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Bundestagsdebatte zur Lage der Ausländer in Deutschland

8. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Das MiGAZIN dokumentiert die Debatte im Bundestag vom 8. Oktober 2010 in voller Länge und chronologischer Reihenfolge.

Maria Böhmer (CDU/CSU), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist gut, dass das Thema Integration endlich wieder da steht, wo es angesichts der drängenden Probleme und Aufgaben hingehört: ganz oben auf der Tagesordnung. Ich bin dem Bundespräsidenten dankbar, dass er sich des Themas Integration mit so großer Intensität angenommen hat.

(Thomas Oppermann (SPD): Nur der Bundespräsident?)

Wir dürfen das Feld nicht Sarrazin mit seinen Halbwahrheiten und seinen kruden Vererbungstheorien überlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Finanzsenator in Berlin hatte er sieben Jahre lang Zeit, etwas für die Integration zu tun. Er hat nichts getan. Das waren sieben verlorene Jahre für die Integration in Berlin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ¬Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Und wann haben Sie etwas getan?)

Viele Migranten, die längst in Deutschland heimisch sind, fühlten sich in den letzten Wochen unter Generalverdacht gestellt und ausgegrenzt. Viele Einheimische haben Ängste und Sorgen angesichts der Veränderungen in unserem Land. Manche haben auch Angst vor Gewalt. Manche Schülerinnen und Schüler und manche Lehrer müssen sich deutschfeindliche Äußerungen anhören. Wenn sich ein Schüler nicht mehr auf den Pausenhof traut, wenn Lehrer eingeschüchtert werden oder wenn Lehrerinnen beschimpft werden, können wir das nicht hinnehmen und müssen dagegen angehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jedem, der zu uns kommt, muss von Anfang an klar sein: Wer hier leben will, muss selbstverständlich das Grundgesetz und unsere Rechtsordnung respektieren. Wer hier leben will, muss sich auch auf unser Land einlassen.

Ich war sehr beeindruckt von dem Gespräch, das ich mit den Migrantenorganisationen am Dienstag geführt habe. Genau das war der Tenor auch dort: sich auf dieses Land einzulassen, hier zu Hause zu sein, das Gespräch führen zu wollen und dafür zu sorgen, dass wir gemeinsam in eine gute Zukunft gehen. Das zeigt: Was wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, hat sich bewährt. Wir reden nicht übereinander, sondern wir reden miteinander. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Grundrechte wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religions¬und Meinungsfreiheit dürfen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern sie müssen gelebt werden -zuallererst in den Familien. Die Eltern stehen hier in der Verantwortung. Wir wollen sie dabei auch unterstützen, damit Kinder aus Zuwandererfamilien die Chance haben, in unserer Gesellschaft wirklich anzukommen.

„Fördern und Fordern“ ist der zentrale Grundsatz unserer Integrationspolitik. Er hat sich bewährt. Wir lassen niemanden allein. Wir kümmern uns. Aber ich erwarte auch, dass die Integrationsangebote angenommen werden,

(Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Wo ist das Geld dafür?)

seien es die Teilnahme an Integrationskursen, die Sprachförderung im Kindergarten, der regelmäßige Schulbesuch oder der Abschluss einer Ausbildung.

Ich habe viele kennengelernt, die sich angestrengt haben und die erfolgreich sind. Ich erwähne den Enkel eines, wie wir früher gesagt haben, Gastarbeiters. Sein Großvater ist aus der Türkei zu uns gekommen und war Hilfsarbeiter in einem großen deutschen Unternehmen. Sein Vater wurde Arbeiter. Er selbst hat studiert und gehört heute zur Führungsmannschaft in diesem Unternehmen. Er ist einer der großen Brückenbauer zwischen Migranten und Einheimischen in unserem Land. Solche Vorbilder brauchen wir, und solche Vorbilder müssen wir stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

2005 standen wir bei der Integration vor einem Berg von Versäumnissen und Fehlentwicklungen.

(Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Na, na!)

Die Integrationspolitik steckte damals noch in den Kinderschuhen.

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Wir haben unter Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel massiv umgesteuert. Denn mit Beliebigkeit und dem Ausblenden der Wirklichkeit sind die Probleme nicht zu meistern. Multikulti ist gescheitert. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben viele Weichen neu gestellt: mit dem Integrationsgipfel, der Islamkonferenz und dem Nationalen Integrationsplan als dem ersten Gesamtkonzept mit mehr als 400 Selbstverpflichtungen, die zu einem großen Teil erfüllt sind. Wir können heute mit Fug und Recht sagen: Deutschland steht im europäischen Vergleich gut da. Ich denke in diesem Zusammenhang an die brennenden Vorstädte in Frankreich und an die Probleme in den Niederlanden. Rechtspopulisten vergiften dort das Klima und belasten das Zusammenleben. All das haben wir nicht. Das soll auch so bleiben. Dafür setzen wir uns ein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir sind so manchen unbequemen Weg gegangen. Ich denke dabei an den Streit um Deutsch auf dem Schulhof. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Deutsch die Schulsprache sein muss. Ich denke an die Verpflichtung zum Spracherwerb für Ehegatten im Herkunftsland. Auch hierüber haben wir uns heftig gestritten, aber wir haben diesen Vorschlag dann gemeinsam nach vorne gebracht. Heute ist die Skepsis der Erkenntnis gewichen, dass Spracherwerb ein Gewinn ist und dass so Zwangsverheiratungen verhindert werden können.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist aber noch nicht das Gesetz!)

Als es um die Einbürgerungstests ging, gab es auch Streit in unserem Land. Aber heute ist klar -das sagen mir auch viele Migrantinnen und Migranten, die deutsche Staatsbürger werden wollen -: Es ist von Vorteil, wenn man über unser Land Bescheid weiß, denn man will hier leben und die Rechte und Pflichten voll wahrnehmen. Dann gehört es auch dazu, dass man sich auskennt.

Die Anstrengungen für die Integration haben sich gelohnt. Das wird durch den Lagebericht belegt, den ich dem Bundestagspräsidenten im Juli übergeben habe. Das zentrale Ergebnis in diesem Bericht ist: Die Integration in Deutschland gewinnt an Fahrt, aber wir müssen noch an Tempo und an Intensität zulegen. Wir brauchen dazu auch eine breite Diskussion in der Bevölkerung, damit das, was wir in Gang gesetzt haben, auch entsprechend mitgetragen wird.

Wir haben Fortschritte bei der Sprache, der Bildung und der Ausbildung zu verzeichnen. Das Bildungsniveau hat sich erhöht. Ich sage aber auch, dass es alarmierend ist, dass die Zahl der Schulabbrecher nach wie vor zu hoch ist: 13 Prozent bei den Migrantenjugendlichen im Vergleich zu 7 Prozent bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. -Das ist noch weit von der Zusage entfernt, die die Länder uns im Nationalen Integrationsplan gegeben haben, wonach die Quoten bis 2012 angeglichen sein sollen.

Deshalb brauchen wir mehr individuelle Förderung in den Schulen. Wir brauchen mehr Lehrkräfte, wir brauchen mehr Schulsozialarbeiter, und wir brauchen mehr Zeit. Wir brauchen aber auch mehr Ganztagsschulen, um wirklich die individuelle Förderung dieser Kinder voranzubringen; denn sie sind nicht weniger begabt, sie sind nur weniger gefördert, und sie sollen alle Chancen in unserem Land haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Erziehung und Bildung beginnen im Elternhaus. Viele der Eltern, die hierhergekommen sind, kennen sich mit unserem Bildungssystem nicht aus. Sie brauchen unsere Hilfe und Unterstützung. Deshalb muss die Elternarbeit in Kindergarten und Schule gestärkt werden, müssen Integrationskurse gerade dort stattfinden.

Wie wollen wir in Zukunft weiter verfahren? Wir müssen jetzt in eine zweite Phase der Integrationspolitik eintreten, in eine Phase von mehr Verbindlichkeit. Dabei kommt der zentralen Integrationsmaßnahme der Bundesregierung, den Integrationskursen, große Bedeutung zu. Es ist in der Tat das Erfolgsmodell für Integration in unserem Land. Ende des Jahres werden mehr als 700 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu zählen sein. Was mich besonders freut, ist, dass zwei Drittel davon Frauen sind und dass viele von denen, die schon seit vielen Jahren -10, 12, 15 Jahre -in Deutschland leben, jetzt sagen: Wir wollen endlich Deutsch lernen. -Unsere Botschaft, dass Deutsch die Grundlage für ein gutes Zusammenleben, für ein gutes Miteinander und für Teilhabe in unserem Land ist, ist angekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wichtig ist: Jeder, der an einem solchen Kurs freiwillig teilnehmen möchte -jeder Zweite tut das -, muss auch in Zukunft die Chance dazu haben. Deshalb haben wir die Haushaltsmittel noch einmal auf jetzt 233 Millionen Euro erhöht. Das war angesichts knapper Kassen wahrlich keine einfache Entscheidung, aber das ist ein klares Signal dafür, dass wir alles dafür tun möchten, dass die Integration in unserem Land klappt.

