Wie vor 36 Jahren

Angst essen Deutsche auf

„Angst essen Seele auf“, ein Film aus dem Jahr 1974, beschreibt die Sicht der Deutschen auf einen Gastarbeiter aus Marokko. Die Vorurteile gegenüber Muslimen sind nicht verschwunden. Der faule, deutsche Frauen ausnutzende Araber schleicht sich heimlich in unsere Gesellschaft ein.

„Angst essen Seele auf“, Rainer Werner Fassbinders Film aus dem Jahr 1974, beschreibt die Sicht der Deutschen auf einen Gastarbeiter aus Marokko. Die Vorurteile gegenüber Muslimen, die Fassbinder vor 36 Jahren aufgegriffen hat, sind nicht verschwunden, sondern haben sich noch verschärft. Inzwischen wird der Araber als Frauenrechteverächter und möglicher Selbstmordattentäter angesehen, der seine Mission in der Islamisierung sieht. Der Islam, so der Tenor im Europa des 21. Jahrhunderts, ist eine gefährliche, aggressive und primitive Religion, die ihre Anhänger bekräftigt, intolerant gegenüber anderen Ansichten zu sein.

Früher hatten die Menschen Angst davor, dass die Einwanderer ihnen Arbeitsplätze streitig machen, heute fürchten sie sich eher vor der Vereinnahmung Deutschlands durch die fremde Religion und Kultur. Ihre Angst ist inzwischen gesellschaftlich salonfähig geworden, nicht zuletzt durch den Umgang einiger Medien mit diesem heiklen Thema.

___STEADY_PAYWALL___

Dabei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Angst vieler Bürgerlicher vor der islamischen Kultur daher rührt, dass ein mediales Bild von Moslems gezeichnet wird, sie mit ihnen aber in den seltensten Fällen persönlich in Berührung kommen.

Die Islamophobie hat in Deutschland und in anderen Teilen Europas ein solches Ausmaß angenommen, dass die islamkritische Soziologin und Journalistin Hilal Sezgin von einer regelgerechten „Muslimifizierung“ spricht. Warum eine Wochenzeitung wie die „Zeit“, die sich selbst linksliberal bezeichnet, die Verantwortung bei den Moslems sucht, indem Sie den geistigen Vertretern fehlende Bereitschaft vorwirft, in der Debatte Position zu beziehen, ist fraglich. Ihre Annahme, das Ausbleiben der Diskussion sei nicht zuletzt durch die Beschäftigung der Moslems mit dem Fastenfest Ramadan begründet, zeugt von einem fehlenden Verständnis gegenüber der muslimischen Kultur. Denn warum sollten ihre geistigen Vertreter ernsthaft bei einer Debatte mitdiskutieren, deren Grundlage die erwiesen irrige Annahme ist, dass der Araber blöder als der Deutsche ist?

In der Deutschen Debatte fällt auf, dass nicht nur die „Unterschicht“, sondern auch akademische Bevölkerungsgruppen wie Ärzte und mittelständige Unternehmer für Sarrazins Thesen empfänglich sind. Dem „Spiegel“ zufolge hätte eine Protestpartei, deren Wahlprogramm sich aus Sarrazins Ideenschublade speist, gute Chancen, auf Landes- und Bundesebene ins Parlament einzuziehen. In Deutschlands Nachbarländern haben derlei Protestparteien schon vor Langem den Weg in die Parlamente gefunden und sind teils sogar an der Regierungsbildung beteiligt, so etwa in Holland, in Österreich, in Italien, in Ungarn und in Dänemark. Hat Sarrazin also doch recht, und die Deutschen sind durch die enormen Einwanderungsströme aus muslimischen Ländern schon so verdummt, dass sie erst Jahre später als ihre Nachbarn auf die Idee kommen, eine Protestpartei brauner Couleur zu gründen?

Es ist billig, mit reißerischen, auf Kosten anderer Menschen getroffener Aussagen Verkaufszahlen von Büchern in die Höhe zu treiben und damit die Angst vor muslimischen Ausländern zu vergrößern. Eine Figur wie Schlingensief täte mit einer Containeraktion „Ausländer raus!“ Not, um diesem reaktionären Kräften in Deutschland kräftig in den Arsch zu treten.

Die eigentliche Frage ist und bleibt jedoch, was die Politik tun kann, um die Teilhabe eines jeden Bürgers an der Gesellschaft sicherzustellen.

Ein Lösungsansatz wäre, die frühkindliche Sozialisation durch eine allgemeine Kitapflicht mit beeinflussen zu können und nach der schulischen Ausbildung ein verpflichtendes soziales Jahr vorzuschreiben, um die Integration aller Achmeds und Fatimas zu befördern.

Denn scheiternde Integration kann man nicht auf die religiöse Herkunft zurückführen, sondern auch auf die soziale. Das ist nicht erst seit der jüngsten Studie bekannt, der zufolge Kinder, die Kevin oder Mandy heißen, aus sozial schwachen Verhältnissen kommen in der Schule automatisch schlechter bewertet werden als ihre Mitschüler Leon und Sophie.

Anstatt qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland in die Republik zu holen, sollte man das Potenzial der sozial Schwachen in Deutschland stärken und sie nicht durch das Raster unseres dreigliedrigen, undurchlässigen Schulsystems fallen lassen, weswegen sie als „Sozialschmarotzer“ in der deutschen Leistungsgesellschaft chancenlos bleiben.