Rekapitulieren wir: „Sarrazin hat recht!“. Dieses Motto wurde zum Chiffre all jener, die sich den Satz „Ausländer raus!“ zumindest in der Öffentlichkeit (noch) nicht zu sagen getrauten. Womit Sarrazin eigentlich recht habe, wollten zumindest die Beherrschten lieber nicht mehr beantworten.
Das war auch gar nicht notwendig, denn Sarrazin hatte kein gängiges Ressentiment ausgelassen. Das gesamte Kapitel 7 seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ thematisiert „Überfremdung“ und eine vermeintliche kulturelle Prädisposition der Muslime. Sarrazin unterstellt sogar Deutschlands „Eroberung durch Fertilität“ der Türken und Araber (S. 316 ff.). Eigentlich das gesamte Kapitel 8 ist vermeintlichen genetischen Prädispositionen gewidmet. Dieses Kapitel trägt den Titel „Demografie und Bevölkerungspolitik – Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist“. Sarrazins Sozialdarwinismus und Rassismus wird von ihm selbst also teilweise erschreckend explizit belegt. Die Beweisführung, dass Sarrazin gegen elementare Grundsätze der SPD verstoßen hat, hätte keiner Anstrengung bedurft, wenn man es denn gewollt hätte. Die SPD-Spitze wollte es offensichtlich nicht mehr.
Was bedeutet das? Nun, die einst so stolze Partei hat beschlossen, dass man SPD-Mitglied sein kann und gleichzeitig mit diskriminierenden und rassistischen Thesen auf dem Rücken von Millionen Menschen ein Millionengeschäft machen darf. Das mag man zwar als degoutant erachten, aber immerhin ist es auch eine Aussage. Die SPD hat ihren Weg gewählt. Dem süßen Gift Rechtspopulismus kann auch sie nicht gänzlich widerstehen. Das hat der Souverän nun schriftlich. Der Wähler weiß nun wenigstens, woran er ist und kann dementsprechend seine Entscheidung treffen. Wichtig ist, dass die SPD überhaupt eine Entscheidung getroffen hat- vor den Berliner Wahlen im September.
Dort könnte der Spruch des Schiedsgerichtes zu peinlichen Situationen führen: Ein Klaus Wowereit darf im Berliner Wahlkampf erklären, warum er die Grünen als „reaktionär“ bezeichnet, sein Parteifreund und ehemaliger Finanzsenator Sarrazin aber als missverstandener Mahner betrachtet werden sollte. Oder wird Wowereit seine Botschaft je nach Wähler, je nach Bezirk den Gegebenheiten anpassen? Wird der Regierende in Kreuzberg sagen, dass das Schiedsgericht ein Skandal und Sarrazin ein Rassist sei; in Steglitz hingegen beteuern, er stehe zum Parteifreund, der vielleicht ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen sei?
Der Wahlkampf der Berliner SPD droht zu einem erbärmlichen und heuchlerischen Spektakel zu werden. NPD und Stadtkewitz Freiheit werben im Wahlkampf bereits heute mit Sarrazin, die SPD aber entblödet sich nicht, ihm ein aktuelles Gütesiegel verliehen. Wem will, wem kann man das noch verständlich machen? Den hunderten Deutsch-Türken, die sich seit Jahren mit Herzblut für ihre SPD engagiert haben? Erwartet die SPD im Ernst noch Unterstützung von dieser Seite?
Die SPD, deren Mitglieder einst gar Adolf Hitler trotzten, hatte auf einmal schreckliche Angst vor der eigenen Courage. Am Ausschluss Sarrazins aus der SPD führte eigentlich kein Weg vorbei. Die SPD war durch ihre Geschichte hindurch nicht nur eine aufklärerische und emanzipatorische Kraft, sondern auch politischer Katalysator sozialen Aufstiegs, dessen Möglichkeit Sarrazin durch seine Thesen negativer kultureller und genetischer Prädisposition ganzer Bevölkerungsgruppen in Abrede gestellt hat. Indem die SPD Sarrazin weiter in ihren Reihen duldet, verrät sie dieses große Erbe. So schafft die SPD sich ab!
Der Verfall der SPD wird Auswirkungen auf das gesamte Parteienspektrum zeitigen. An einem NPD-Verbotsverfahren sollten sich die beiden Volksparteien lieber nicht mehr versuchen. Toleranz jedoch droht im deutschen Parteiensystem zum Kuriosum zu werden. Aus der CSU tönt die Parteispitze schon lange, dass man die Zuwanderung von Menschen „aus fremden Kulturkreisen“ am liebsten „bis zur letzten Patrone“ bekämpfen würde. Die CDU ist weniger explizit, aber auch hier genießt das Ressentiment wachsenden Zuspruch. Die großen identitätsprägenden Volksparteien konnten der Versuchung Xenophobie nicht widerstehen. Grüne und FDP haben nun die Chance, ihre Opposition zu dieser Großen Koalition der Xenophobie zu demonstrieren. Man kann nur hoffen, dass dort mehr Standhafte zu finden sind.