Ich will Integrationsvereinbarungen auf den Weg bringen; denn ich möchte, dass wir auch hier mehr Verbindlichkeit für beide Seiten haben: für die Migranten, die dann wissen sollen, welche Angebote und welche Hilfe sie erwarten können, und auch für uns. Denn wir wollen im Rahmen dieser individuellen Integrationsvereinbarungen festhalten, wo Nachholbedarf besteht: beim Spracherwerb, bei der Bildung, bei der beruflichen Qualifikation. Natürlich gehört dazu auch, dass die Eltern ihre Kinder in den Kindergarten schicken, damit sie in den Genuss der Sprachförderung kommen und damit sie, wenn die Grundschule beginnt, dem Unterricht folgen können; denn nur dann wird sich langfristig für diese Kinder etwas verbessern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die frühe Sprachförderung wurde seitdem wir den Nationalen Integrationsplan vorgelegt haben, in allen Bundesländern realisiert. Es gibt überall Sprachstandstests, es gibt überall Sprachförderung. Aber ich bin sehr nachdenklich geworden, als ich erfahren habe, dass trotz alledem beispielsweise in Berlin noch immer 30 Prozent und in Nordrhein-Westfalen 25 Prozent der Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse in die Grundschule kommen. Da stimmt doch etwas nicht. Hier sind die Länder gefordert, zu überprüfen, wie wirksam diese Sprachförderung ist.

Ich will auch noch einmal an die Eltern appellieren. Wenn Migranteneltern ihre Kinder seltener in den Kindergarten schicken, dann heißt das: Gerade die Kinder, die wir fördern wollen, kommen nicht in den Genuss der Förderung. Deshalb bin ich für ein verbindliches letztes Kindergartenjahr. Denn wir dürfen die Kinder nicht allein lassen. Sie dürfen nicht diejenigen sein, die unter den Versäumnissen ihrer Eltern leiden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann (SPD): Warum wollen Sie dann eine Prämie für diejenigen, die ihre Kinder zu Hause lassen? -Weiterer Zuruf von der SPD: Herdprämie!)

Wir haben in dieser Legislaturperiode ein großes Vorhaben. Wir wollen es schaffen, dass die vielen Menschen, die in unser Land gekommen sind und über einen guten beruflichen Abschluss verfügen, die hier arbeiten, sich einbringen und unser Land voranbringen wollen, in ihrem Beruf arbeiten können. Es darf nicht mehr sein, dass sie wie früher in den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit als Unqualifizierte geführt werden. Ein Anerkennungsgesetz für die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen wird ein Markstein der Integrationspolitik in dieser Legislaturperiode sein. Es wird vieles verändern, was die Annahme der Migranten, das Heben von Potenzialen und die Anerkennung der Vielfalt angeht. Deshalb brauchen wir dieses Gesetz schnell.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Schnell! Nicht erst 2012!)

Es soll bis Dezember vorliegen. Das wird die Wende in der Integrationspolitik deutlich unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei allem, was wir diskutieren, müssen wir uns auch schwierigen Fragen zuwenden. Schon in der letzten Legislaturperiode habe ich immer wieder angemahnt, dass die Gleichberechtigung von Frauen der Lackmustest ist, wenn es um das Gelingen von Integration geht. Denn es darf nicht sein, dass es in unserem Land, wo die Gleichberechtigung von Mann und Frau gilt, immer noch vorkommt, dass Mädchen nicht an allen Unterrichtsfächern teilnehmen dürfen und ihnen vom Elternhaus verboten wird, zum Schwimmunterricht und zum Sport zu gehen oder an Klassenfahrten teilzunehmen. Mädchen müssen die gleichen Chancen haben wie alle anderen. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Eltern sagen, wo die Grenze liegt, damit die Kinder alle Chancen bekommen, sich auf ein Leben in unserem Land vorzubereiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ganz besonders treibt mich die Tatsache um, dass es auch in unserem Land Zwangsverheiratungen gibt. Ich spreche mich deutlich dafür aus, dass wir jetzt einen eigenen Straftatbestand Zwangsverheiratung schaffen und dass wir diesen mit einem Rückkehrrecht für die Mädchen, die heiratsverschleppt sind, verknüpfen. Denn sie sind gut integriert, und wir wollen, dass sie in unserem Land ihren Weg gehen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Rüdiger Veit (SPD)

Weil in den letzten Tagen so heftig über den Islam in Deutschland gesprochen worden ist, will ich an einen Satz von Wolfgang Schäuble erinnern: „Der Islam ist Teil Deutschlands.“ Dieser Satz bleibt gültig. Es ist aber genauso klar: Die Grundlage unseres Wertesystems und auch unseres Grundgesetzes ist und bleibt die christlich-jüdische Tradition. Klar ist auch: Für einen radikalen Islam, der unsere Werte infrage stellt, ist kein Platz in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben keine schnellen Antworten. Wir werden um so manche Frage ringen müssen. Ich nehme die Ängste und Sorgen unserer Bevölkerung, der Migranten und der Einheimischen, sehr ernst. Wir brauchen die Diskussion, die momentan aufgekommen ist. Aber wir müssen die Diskussion vor dem Hintergrund führen, dass es um die Kernfragen unseres Landes geht: Was hält uns zusammen? Wie wollen wir morgen leben? Erreichen wir wirklich eine Verständigung über diese entscheidenden Fragen angesichts von vielfältigen kulturellen Veränderungen, die vielen jetzt erst deutlich werden?

Jeder Einzelne muss sich fragen, was er zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft beitragen kann. Ich möchte, dass unser Land ein weltoffenes und tolerantes Land bleibt und dass es ein Land ist, in dem Vielfalt geschätzt wird. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Olaf Scholz (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manchmal hilft reden. Insofern war es gut, dass der Bundespräsident wiederholt hat, was der damalige Innenminister Schäuble in diesem Deutschen Bundestag vor einiger Zeit sagte: Der Islam ist Teil Deutschlands. -Es ist richtig, dass er das gesagt hat. Das wird deutlich, wenn man sieht, wie darauf reagiert wird, wie viele sich jetzt äußern und wie viele gerade auch der politischen Anhänger von Wolfgang Schäuble nicht seiner Ansicht sind. Manchmal muss man solche Reden so lange halten, bis sich alle einig sind.

(Beifall bei der SPD)

Reden alleine hilft aber nicht. Gerade was Integrationspolitik betrifft, gibt es eine große Kluft zwischen Reden und Handeln, zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was getan wird. Ja, am Anfang ist es manchmal so, dass man noch ganz verzaubert zuhört, wenn ein konservativer Politiker oder eine konservative Politikerin mit mehrjährigem Zeitverzug das richtig findet, was gegen ihn bzw. sie durchgesetzt wurde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das muss man erst mal hinkriegen! -Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Das ist ja unglaublich!)

Ich finde, man muss es als großen gesellschaftlichen Fortschritt begreifen, wenn das jemand jetzt erkennt und das als neue Wahrheit verkündet, was bitter, anstrengend und mühselig erreicht werden musste. Aber es ist schlecht, wenn man dabei verharrt, wenn es diese „Bis hier und nicht weiter“¬Strategie gibt, die einen nie in die Lage versetzt, den nächsten Schritt zu tun. Vor allem kommt es darauf an -das gilt gerade im Hinblick auf die Integrationspolitik -, dass man das Notwendige tut und nicht nur darüber redet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt viele Theorien darüber, wie Politikverdrossenheit in Deutschland entsteht. Meine These lautet: Eine der wichtigsten Ursachen dafür ist, dass viele Politiker oft das Richtige zu sagen wissen, aber nicht alle es richtig finden, ihren Reden auch Taten folgen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Gerade in der Integrationspolitik müssen wir die Bundesregierung und ihr Handeln deswegen kritisieren.

Zu den Integrationskursen. Wie wichtig es ist, dass man Deutsch kann, dass man Deutsch lernt und dass Integrationskurse angeboten werden, haben wir in den sehr aufgeregten Debatten der letzten Wochen und Monate gelernt; es ist so. Es war eine rot-grüne Bundesregierung, die gegen den Willen konservativer Gegner durchgesetzt hat, dass es Integrationskurse gibt.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das stimmt doch nicht!)

Es war eine von Sozialdemokraten und Grünen getragene Bundesregierung, die dafür gesorgt hat, dass das eine Bundesaufgabe ist, weil sich andere vorher gar nicht darum gekümmert hatten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun ist diese Sache aber ein so großer Erfolg geworden, dass die Mittel, die bisher dafür eingeplant waren, nicht mehr reichen. Es ist ganz furchtbar -ich sage ausdrücklich: furchtbar -, dass wir eine Debatte über die Frage führen, ob denn genügend an diesen Kursen teilnehmen, obwohl wir wissen, dass aufgrund der Tatsache, dass nicht ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wird, nicht jeder, der es möchte, an einem solchen Kurs teilnehmen kann. Es werden einfach nicht ausreichend Gelder zur Verfügung gestellt.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wir haben die Mittel erhöht! Doppelt so viel wie unter Rot-Grün!)

Das ist das Gegenteil dessen, was notwendig ist. Wir brauchen an dieser Stelle Taten und keine Reden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Grindel, Sie haben gesagt, die Mittel seien sogar erhöht worden. Das stimmt, aber die Mittel müssten noch viel mehr erhöht werden, wenn man das ernst nimmt. Denn es darf eigentlich nicht sein, dass viele Zigtausende wie in diesem Jahr die Kurse nicht wahrnehmen können, weil Sie eine Prioritätenliste aufgestellt haben, aufgrund derer viele, die das freiwillig wollen, das nicht tun können.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das ist doch gar nicht so!)

Es ist nicht in Ordnung, wenn Sie sagen, es gebe eine dreimonatige Wartezeit. Diese ist in der Realität nämlich noch viel länger. Das alles ist ein Fehler.

