Critical und Incorrect

Der Schlüssel zur medialen Integration liegt im Unterhaltungsbereich

„Türkisch für Anfänger“, „Cosmo-TV“ oder Tatortkommissar Mehmet Kurtulus – Dr. Sabine Schiffer über Vor- und Nachteile der medialen Integration im Unterhaltungsbereich.

Es ist gut, dass es Fernsehserien wie „Türkisch für Anfänger“ gibt. Auch wenn ein bisschen überbetont multikulturell, so erhält man hier einen sympathischen Einblick in den Alltag einer binationalen Patchwork-Familie. Die Serie ist geeignet, die Massen zu erreichen. Im Gegensatz zu einigen Formaten, die Migration aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, wie das qualitativ hochwertige Cosmo-TV des WDR, wurde die türkisch-deutsche Soap-Opera nicht als belehrend empfunden. Der Schlüssel für die mediale Integration liegt tatsächlich im Unterhaltungsmedium.

Insgesamt geht der Trend zu mehr Unterhaltung, was man in einer Demokratie durchaus bedauern darf. Vorteil der Unterhaltungssendungen ist aber, dass sie die Emotionen der Menschen erreichen und Normalität vermitteln, während die Berichterstattung klassischerweise die Abweichung von der Norm fokussiert.

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„Solange in den übrigen Formaten … nicht auch kopftuchtragende Zahnärztinnen, dunkelhäutige Lehrkräfte und kippatragende Anwälte vorkommen, ist noch nicht so wirklich viel gewonnen.“

Wer allerdings dieses neue Feature für das Non-plus-Ultra der möglichen Integrationsleistungen von Fernsehen hält, greift zu kurz. Von den Ansprüchen eines durchdachten Diversity-Konzeptes sind wir noch weit entfernt. Hier schwelgt man in der Markierung von Muslimen und Türkischstämmigen und greift ein Klischee nach dem anderen auf – durchaus kritisch, aber eben doch wiederholend.

Wenn wir uns damit zufrieden geben, erreichen wir die Sichtbarmachung der gewünschten und tatsächlich existierenden Normalität doch nicht und das lockere Witzemachen über alle eben auch nicht. Solange in den übrigen Formaten – ohne extra Thematisierung des Besonderen und damit der Ausnahme – nicht auch kopftuchtragende Zahnärztinnen, dunkelhäutige Lehrkräfte und kippatragende Anwälte vorkommen, ist noch nicht so wirklich viel gewonnen. Dann handelt es sich bei den so genannten Ethno-Programmen nämlich um Multi-Kulti-Nischen, die unter einem besonderen Blickwinkel leiden und allein auf Grund ihrer Besonderheit wiederum verhindern, dass das Zusammenleben als selbstverständlich angesehen wird. Und solange man Diversity nur als Konzept im Migrationsbereich betrachtet, passiert das gleiche.

Das häufige Fehlen von Kategorien wie Geschlecht, Alter, Behinderung, sexueller Orientierung und vielen anderen schränkt die Erfolgsaussichten der Vielfaltsidee bereits ein. Wenn nicht wirklich Buntheit in allen Dimensionen, sondern nur eine kulturell markierte Farbigkeit gefördert wird, wird der Markierung EINES ANDEREN erneut Vorschub leistet. Und alles, was man besonders betont, gilt per se schon nicht als normal. Auch Mehmet Kurtulus als Tatortkommissar und seine Kollegin Kommissarin können also nur als Anfang bezeichnet werden.

Um der Markierungsfalle – das ewig Andere – zu entgehen, müssten vielmehr solche Beispiele in den normalen Formaten sichtbar sein. Hingegen scheint überall die Nischenfalle aufgestellt: Migranten verhandeln Migrationsthemen, eine Frau verwaltet das Familienministerium, Bundestagsmitglieder mit sog. Migrationshintergrund sind für Integrationsthemen zuständig, Journalisten nichtdeutscher Herkunft klären Fragen um die doppelte Staatsbürgerschaft und den Spracherwerb und russlanddeutsche Schüler arbeiten im Rahmen einer Facharbeit zum Thema Demokratieentwicklung in Russland. Damit bleibt jeder schön bei seinem Leisten und zunächst ist ja auch nichts daran auszusetzen.

Es muss aber möglich sein, dass die Vielfalt absolut ist , also die Themen nicht gruppenspezifisch zugeordnet werden, sondern zum Beispiel ein türkischstämmiger Kabarettist die Nockerberg-Rede vor den CSU-Granden hält, wie es ganz kurzfristig einmal dem Niederbayer Django Asyl gelungen war.

Literatur:
– Diversity und Medien auf www.migration-boell.de
– Jäger/Halm 2007: Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Unrast Verlag

Ein Gegenbeispiel lieferte die Titelseite der Focus-Ausgabe zum Jahreswechsel 2006/2007: Dort prangten Bilder von Prominenten, die ihre guten Vorsätze fürs neue Jahr zum Besten gaben und die Gruppe der Ausgewählten war so übertrieben homogen, dass es schon als kleine Revolution angesehen werden kann, dass dort Männer UND Frauen abgebildet waren. Allerdings alle weiß und ohne Accessoires wie Kippa, Kopftuch, Bart oder gar noch dunkler Haut. Wer wohl Magazine mit solchen Titelseiten kauft – und wer nicht? Und wer ob fehlender Identifikationsfiguren lieber eigene Medien produziert, mag man sich auch angesichts der exkludierenden Homogenität solcher Produkte fragen.

Für die Medien, die den aktuellen Existenzkampf überleben wollen, wäre der integrierende Blick auf die Kunden von morgen sinnvoll. Da nutzt auch kein Jammern über sich abwendende „Parallelgesellschaften“. Es liegt nachweislich an der Entscheiderebene, wenn sich Programm und Personal nicht an die Gegebenheiten einer Gesellschaft anpassen, sondern zäh eine falsche Homogenität vorgaukeln.