte mit der simplen Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?“
Integrationskurslehrer nicht dabei
Mit rund 200 Teilnehmern aus Politik und Verwaltung, Gesellschaft, Wissenschaft und Integrationspraxis sind die Nürnberger Tage prominent besetzt. Nicht dabei ist allerdings das DaZ-Netzwerk, ein bundesweiter Zusammenschluss von Lehrkräften in Integrationskursen. Dabei bezeichnet das BAMF die Träger von Integrationskursen und die Lehrkräfte gerne als „eine große Familie“. Auch Fritsche zeigte sich über die Maßnahmen, die der Bund zur Verbesserung der Integration eingeführt hat, erfreut und lobte die Integrationskurse als Erfolgsmodell.
Dennoch werde an den Lehrkräften „vorbei geredet und entschieden“, so DaZ-Sprecherin Renate Hof. Sie würden bewusst von allen relevanten Gremien bewusst ferngehalten. Nicht ohne Grund: Das DaZ-Netzwerk kämpft seit Jahren für eine bessere Entlohnung der Lehrkräfte aufgrund der prekären finanziellen Situation. Selbst die zuständigen Minister und Senatoren aller 16 Bundesländer hatten es bereits Anfang 2011 bestätigt und sich besorgt über die schlechte Bezahlung und fehlende soziale Absicherung gezeigt.
Das BAMF allerdings hält an seiner Empfehlung von 15 Euro als Mindesthonorar fest, was in der Praxis oft nicht eingehalten wird. Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wälzte erst kürzlich die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte auf die Integrationskursbetreiber ab, obwohl dem Ministerium ein Gutachten vorliegt, aus der hervorgeht, dass die Kurse insgesamt völlig unterfinanziert sind. Das bedeutet für die Lehrkräfte aufstockend Hartz IV trotz Vollzeitarbeit.
Protestaktion vor dem BAMF
„Die Politik, insbesondere der Innenminister, ist aufgefordert, mit den Lehrkräften in einen Dialog zu treten und die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in den Kursen zu übernehmen. Sie schreibt sich die Erfolge der Kurse auf ihre Fahnen, lässt die Arbeit jedoch unter unwürdigen Bedingungen von Lehrkräften erledigen, mit denen sie grundsätzlich nichts zu tun haben möchte“, so die DaZ-Sprecherin.
Das alles wollen sich die Lehrkräfte nicht länger gefallen lassen. Sie protestieren heute in Nürnberg mit Aktionen ab 10.00 Uhr vor dem BAMF und ab 14.00 vor der Lorenzkirche. „Es wäre toll, wenn möglichst viele schon um 8.30 Uhr vor dem BAMF, sein könnten, wo wir die ankommenden Gäste der BAMF-Veranstaltung begrüßen wollen“, heißt es in der Einladung. (sb)