Das Gleiche gilt für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Sie streichen hier Milliarden, und zwar all die Maßnahmen, die Sie an anderer Stelle in Ihren Reden so richtig finden, wenn es um Integration geht. Ich sage Ihnen: Ihre Entscheidungen die Arbeitsmarktpolitik betreffend -das zeigt der Bundeshaushalt -sind nichts anderes als ein aktiver Kampf gegen erfolgreiche Integration in den nächsten Jahren. Es ist falsch, was Sie dort machen. Es müssen mehr Mittel für Qualifizierung und Arbeitsmarktintegration zur Verfügung gestellt werden, gerade für die Gruppen, um die es hier geht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie sehr Sie distanziert sind, sieht man an Ihrem anhaltenden und wieder aufflammenden Widerstand gegen die Regelung, dass jeder, der arbeitslos ist, einen Schulabschluss nachholen kann. Es war übrigens ein sozialdemokratischer Arbeitsminister, der durchgesetzt hat, dass in jedem Fall derjenige, der nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt und arbeitslos ist, zuerst die Sprache erlernen muss und dass es ein entsprechendes Angebot gibt. Wenn das alles so ist, dann darf man nicht nur darüber reden. Dann muss man auch entsprechend handeln. Bei Ihnen fehlen die Taten. Sie reden nur. Das ist zu wenig.

(Beifall bei der SPD)

Es ist notwendig, dass die Betreffenden etwas tun, um sich zu integrieren, dass sie sich anstrengen und bemühen. Was wäre ein größeres Zeichen als die Aussage: „Wer in Deutschland einen Schulabschluss macht, der kann seinen Aufenthaltsstatus damit verbessern und muss als Kind nicht in einem Duldungsstatus verbleiben“? Wo bleibt Ihre entsprechende Regelung? Wir, die sozialdemokratische Fraktion, haben längst einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Sie reden nur und lassen nicht die notwendigen Taten folgen. Das ist das Problem.

(Beifall bei der SPD)

Das Gleiche gilt für die Thematik des Anerkennungsgesetzes. In der letzten Legislaturperiode waren Sie erst gar nicht dafür; dann waren Sie dafür, eine Regelung ohne Gesetz zu machen, bei der sich alle ein bisschen abstimmen. Dann haben Sie in Ihren Koalitionsvertrag die vorher abgelehnte Regelung hineingeschrieben, und nun ist das Gesetz immer noch nicht da. Jetzt wird es uns für Dezember angekündigt. Dabei ist die Materie so einfach; das Gesetz hätte längst beschlossen werden können, wenn es nicht an irgendwelchen Widerständen scheiterte, die Sie bisher offenbar nicht überwinden konnten. Wir brauchen ein Anerkennungsgesetz, wir brauchen Taten und nicht weitere Reden zu diesem Thema.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich ist auch ein Bestandteil dessen, was notwendig ist, dass wir uns darum kümmern, dass diejenigen, die hier als Deutsche aufgewachsen sind, dies auch bruchlos fortsetzen können. Die Optionspflicht, die in unserem Staatsangehörigkeitsrecht enthalten ist, gehört abgeschafft. Sie ist ein falsches Mal gegen die Integration;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

es ist die falsche Botschaft, die an dieser Stelle ausgesandt wird. Auch hier reden Sie nur darüber, dass man das einmal prüfen solle. Es wäre eine Tat notwendig, und das Gesetz ist schnell und einfach gemacht. Wir hätten es längst beschließen können.

Das ist es, was wir meines Erachtens hinbekommen müssen. Wir müssen endlich den vielen Reden, die man ständig hört, Taten folgen lassen, damit es stimmt, was wir sagen. Jeder, der jetzt Deutsch lernen und die entsprechende Arbeitsmarktintegration erlangen will, der will, dass sich sein Kind auf der Schule anstrengt, soll wissen, dass es nach unseren Ankündigungen auch Folgen geben wird. Wir sind dafür verantwortlich, dass dies für jedes Detail zutrifft. Deshalb fordere ich Sie auf: Beschränken Sie sich nicht allein auf die Rede, sondern wenden Sie sich der Tat zu! Das ist es, was jetzt in Deutschland notwendig ist, und das wäre ein wirklicher Fortschritt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hartfrid Wolff (FDP) (Rems-Murr)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Verbindlichkeit ist das Schlüsselwort des vorliegenden achten Ausländerberichts. Verbindlichkeit ist das Schlüsselwort für erfolgreiche Integration und für erfolgreiche Integrationspolitik. Die FDP begrüßt den Wandel der Prioritäten in der migrationspolitischen Debatte, den Wandel hin zu einem Fördern und Fordern, mit verbindlichen Leistungen von beiden Seiten.

Zuwanderung ist ein Kompliment für Deutschland. Wer unseren Staat und unser Land immer nur kritisch beäugt, kann nicht erwarten, dass Zuwanderer sich damit identifizieren. Die kurdischstämmige deutsche Journalistin Mely Kiyak hob in einem Beitrag für das Goethe-Institut hervor, sie habe keine Angst vor Worten wie Kultur, Nation und Deutsch. Diese Worte seien aus ihrer Sicht angefüllt mit vielem, was ihr gefällt, mit Goethe, Schiller oder Heine. Sie forderte uns auf, wieder deutlich selbstbewusster mit unseren Worten, unserer Sprache umzugehen.

Wir sollten dieses Kompliment an unser Land nicht entwerten, indem wir unsere Erwartungen an Zuwanderer auf ein Maß reduzieren, das diesen Menschen nichts mehr zutraut. Ich meine, wir sollten sie als freie und kluge Köpfe achten, die große Anstrengungen unternehmen, sich in unserer Gesellschaft einzubringen. Wir wollen sie dabei fördern, aber auch ganz klar etwas von ihnen fordern. Migranten müssen sich verbindlich in unsere Gesellschaft integrieren, sich mit ihr verbinden, und die Politik muss dafür den verbindlichen Rahmen setzen und die nötigen Hilfestellungen leisten.

Die FDP will die Chancen der Zuwanderung in den Mittelpunkt stellen. Dabei muss der Zusammenhalt der durch Zuwanderer bereicherten deutschen Gesellschaft im Zentrum stehen. Wer dauerhaft hier leben möchte, der muss die eigene Integration aktiv voranbringen und die gebotenen Chancen ergreifen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deutschland ist nach der hierzulande gesprochenen Sprache benannt. Es ist eine lebendige, eine aufnehmende und eine einnehmende Sprache. Auch deshalb ist die Kenntnis der deutschen Sprache unerlässliche Voraussetzung für die Integration. Sie zu lernen ist für alle Zuwanderer verpflichtend und eröffnet Chancen, und zwar nicht nur auf dem Arbeitsmarkt. Deutsch ist innerhalb der EU die größte Muttersprache. Weltweit sprechen es rund 110 Millionen Menschen. Im Internet ist Deutsch nach Englisch die am meisten benutzte Sprache. Bei Übersetzungen ist Deutsch die größte Ziel-und drittgrößte Quellsprache überhaupt. Die Integrationskurse sind das wichtigste Instrument von Bundesseite gerade für den Spracherwerb. Wir haben sie gestärkt und stehen zu diesem außerordentlich wichtigen Beitrag des Bundes. An der Zielgenauigkeit und Effizienz werden wir weiter arbeiten.

Die FDP will Sprachstandstests für alle Kinder im Alter von vier Jahren, damit sie alle die gleichen Chancen bekommen. Bei Bedarf sind eine gezielte Sprachförderung vor Eintritt in die Schule sowie darüber hinausgehende unterrichtsbegleitende Sprachprogramme notwendig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU -Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was will die Bundesregierung?)

In Deutschland gilt die Meinungs-und Religionsfreiheit. Dies ist fundamental für unsere Werteordnung,

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch in Stuttgart!)

und dazu gehört auch, Religionen kritisieren und karikieren zu dürfen. Religionsfreiheit ist kein Freibrief, sondern findet ihre Grenzen in anderen Grundrechten unserer Verfassung. Toleranz gegenüber religiösen Überzeugungen und Praktiken endet da, wo die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage gestellt wird oder Grundrechte verletzt werden. Vermeintlich religiöses Brauchtum oder Traditionen müssen kritisch hinterfragt werden, wo sie der Kultivierung von Werten dienen, die im Widerspruch zur Werteordnung des Grundgesetzes stehen. Das Bekenntnis zu einer Religion berechtigt nicht zur Aufhebung der Schulpflicht, berechtigt nicht zur Befreiung von ordentlichen Unterrichtsfächern wie Sport und Schwimmen oder zur Nichtteilnahme an Schullandheimaufenthalten.

Wenn heute der Islam, wie es Bundespräsident Wulff richtig sagte, zur Wirklichkeit der deutschen Gesellschaft gehört, so beruht doch das Wertefundament unserer Kultur und Rechtsordnung auf der griechischen und römischen Antike und auf der christlich-jüdischen Tradition. Wer sich dauerhaft in Deutschland niederlässt, akzeptiert das mit diesem Schritt. In Deutschland gilt die Gleichberechtigung der Frau, und das ist für alle hierzulande verbindlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Zwangsheirat etwa ist damit unvereinbar. Wir werden noch in diesem Jahr einen eigenständigen Straftatbestand zur Bekämpfung der Zwangsheirat einbringen.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zwangsheirat ist schon strafbar! -Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wollen Sie für die Opfer tun?)

Dabei müssen nicht nur die Täter bestraft, sondern auch die Opfer unterstützt werden, etwa indem wir die Hürden beim Rückkehrrecht für Zwangsverheiratete abbauen.

Zuwanderung nach Deutschland ist keine Zuwanderung in einen leeren Raum, sondern in eine in zwei Jahrtausenden gewachsene Kulturlandschaft. Als Sprach-, Rechts-und Wertegemeinschaft räumen wir Zuwanderern die Möglichkeit ein, diese Errungenschaften zu nutzen und zu teilen. Umgekehrt ist niemand gezwungen, in Deutschland zu leben, der das nicht will.

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, schauen Sie bitte gelegentlich auf die Uhr.)

Vielen Dank, das werde ich tun. -Wir können es erreichen, dass statt abgeschotteten Parallelgesellschaften eine Verbindung zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern entsteht. Die Koalition wird dieses durch Fördern und Fordern gestalten und so den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft stärken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Harald Wolf, Senator Berlin

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wir haben in dieser Republik in den letzten Wochen eine intensive Diskussion über Integration, über Einwanderung geführt. Es war eine Diskussion, in der uns viele Beiträge nicht unbedingt klüger gemacht haben.

(Rüdiger Veit (SPD): Sehr wahr!)

Das gilt zuallererst für meinen Exkollegen Sarrazin.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer eine ganze Bevölkerungsgruppe, wer eine ganze Religionsgemeinschaft für nicht integrationsfähig erklärt, wer sagt: „Von denen sind zu viele hier, und die sind per se dümmer als die anderen“, der leistet keinen Beitrag zur Integration, der grenzt aus, der schürt dumme Ressentiments und rassistische Vorurteile, und das ist alles andere als das, was wir brauchen in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage aber auch -ich teile vieles von dem, was Sie gesagt haben, Herr Scholz -: Wenn eine Partei feststellt, dass es in ihrer Anhängerschaft Sympathien für diese Auffassung gibt

(Thomas Oppermann (SPD): Wovon reden Sie eigentlich?)

und sie dann in der Diskussion einen Schwerpunkt darauf legt, dass Integrationsverweigerung -das ist ja neuerdings das Wort -mit Sanktionen belegt werden muss, dann geht sie am eigentlichen Thema vorbei, nämlich an der Fragestellung: Was sind die Ursachen für die von ihr beklagte Abschottung, die es bei einzelnen Teilen der Migrationsbevölkerung in der Tat gibt? Das ist nämlich die Tatsache, dass diese Gesellschaft ihnen nicht gleiche Rechte, nicht gleiche Teilhabe gewährt und sie in dieser Gesellschaft nicht sozial partizipieren lässt. Da liegt die Ursache, und daran müssen wir arbeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen in diesem Land ein Selbstverständnis darüber, dass wir Einwanderung wollen, dass wir eine positive Grundhaltung zur Einwanderung haben. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass wir die Konflikte, die mit Einwanderung verbunden sind, bewältigen, diskutieren und austragen können.

Hier ist mehrfach das Stichwort Zwangsverheiratung gefallen. Natürlich ist dies etwas, was wir in Deutschland nicht akzeptieren können und was auch nicht akzeptabel ist; darin sind wir uns alle einig. Ich sage aber: Wir müssen auch darüber reden, was alles hinter deutschen Wänden geschieht, welche Gewalt gegen Frauen ausgeübt wird. Das ist ein gesellschaftliches Problem und nicht nur ein Migrationsproblem.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin froh, dass der Bundespräsident in seiner Rede eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen hat, um nicht zu sagen, eine Banalität, nämlich die Banalität, dass, wenn wir eine Vielzahl von Menschen haben, die eingewandert und islamischen Glaubens sind, die Bestandteil dieser Gesellschaft sind, damit auch der Islam Bestandteil dieser Gesellschaft ist. Das ist eine Banalität, meine Damen und Herren, und ich bin erstaunt darüber, dass es angesichts dessen jetzt wieder diese unsägliche Diskussion zum Beispiel in den Reihen der CDU/CSU über die Frage gibt, was denn die Leitkultur in Deutschland ist. Wenn man sagt, der Islam gehöre nicht zur Leitkultur, dann sagt man diesen Menschen, dass sie nicht zu uns gehörten. Genau das ist die Botschaft, die man auch wieder nicht braucht.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Vielmehr müssen wir klar sagen: Das, was hier Leitkultur ist, sind Demokratie und Menschenrechte und sonst nichts, keine Weltanschauungen und keine religiösen Auffassungen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe schon mehrfach gesagt, dass wir eine Willkommenskultur gegenüber Einwanderern in diesem Land brauchen. Dies setzt natürlich auch voraus, dass wir die Immigrantinnen und Immigranten fördern. Sie haben in Ihrer Rede auch gesagt, Frau Böhmer, dass dies notwendig ist, und an den schönen Leitsatz erinnert, den wir auch aus anderen Bereichen kennen: Fördern und Fordern. Ich stelle allerdings fest, dass das Fordern deutlich stärker als das Fördern betont wird. Herr Scholz hat angesprochen, dass die Mittel für Integrationskurse und Deutschkurse nicht ausreichend sind. Teilweise konnten Maßnahmen in diesem Jahr wegen fehlender Mittel nicht durchgeführt werden. Deshalb sage ich: Es ist Integrationsverweigerung vonseiten der Bundesregierung, wenn hier keine ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme aus einem Bundesland, in dem über 40 Prozent der unter 18¬Jährigen einen Migrationshintergrund haben. Wir können uns Integrationsverweigerung nicht leisten. Integration ist eine zentrale Zukunftsfrage für unsere Stadt: die Frage, wie wir den Menschen, die eingewandert sind, gleiche Teilhabe, gleiche Chancen in unserer Stadt geben können. Das geht allerdings nur mit entsprechenden Anstrengungen und Maßnahmen. Wir haben zum Beispiel in den letzten sechs Jahren große Fortschritte bei der Reduzierung der Anzahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund erzielt, die die Schule ohne Abschluss abgebrochen haben. Innerhalb von sechs Jahren konnte deren Anteil um 50 Prozent reduziert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Er ist immer noch zu hoch; aber eine Reduktion um 50 Prozent zeigt: Wenn man sich den Menschen zuwendet, wenn man politische Maßnahmen ergreift, dann kann man auch die Abbrecherquote und das Bildungsversagen reduzieren. Deshalb haben wir in den zwei Legislaturperioden, in denen diese Koalition in Berlin regiert, zwei Integrationskonzepte mit dem Motto aufgelegt: Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken. Das ist unser Motto in der Integrationspolitik. Dabei ist die Bildungspolitik eine Schlüsselfrage. Wir brauchen eine Veränderung der Institutionen in unserem Bildungssystem. Bildung darf nicht mehr ausgrenzend sein. Wir kommen auch hier, bei der Integrationspolitik, wieder zu diesem Thema. Wir brauchen ein Schulsystem, das nicht die Segregation fördert, das nicht die Kinder frühzeitig auseinandersortiert: nach Einkommen der Eltern, nach Herkunft, nach Nationalität und nach Religion, sondern wir brauchen ein integratives Schulsystem, in dem die Kinder möglichst lange gemeinsam lernen, damit sie auch voneinander lernen können und damit die Integration vorangetrieben werden kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert (SPD[/efn_note]

Deshalb haben wir uns in Berlin dafür entschieden, die Hauptschule abzuschaffen. Die Hauptschule ist eine Restschule gewesen, in die frühzeitig diejenigen aussortiert worden sind, von denen man gesagt hat: Sie haben keine ausreichende Chance. -Es ist ein Verbrechen an den Kindern gewesen,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

ihnen im frühesten Alter zu sagen: Ihr habt keine Perspektive mehr in dieser Gesellschaft.

Das war auch die Grundlage dafür, dass es zu Zuständen wie an der Rütli-Schule gekommen ist. Wir haben an der Rütli-Schule eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen. Sie ist heute eine Vorzeigeschule, an der es gute Bildungserfolge und gute Abschlüsse gibt.

Wir haben das Ganztagsangebot ausgebaut. Mit unserer Schulreform, bei der wir die Sekundarschule eingeführt haben, in der Haupt-, Real-und Gesamtschule zusammengefasst worden sind und die bis zum Abitur führen kann, haben wir ein verbindliches Ganztagsangebot geschaffen. Im Jahr 2011 werden alle Kitajahre gebührenfrei sein. Auch das ist eine wichtige Voraussetzung für Integration und dafür, dass alle in diesem Land die gleiche Chance haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bildung ist das eine Thema, Arbeit ist das andere Thema. Das Stichwort Berufsabschlüsse ist schon angesprochen worden. Wir haben qualifizierte Menschen in diesem Land, die einen Berufsabschluss haben, die in diesem Beruf aber nicht arbeiten können. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Integrationspolitik nicht akzeptabel. Es ist aber auch unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Zukunft dieses Landes nicht akzeptabel, dass man die Fähigkeiten, die Qualifikationen und die Talente Zehntausender Menschen ungenutzt lässt und sie da vom Arbeiten abhält, wo sie ihre Qualifikationen und ihre Fähigkeiten einbringen könnten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb brauchen wir dringend die Regelung zur Anerkennung der Berufsabschlüsse.

Wenn Menschen mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus per Gesetz vom Arbeiten abgehalten werden, braucht man sich nicht zu wundern, dass Integration nicht funktioniert. Wir müssen für die Menschen, die dauerhaft hier leben, auch dann, wenn sie einen ungesicherten Aufenthaltsstatus haben, den gleichen Zugang zu Bildung und Arbeit gewährleisten. Das ist eine zentrale Voraussetzung für Integration und dafür, dass die Einwanderung in dieses Land gelingt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört noch etwas, meine Damen und Herren: gleiche politische Rechte in diesem Land. Nur wer hier mitbestimmen kann, nur wer hier an politischen Entscheidungen gleichberechtigt mitwirken kann, wird sich auch mit diesem Gemeinwesen identifizieren können. Man kann doch nicht glauben, dass Menschen, die man vom Wahlrecht ausschließt, die politischen Entscheidungen, die ohne ihre Mitwirkung getroffen werden können, mit Begeisterung hinnehmen. Selbst von denen, die das Wahlrecht haben, werden nicht alle politischen Entscheidungen mit Begeisterung hingenommen.

(Jörg van Essen (FDP): Hauptsache, sie werden hingenommen! -Rüdiger Veit (SPD): Oder die Begeisterung lässt nach!)

Das heißt, wir brauchen eine Entwicklung, bei der wir den Menschen, die in dieses Land eingewandert sind, gleiche Teilhabe am politischen Geschehen ermöglichen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir brauchen eine Öffnung aller gesellschaftlichen Institutionen. Wir brauchen mehr Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst. Wir müssen in den Unternehmen das Bewusstsein dafür schaffen, dass zu ihren Kunden auch Menschen mit Migrationshintergrund zählen, dass sich das auch in den Belegschaften und in den Führungsebenen widerspiegeln muss.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir haben gegenwärtig in der deutschen Medienlandschaft einen Migrationsanteil von 2 Prozent. Wenn wir der gesellschaftlichen Realität in diesem Land Rechnung tragen würden, müsste dieser Anteil fast zehnmal so hoch sein. Das zeigt, welche Aufgabe wir noch vor uns haben, um in der Integration weiter voranzukommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist eine große Herausforderung, daran zu arbeiten, dass es soziale, kulturelle und ökonomische Teilhabe für alle Menschen, die in diesem Land leben, gibt. Für uns stellen Integration, gleichberechtigte Teilhabe und gleiche Chancen für Menschen, die in dieses Land eingewandert sind, eine zentrale Frage der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit dar. Hiermit sind neue Probleme verbunden, und hierdurch werden neue Fragen aufgeworfen; so besteht etwa ein erheblicher Veränderungsbedarf auch im Institutionensystem der Bundesrepublik Deutschland. Wir können nicht nur Veränderungen bei denen, die die hier eingewandert sind, verlangen; nein, diese Gesellschaft muss sich ändern, damit sie für Menschen mit Migrationshintergrund aufnahmefähig wird und ihnen gleiche Chancen eröffnet.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Memet Kilic (B90/GRÜNE)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Lagebericht der Integrationsbeauftragten ist zwar erneut ein profundes Nachschlagewerk, aber man fragt sich auch: Wie will die Bundesregierung die dargestellten Probleme lösen? Wofür steht diese Bundesregierung überhaupt? Diese Fragen drängen sich auf, auch und gerade nach der inzwischen fünfjährigen Amtszeit von Frau Dr. Böhmer. Das Fehlen notwendiger Schlussfolgerungen aus ihrem Lagebericht ist Ausdruck der Ideen-und Konzeptlosigkeit dieser Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich Frau Dr. Böhmer nicht als Fürsprecherin von Migrantinnen und Migranten versteht, sondern vielmehr als Sprachrohr der konservativen Regierung. Besonders deutlich wird dies daran, dass gleichzeitig zu der anhaltenden Debatte über vermeintliche Integrationsverweigerer Kürzungen bei den Integrationskursen vorgenommen werden. Im Laufe dieses Jahres hat die Bundesregierung erhebliche Kürzungen bei den Integrationskursen durchgeführt. So wurde insbesondere die Kurszulassung von freiwilligen Teilnehmern eingeschränkt, was dazu führt, dass bereits heute 9 000 hochmotivierte Einwanderinnen und Einwanderer auf einen Kursplatz warten müssen. Bis zum Jahresende wird wegen der Einsparmaßnahmen der Bundesregierung voraussichtlich sogar 20 000 integrationswilligen Personen der Besuch von Deutschkursen verwehrt. Was haben Unionspolitiker dagegen getan? Gar nichts! Sie haben nichts Besseres zu tun, als aufgeregt über weitere Verschärfungen zu reden. Das ist ein falscher Weg. Das ist ein Irrweg. Das ist unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Erstens wissen wir überhaupt nicht, wie viele Integrationsverweigerer es tatsächlich gibt. Nur 40 Prozent der Einwanderer sind zur Teilnahme verpflichtet; 60 Prozent besuchen die Integrationskurse freiwillig. Wie viele Einwanderer sich ihrer Teilnahmepflicht aus welchen Gründen entziehen, wird überhaupt nicht erfasst. Auf meine schriftliche Frage, wie die Zahl von 10 bis 15 Prozent Integrationsverweigerer ermittelt wurde, bekam ich eine hilflos zusammengewürfelte Antwort mit Verweis auf verschiedenste Studien, die diese Aussage allerdings überhaupt nicht stützten. Die Studien sagen nichts über den Integrationswillen von Einwanderern aus und beziehen sich überhaupt nur auf bestimmte Teile der Einwanderer.

Zweitens gibt es bereits eine Reihe von Sanktionsmöglichkeiten. Sie reichen von Bußgeld über die Streichung von Sozialhilfe bis hin zur Ausweisung.

Solange die Zahl der Integrationsverweigerer unbekannt ist und die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten angeblich nicht genutzt werden, ist die Forderung nach weiteren Verschärfungen völlig absurd und mehr als ärgerlich. Denn die unseriösen Aussagen über integrationsunwillige Migranten prägen zu Unrecht ein negatives Bild von Einwanderinnen und Einwanderern. Das darf nicht sein. Unsere Mitmenschen haben das nicht verdient, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Nach jüngsten Umfragen haben 68 Prozent aller deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger mit unseren Migranten positive persönliche Erfahrungen gemacht. Das ist der beste Beweis dafür, dass entsprechende Phantomdebatten nur unserem Zusammenhalt schaden und das Klima vergiften können. Sie bringen nichts. Deshalb müssen wir diese Debatten wirklich unterlassen.

Auch in anderen Bereichen wie der Einbürgerung und der Bildung, dem Kernstück einer erfolgreichen Integrationspolitik, offenbart der Lagebericht den Reformunwillen der Bundesregierung und die Untätigkeit der Integrationsbeauftragten. Die ohnehin niedrigen Einbürgerungszahlen sind seit 2004 um rund ein Fünftel eingebrochen. In Ihrem Lagebericht findet sich kein Wort dazu, inwiefern das Ausklammern des Themas Einbürgerung bei den Integrationsgipfeln, die Verschärfung bei den Einbürgerungsmöglichkeiten oder das ideologische Festhalten an der Vermeidung der Mehrstaatigkeit zu dieser Entwicklung beigetragen haben, und kein Vorschlag dazu, wie die Integrationsbeauftragte gegensteuern möchte. Keine Meinung, keine Ahnung, kein Konzept -so sieht es aus!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der Lagebericht enthält auch keine Vorschläge zu Strukturänderungen und keine Empfehlungen an die Bundesländer für den Bildungsbereich. Nach wie vor verlassen Jugendliche mit Migrationshintergrund die Schule annähernd doppelt so häufig ohne Abschluss wie die ohne Migrationshintergrund. Was sind also die Versprechungen der Bundesregierung auf den diversen Integrations-und Bildungsgipfeln wert?

Wir brauchen ein neues Bildungssystem, das Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft dabei fördert, die Schule bis zum Abitur zu besuchen. Das Dreiklassenschulsystem aus dem 19. Jahrhundert bewirkt mit seiner sozialen Selektion genau das Gegenteil. Neunjährige Kinder haben Zukunftsängste, weil sie nicht wissen, bei welcher Schulart sie landen. Wenn sie auf der Hauptschule landen, wissen sie, dass sie auf das Abstellgleis gestellt worden sind. Das kann nicht die Zukunft unserer Republik sein. Wir müssen dieses Schulsystem reformieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wer sich jedoch wie die Bundesregierung hartnäckig weigert, hier ein Problem der strukturellen Diskriminierung zu erkennen, ist auch nicht in der Lage, adäquate Lösungsvorschläge zu entwickeln.

Sehr geehrte Frau Böhmer, es ist nicht sachgemäß, die Integration auf Sprachkenntnisse zu reduzieren. Integration ist Teilhabe. Wir müssen erklären, was wir mit den jungen Menschen machen, die bereits sehr gut Deutsch können. Die Migrantenkinder der dritten Generation haben ein Studium an einer der Universitäten dieses Landes absolviert, sind aber oft nur gut genug, um Taxi zu fahren.

Wir müssen erklären, warum in unserem öffentlichen Dienst so wenige Migrantenkinder beschäftigt sind. Die größte Parallelgesellschaft in unserem Land ist der öffentliche Dienst;

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

das muss sich ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Dr. Böhmer hat zwar eine Migrantenquote von 20 Prozent im öffentlichen Dienst gefordert; aber ihren schönen Worten folgen keine Taten.

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, bitte werfen Sie einen Blick auf die Uhr.)

Gerne. -Die populistischen Grabenkämpfe zwischen „uns“ und „denen“ helfen uns wirklich nicht; eine Stigmatisierung ist nicht hilfreich. Deshalb meine ich: Wir müssen ein Wirgefühl entwickeln. Dies ist unser Land; wir Einwanderer und unsere Nachkommen lieben unser Land Deutschland. Wir werden unsere freiheitliche demokratische Grundordnung mit verteidigen. Wir werden unser Land Hand in Hand zu einem besseren Deutschland machen, in einem besseren Europa und einer besseren, friedlicheren Welt; das ist unser Anspruch, unser Traum.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident Hessen

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Die hessische Landesregierung hat dem Thema der Integration seit über zehn Jahren eine besonders wichtige Rolle zugewiesen.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass unsere Politik bundesweite Anerkennung erfahren hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte deshalb in dieser Debatte einige Bemerkungen machen; sie werden sich unter anderem von dem, was Sie, Herr Senator Wolf aus Berlin, dazu ausgeführt haben, deutlich unterscheiden. Wir haben als Erste in Deutschland auf Landesebene einen Integrationsbeirat geschaffen. Wir waren die Ersten in Deutschland, die Deutschkurse vor der Einschulung für alle Kinder verbindlich eingeführt haben. Wir waren die Ersten, die -sehr präzise -Einbürgerungskurse gefordert haben. Herr Kollege Scholz, ich kann mich sehr gut erinnern, dass diese Forderung damals heftigst umstritten war, nicht zuletzt bei SPD und Grünen. Heute ist das in Deutschland Allgemeingut. Das ist gut so. Deshalb können wir zunächst gemeinsam feststellen: Wir sind weitergekommen,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP -Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Und ihr habt Unterschriften gesammelt!)

nicht zuletzt deshalb, weil manche von Illusionen Abschied genommen haben.

Überhaupt möchte ich feststellen, dass wir in Deutschland die Herausforderungen der Integration besser bewältigt haben als manche unserer Nachbarländer.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Da hat er recht!)

Diese Erfolge sind auch das Ergebnis der Arbeit der Bundesregierung

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Mehrerer Bundesregierungen!)

und insbesondere der Beauftragten Frau Staatsministerin Böhmer. Ihnen möchte ich für Ihre Arbeit herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Lieber Kollege Scholz, Ihre Bemerkung war durchaus interessant, aber sie war falsch. Es war nicht die rot-grüne Bundesregierung, sondern die Bundesregierung, die von Angela Merkel geführt wurde, die den Nationalen Integrationsplan, den Integrationsgipfel und die Islam-Konferenz eingeführt hat. Dies hätten Sie auch alles tun können. Warum Sie es nicht getan haben, weiß ich nicht.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil Sie damals im Bundesrat alles zertrümmert haben!)

Dass es eine christdemokratisch geführte Bundesregierung war, die dies eingeführt hat, erwähne ich heute mit Dankbarkeit und mit Stolz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP -Mechthild Rawert (SPD): Eine Showveranstaltung!)

Der vorgelegte Bericht ist Zeugnis vielfältiger Initiativen und Aktivitäten. Er bietet eine Fülle von Informationen. Er zeigt Erfolge auf, und er weist auf Defizite hin. Wenn wir die Debatte offen und gründlich führen wollen, müssen wir alle zugeben, dass wir bei der Integration an vielen Stellen noch am Anfang stehen.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie lange noch?)

Nicht zuletzt die heftigen Debatten der letzten Wochen haben uns gezeigt, wie groß die Herausforderungen auf diesem Wege noch sind.

(Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Außer in Hessen!)

Viele Menschen in unserem Land empfinden das sichtbare Ausbreiten fremder Kulturen nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung ihrer Identität. Nicht selten haben die Menschen das Gefühl, dass die Politik ihre Sorge nicht ernst nehme,

(Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Sie schüren doch die Ängste!)

dass falsch verstandene Political Correctness dafür sorge, dass man über diese Themen am besten nicht spreche.

(Mechthild Rawert (SPD): Jetzt bin ich gespannt, was als Nächstes kommt!)

Nur so kann man sich die massive Wirkung der Thesen eines ehemaligen Vorstandsmitglieds der Deutschen Bundesbank erklären. Es ist deshalb unsere gemeinsame Pflicht, diese Sorgen aufzunehmen und bei den Bürgern das verlorengegangene Vertrauen wiederzuerwerben. Es ist gut, dass wir diese Debatte engagiert und gründlich führen. Ein Klima des Misstrauens kann weder für die angestammte Bevölkerung noch für die Zuwanderer jene Grundlage schaffen, die wir für gelungene Integration brauchen.

Wir müssen diese Debatte offen, ohne Scheuklappen und ohne Schaum vor dem Mund führen.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Und menschenwürdig!)

Wir müssen klar sagen: Gelungene Integration wird länger brauchen, als viele dachten, sie wird schwieriger sein, als sich viele erhofften, und sie wird von uns allen mehr Kraft einfordern, als die meisten glauben. Sie wird und sie kann nur gelingen, wenn wir die Diskussion darüber engagiert und sachlich zugleich führen, mit Sorgfalt in der Sprache, mit Klarheit in der Sache und in gegenseitigem Respekt.

Frau Professor Böhmer hat recht -das haben alle Redner eingeräumt -: Es ist eine Schlüsselfrage für unser Land, wie es uns gelingt, vom Nebeneinander, vom gelegentlichen Gegeneinander zu einem echten Miteinander zu kommen, um gemeinsam die Grundlagen für Erfolg und für friedliche Entwicklung für alle Seiten zu legen.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das lernen wir von der hessischen CDU!)

Wenn das die Aufgabe ist -darauf müssten wir uns gemeinsam verständigen können -, dann wird uns dies nicht gelingen ohne einen Kompass, der uns anzeigt, wie und wohin sich unsere Gesellschaft entwickeln soll.

In diesem Zusammenhang ist oft und aus meiner Sicht häufig sehr verkrampft auf den Begriff der Leitkultur verwiesen worden. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass der Weg in eine gemeinsame Zukunft Leitplanken braucht, wenn er nicht zum Irrweg werden soll. Deshalb: Wir haben eine Leitkultur. Zu dieser Leitkultur gehört vor allen Dingen die Trennung von Staat und Kirche.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -Lachen bei Abgeordneten der LINKEN -Kathrin Vogler (DIE LINKE): Dann machen Sie einmal etwas!)

Sie ist das Gegenmodell zur islamischen Scharia. Daraus folgt zwingend, dass die Scharia nicht die Grundlage einer gelungenen Integration in unserem Land sein kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP -Ulrich Kelber (SPD): Einen Popanz bauen Sie hier auf! -Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Not in Ihrer Partei scheint groß zu sein, dass Sie das hier ablassen müssen!)

Wir brauchen die Herausbildung eines Islams, den Bassam Tibi schon vor etlichen Jahren als europäischen Islam bezeichnete. Es muss uns gelingen, islamgläubigen Menschen in unserem Land durch islamische Autoritäten ein Religionsverständnis zu vermitteln, das ihre Treue zu ihrer Religion mit den Anforderungen eines säkularen Staates des 21. Jahrhunderts versöhnt. Die Politik allein kann das nicht erreichen. Wir können aber helfen, Entwicklungen zu fördern, indem wir zum Beispiel islamische Theologen an unseren Hochschulen ausbilden. Wir müssen hier in Deutschland Religionslehrer ausbilden, die Deutsch sprechen, mit diesem Land vertraut sind und sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen.

Wenn wir über die Voraussetzungen einer gelungenen Integration sprechen, müssen wir auch anerkennen, dass die vielen Menschen islamischen Glaubens zu diesem Land gehören. Dies gilt übrigens auch für die nicht wenigen Bürgerinnen und Bürger, die bewusst keine religiöse Bindung haben. Sie alle gehören zu unserem Land und sind Teil unserer Gesellschaft.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können Sie sich nicht mal einen Termin bei Herrn Wulff geben lassen?)

Wenn man nach einem Weg sucht, sehr verehrte Frau Künast, die Zukunft gemeinsam zu gestalten, dann ist es wichtig, dass wir uns über unsere Identität im Klaren sind. Die Grundlagen unserer Gesellschaft und unseres Staatsverständnisses sind die christlich-abendländische Tradition, ihre Kultur und die Aufklärung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Und das Grundgesetz! – Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jüdisch haben Sie vergessen!)

Diese Grundlagen müssen auch in Zukunft gelten. Sie müssen das Fundament unserer Gesellschaft bleiben. Wir würden viel verlieren und nichts gewinnen -das gilt insbesondere für den Respekt der Zuwanderer -, wenn wir diese Leitplanken aufgeben. Das bedeutet konkret: Wir dürfen erwarten, dass Menschen, die sich freiwillig entschieden haben, hier zu leben, dieses Land mit seinen Gesetzen und Lebensweisen achten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir dürfen erwarten, dass sie zum Wohlstand des Landes, von dem sie sich ein besseres Leben erhoffen, beitragen, und sich nicht von dessen Bewohnern abgrenzen. Wir müssen erwarten, dass sie selbst ein Teil dieser Gesellschaft werden wollen. Sie müssen ihre Herkunft und ihre Religion nicht verleugnen. Sie sollen aber auch nicht beabsichtigen, der angestammten Bevölkerung ihre Religion und Kultur aufzudrängen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP -Zuruf von der LINKEN: Wer macht das denn?)

Als aufnehmende Gesellschaft können wir Wege weisen und Hilfe anbieten. Wir können den Zuwanderern aber nicht die Verantwortung für ihr Leben abnehmen. Zu dieser Verantwortung -darauf könnten wir uns wahrscheinlich alle gemeinsam verständigen -muss es doch gehören, die Landessprache zu lernen und die Kinder in Kindergärten und Schulen zu schicken.

Im Hinblick auf unsere Integrationspolitik setzen wir hohe Maßstäbe. Um es mit den Worten von Max Frisch zu sagen: Wir wollen denen, denen die Heimat zur Fremde, die Fremde aber nicht zur Heimat geworden ist, eine Heimat geben. Wer sich in der Fremde immer wie ein Fremder verhält, wird fremd bleiben und diese Heimat nicht finden. Heimat wird hier nur der finden, der diese Heimat annimmt und sich auch klar zu diesem Land bekennt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege Kilic, das ist ein offenes und faires Angebot. Es sind klare Leitplanken, die besagen, wie eine Zukunft aussehen soll, und zwar gestützt auf die Erkenntnisse, die wir dem vorgelegten Bericht entnehmen können. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass diese Debatte intensiv weitergeführt wird und über die Schlagzeilen des Tages hinaus wirkt. Ich wünsche der Bundesregierung und vor allem auch Ihnen, Frau Professor Böhmer, für Ihre Arbeit viel Erfolg. Die hessische Landesregierung wird Sie auch in Zukunft engagiert unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Rüdiger Veit (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich mit einem Punkt beginnen, über den ich mit meinem unmittelbaren Vorredner einer Meinung bin: Auch wir möchten Frau Professor Böhmer und all ihren Mitarbeitern -denen, die hier sind, und auch denen, die das jetzt im Fernsehen verfolgen -ganz herzlich für die herausragende und wirklich gewichtige Arbeit danken. Es ist schon gesagt worden, dass es sich um ein recht profundes Datenmaterial handelt. Ich teile ¬das liegt in der Natur der Sache -nicht alle Schlussfolgerungen, aber doch manche.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gibt es überhaupt Schlussfolgerungen? Ich konnte nichts feststellen!)

Wenn meine Redezeit dafür reicht, komme ich vielleicht auf das eine oder andere zurück.

Es gibt mindestens zwei aktuelle Ereignisse, deretwegen mehr oder weniger aufgeregt, mehr oder weniger gehaltvoll und mehr oder weniger erkenntnisreich über Integration gesprochen wird. Ein Grund -Frau Professor Böhmer hat das Thema eingebracht -sind die Thesen von Herrn Sarrazin. Herr Bürgermeister und Senator Wolf, wir Sozialdemokraten können mit diesem Problem umgehen und benötigen keine hilfreiche Unterstützung, auch nicht von Ihnen.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Na, na, na! -Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Sie wollen ihn aus der Partei ausschließen! Wenn das alles ist, was Ihnen einfällt!)

Zu den Thesen von Herrn Sarrazin hatte ich übrigens schon vor Veröffentlichung dieses Buches eine außerordentlich kritische Haltung. Ich darf an den Pullover für Hartz-IV-Empfänger und die Verköstigung von armen Kindern erinnern.

Es gibt eine weitere aktuelle Begebenheit, die der Grund dafür ist, dass insbesondere in den Reihen der CDU/CSU aufgeregt über Integration und Religion diskutiert wird. Ich will mich jetzt nicht nur mit dem Thema Religion auseinandersetzen, aber man kann es heutzutage kaum ausklammern -das haben auch meine Vorredner nicht getan -, wenn es um den Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland geht. Da 45 Prozent aller Muslime in Deutschland längst deutsche Staatsbürger sind, trifft sie diese Diskussion nicht, aber die anderen vielleicht. Da ich selten das Vergnügen habe, den Herrn Bundespräsidenten oder die Frau Bundeskanzlerin gegenüber ihren eigenen Parteifreunden in Schutz zu nehmen, kann ich es mir heute nicht verkneifen, zu sagen: Ich persönlich bin der Auffassung, dass das, was Herr Wulff in der Tradition der Äußerungen von Herrn Schäuble zu dem Thema gesagt hat, eine Selbstverständlichkeit ist. Bei dieser Gelegenheit darf ich vielleicht in unser aller Namen die besten Genesungswünsche an das Krankenbett von Wolfgang Schäuble übermitteln.

(Beifall)

Das, was der Bundespräsident zum Thema Islam gesagt hat, musste von der Bundeskanzlerin, wenn die Zeitungen das richtig wiedergegeben haben, in der CDU/CSU-Fraktion erst einmal interpretiert werden. Sie hat gesagt, das bedeute natürlich nicht, dass der Islam das Fundament des kulturellen Verständnisses Deutschlands sei. Das hat der Bundespräsident wohl in der Tat nicht sagen wollen. Da er nur auf ein selbstverständliches Faktum hingewiesen hat, ist die Aufregung in der Union für mich nicht verständlich. Ich denke an die Äußerungen von Herrn Geis, Herrn Friedrich, Hans-Peter Uhl und ¬diesbezüglich grenze ich mich ab -von Herrn Buschkowsky aus unseren Reihen. Ich wünsche mir nicht, dass Sie uns eines Tages bezichtigen, die Äußerungen des Bundespräsidenten uminterpretiert zu haben, weil er etwas gesagt hat, das Sie nicht für gut und richtig halten.

Bevor ich zum sogenannten Ausländerbericht komme, muss ich eine andere wichtige Klarstellung anbringen, und zwar zur Rede meines Vorredners, Volker Bouffier: Bei aller Verbundenheit über nunmehr 30 Jahre darf ich auf einen heftigen Gegensatz hinweisen. Ich wäre bis zum heutigen Tage nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet die hessische CDU dafür zu loben, dass sie seit Jahrzehnten Politik im Zeichen der Integration macht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ihr habt in der Tat Nachholbedarf. Dein von mir persönlich wesentlich weniger geschätzter unmittelbarer Amtsvorgänger kam, wenn ich mich richtig erinnere, im Landtagswahlkampf 1998/99 kurz vor Weihnachten auf die Idee, in jeder Hinsicht gegen die doppelte Staatsbürgerschaft

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegen Ausländer!)

mobil zu machen, weil er glaubte, dass nur noch dadurch das Ruder herumzureißen sei und die Wähler nur durch eine Kampagne gegen Ausländer zu mobilisieren seien. Das war nicht besonders integrationsfreundlich. Das war das genaue Gegenteil.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Das hieß aber „Ja zur Integration“!)

Ich erinnere mich nicht nur sehr gut daran, dass es im Winter 2008 ekelhaft kalt war -das war der schlimmste Straßenwahlkampf überhaupt -, sondern auch daran, dass damals wiederum dein von mir nicht so sehr geschätzter Amtsvorgänger am Beispiel krimineller jugendlicher Ausländer versucht hat, Wählerstimmen zu fangen. Dabei ist er vom Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Land Hessen, Christean Wagner, noch getoppt worden. In den letzten 14 Tagen dieses Wahlkampfs haben die beiden, wenn ich das richtig beobachtet habe, überwiegend gegen sich selbst und ihre eigenen Äußerungen Wahlkampf geführt. Das war vielleicht der Unterschied zu 1999.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte im Rahmen der kurzen mir noch zur Verfügung stehenden Redezeit noch auf etwas hinweisen. Passen Sie bitte in der Debatte jetzt und in Zukunft auf, dass es nicht ausgerechnet die Union ist -und jetzt manchmal auch die FDP -, die sich anhand einer ganzen Reihe von Beispielen folgenden Vorwurf, wie ich finde, noch einmal deutlich anhören muss: Seit nunmehr über zwölf Jahren -ich habe das miterlebt, gelegentlich mitgestaltet, manchmal sogar auch mit gelitten -hat ausgerechnet die Union zu rot-grünen Zeiten und als Koalitionspartner in der Großen Koalition entweder hier oder im Bundesrat, den wir praktisch für jede Gesetzesänderung auf diesem Gebiet brauchen -ausgenommen Integrationskurse; da sind Sie nach dem Motto „learning by doing“ vom Grundsatz her jetzt ganz gut dabei -, verhindert, was wir umsetzen wollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie reklamieren die Integrationskurse jetzt für sich; das ist gut. Wir haben sie gegen Ihren Widerstand durchgesetzt. Wir haben damals die Staatsbürgerschaftsreform nur um den Preis bekommen, dass wir das Verbot der Hinnahme von Mehrstaatlichkeit in das Gesetz geschrieben haben, was nicht gerade rauschenden Erfolg hatte. Das sieht man, wenn man die Einbürgerungszahlen betrachtet.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig!)

Sie waren es, die bei der Abschaffung von Duldung und Kettenduldung blockiert haben, und zwar mit dem Erfolg, dass wir uns noch heute über Bleiberechtsregelungen und die Frage, inwieweit diese Duldungen und Kettenduldungen in der Tat Integrationshemmnisse sind, intensiv Gedanken machen müssen. Dazu gibt es übrigens interessante Ausführungen in dem Bericht -ich habe keine Zeit, es vorzulesen -auf den Seiten 483 ff.

Sie haben erst jetzt entdeckt -spät ist vielleicht noch nicht zu spät -, dass man bei der Gewährung der elementarsten Menschenrechte für hier in Deutschland illegal lebende Menschen vielleicht ein bisschen nachbessern muss, zum Beispiel wenn es um die Frage geht, ob man mit den bestehenden Übermittlungspflichten nicht eine angemessene gesundheitliche Versorgung gerade von Kindern oder den Schulbesuch verhindert. Sie sind es gewesen, die jetzt erst -das war uns in der Großen Koalition leider nicht vergönnt -erkannt haben, dass wir ein erweitertes Rückkehrrecht der Opfer von Zwangsheirat haben müssen.

Sie sind es übrigens bis zum heutigen Tage, die im Bereich des Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige hier in Deutschland heftig auf der Bremse stehen, die das verhindern wollen, die sich stets und ständig dagegen aussprechen und hier auch dagegen stimmen. Sie sind es, denen wir das diskussionswürdige Problem hinsichtlich des Erwerbs vorheriger Sprachkenntnisse von Ehegatten im Ausland zu verdanken haben.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wo ist das Problem?)

Schließlich und letztendlich: Sie haben zwar jetzt die Vorbehalte gegen die Kinderrechtskonvention formal abgeschafft, aber Sie weigern sich, zur Kenntnis zu nehmen, dass das entsprechende Veränderungen des Aufenthaltsrechtes bei der Frage der Handlungsfähigkeit von 16-bis 18-jährigen jungen Leuten hat.

Diese ganze Reihe -ich könnte sie beliebig fortsetzen; zwölf Jahre sind eine lange Zeit -zeigt: Sie haben erheblichen Nachholbedarf, wenn es darum geht, durch gesetzliche Änderungen im Aufenthaltsrecht und im Staatsangehörigkeitsrecht die elementarsten Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland überhaupt integrieren können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege.)

Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident, ich komme zum Schluss. -Ich hoffe nicht, dass man im Ergebnis sagen muss und dass Sie sich dieses Prädikat anziehen wollen: Wir verweigern von staatlicher Seite die Integration dadurch, dass wir die elementarsten Voraussetzungen im Bereich des Rechtes, das unserer Beeinflussung unterliegt, nicht geschaffen haben. Deswegen hoffe ich, dass Sie im Lichte der jetzigen Debatte und dieses profunden Berichtes vielleicht zu anderen Erkenntnissen kommen.

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Das können Sie jetzt aber nicht im Einzelnen auflisten.)

Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident, diese Hoffnung wollte ich noch zum Ausdruck bringen. Danke für Ihre Geduld.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Serkan Tören (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich wundere mich sehr, Herr Kollege Veit und Herr Kollege Scholz, über die Forderungen, die Sie zum Schluss Stück für Stück aufgezählt haben. Davon haben Sie unter Rot-Grün nie gesprochen, und Sie haben auch nichts davon umgesetzt.

(Rüdiger Veit (SPD): Doch! Ständig! -Jerzy Montag

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er war nicht dabei!)

Ich finde es sehr interessant, dass Sie jetzt, etwa ein Jahr seit Sie nicht mehr in Regierungsverantwortung sind, diese Forderungen aufstellen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU -Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer hat die Integrationskurse eingeführt?)

Das verstehen Sie unter Integrationspolitik. Übrigens, Herr Kollege Scholz, reden und nicht handeln, das kann man Ihnen vorwerfen. Welche Bilanz hatten Sie nach sieben Jahren? Nennen Sie mir eine einzige Maßnahme im Bereich der Integrationspolitik, die Sie durchgesetzt haben. Nennen Sie etwas, das uns weitergeholfen hat. Dazu findet sich nichts in Ihrer Bilanz, im Gegenteil: Sie sperren sich auch einer Diskussion, die wir jetzt benötigen. Herrn Buschkowsky hörten Sie meist gar nicht zu; Sie laden ihn jetzt ein, wo es Ihnen genehm ist. Jahrelang war er für Sie gar nicht sichtbar; auch das muss man einmal feststellen. Erst jetzt, da es Ihnen genehm ist, fangen Sie an, Herrn Buschkowsky zu zitieren oder in Fernsehsendungen einzuladen. Entschuldigen Sie, aber das verstehe ich nicht.

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Tören, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?)

Serkan Tören (FDP): Ja, gerne.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Tören, Sie sind ja neu im Hohen Hause. Wären Sie vielleicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das rot-grüne Zuwanderungsgesetz, das wegen der Neinstimmen aus dem Lager von Union und FDP leider zwei Anläufe brauchte, das erste Ausländerrecht war, in dem Integrationskurse für Neuzuwanderer verbindlich festgelegt wurden -es war ein Rechtsanspruch und eine Pflicht für die Zuwanderer, innerhalb von zwei Jahren von diesem Rechtsanspruch Gebrauch zu machen -, dass wir unter den vorherigen schwarz-gelben Koalitionen jahrzehntelang ein Ausländerrecht hatten, in dem die Integration in keiner Weise geregelt war, und dass wir die gesamte Debatte um nachholende Integration nicht führen müssten, wenn wir das, was wir im Zuwanderungsgesetz beschlossen haben, 30 Jahre früher beschlossen hätten, weil wir die Probleme, über die wir heute reden, dann gar nicht erst bekommen hätten?)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Damals war es Ihre sogenannte bürgerliche Mehrheit, die sich verweigert hat, zu akzeptieren, dass Zuwanderung stattfindet. Sie haben von Gastarbeitern, die wieder gehen, gesprochen und der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut,

(Sibylle Laurischk (FDP): Ach, Herr Beck! Was soll denn das jetzt wieder?)

statt sich von Anfang an mit dem Thema Integration zu befassen.

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Beck, Sie wollten eine Zwischenfrage stellen.)

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Das habe ich auch getan. )

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Ach so. Das war mir nicht aufgefallen. Deswegen habe ich nur daran erinnern wollen.)

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es kam ein Fragezeichen. Ich werde es Ihnen im Protokoll zeigen. )

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Beck, ich merke schon: Die Kritik, die ich gerade geäußert habe, schmerzt Sie. Das, was ich gesagt habe, scheint wohl richtig zu sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Keine der Maßnahmen, die Herr Veit vorhin genannt hat, haben Sie umgesetzt; das muss man einmal feststellen.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Was für ein Ausmaß der Ignoranz! Das ist ja unglaublich! -Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind ahnungslos!)

„Warum Deutschland an der Integration scheiterte“, so titelte vor ein paar Wochen ein großes deutsches Nachrichtenmagazin. Ich sage Ihnen ganz offen: Als Bürger mit Migrationshintergrund, wie es so schön heißt, und Innenpolitiker halte ich diesen Titel für verfehlt.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was? Sie sind Innenpolitiker?)

Es ist doch mittlerweile Konsens: Wir haben jahrzehntelang versäumt, eine aktive und gestaltende Zuwanderungspolitik zu machen. Integration passiert nicht einfach so. Integration muss begleitet, gefördert und -das sage ich ganz klar -auch eingefordert werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU -Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh! Jetzt wird er auf einmal ganz seriös!)

Die Versäumnisse sind Mahnung und Begründung für viele der heutigen Herausforderungen in der Integrationspolitik, nicht mehr und nicht weniger. Ewiges Lamentieren und rückwärtsgewandte Debatten bringen uns nicht weiter.

(Jörg van Essen (FDP): Ja! Das Beispiel Beck hat das gerade wieder einmal bewiesen!)

-Genau.

Anders als einige Menschen, die Tabubauer und -brecher in Personalunion sind, erlebe ich eine sehr offene Debatte um die Integrationsprobleme in Deutschland. Das ist auch gut so. Denn harte Auseinandersetzungen gehören zur Streitkultur in einer demokratischen Einwanderungsgesellschaft; es wird mit harten Bandagen und Emotionalität diskutiert. Aber auch hier gilt: Grenzen einhalten und Spielregeln beachten! Die Grenze ist da, wo Menschen einfach nur diffamiert und ausgegrenzt werden. Es ist mühsam und nicht immer einfach, das durchzuhalten. Aber wir müssen mehr Pragmatismus und Differenzierung in die Debatte bringen; das ist ganz wichtig.

Pauschal von den Integrationsproblemen der Ausländer oder der Muslime zu sprechen, bringt uns nicht weiter. Ich bin der Integrationsbeauftragten aufgrund ihres Engagements und der regelmäßigen Publikationen für die sehr differenzierte Auseinandersetzung mit den sehr unterschiedlichen Lagen der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland sehr dankbar.

Meine verehrten Damen und Herren, zur Wahrheit gehört: Wir haben bereits viele wichtige Antworten gegeben und Erfolge vorzuweisen; zu nennen sind insbesondere die Integrationskurse. Es ist nicht richtig, dass wir an dieser Stelle gekürzt haben -das stimmt nicht -, sondern wir haben die Mittel sogar erhöht.

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Genau!)

Ich sage an dieser Stelle ganz offen: Natürlich gibt es noch Verbesserungsbedarf; die Baustellen sind uns bekannt. Dennoch: Die Integrationskurse sind eine Erfolgsgeschichte. Seit 2005 haben mehr als 600 000 Migranten an einem solchen Kurs teilgenommen; weit mehr als die Hälfte davon waren Freiwillige. Das ist eine tolle Bilanz. Diese Erfolgsgeschichte wird weitergehen. Trotz angespannter Haushaltslage werden wir hierfür 2011 einen Betrag von 218 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist ein klares Bekenntnis zur Integrationspolitik. Ich möchte ein Thema ansprechen, dem wir uns wieder viel bewusster stellen müssen; die aktuelle Debatte um die Äußerungen unseres Bundespräsidenten zeigt diesen Bedarf deutlich. Es geht um die Fragen: Was wollen wir von unseren Zuwanderern verlangen? Was können Zuwanderer von uns erwarten? Es geht um Zielstellungen und um ein gemeinsames Leitbild. Diese sind unabdingbar für die Motivation von Migranten und insbesondere auch für unser Gemeinwesen. An dieser Stelle warne ich aber auch vor einer falsch verstandenen Toleranz. Sie ist in meinen Augen das andere Spektrum der unsachlichen Debatte.

Mitglieder von Migrantengruppen und ihre Nachkommen verdienen es, als Individuen gleichbehandelt zu werden. Ich sehe keinen Anlass, ein muslimisches Mädchen vor dem Gesetz anders zu behandeln als ein christliches oder jüdisches. Das gilt beispielsweise für den Schwimmunterricht, den gemeinsamen Sportunterricht oder für Klassenfahrten.

Wir dürfen uns nicht neutral verhalten und wegsehen, wenn Gruppierungen diese Prämissen nicht akzeptieren und mit Füßen treten. Dann haben diese Menschen in unserer Gesellschaft keinen Platz. Das müssen wir klarmachen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit „wir“ meine ich alle, auch die Zugewanderten, die in der Mehrzahl ihren Platz in Deutschland gefunden haben.

Wir müssen uns die Frage stellen: Was kann oder was muss das verbindende Glied sein? Vielfältigkeit und Toleranz dürfen nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Ich denke, in diesem Saal besteht Einigkeit darüber, dass das Grundgesetz selbstverständlich die Richtschnur ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist nicht an der Integration gescheitert, und Deutschland wird auch nicht an der Integration scheitern. Integration ist ein gesellschaftlicher Prozess, der nicht irgendwann abgeschlossen sein wird, sondern stetig weitergeht. Wie erfolgreich er weiterhin verlaufen wird, hängt von vielen Faktoren ab.

Aber der nachhaltige Erfolg hängt vor allem von den Antworten auf folgende Fragen ab: Wie werden wir die im Grundgesetz formulierten Werte in die Praxis umsetzen und sie durchsetzen? Wie werden wir eine gemeinsame Identität jenseits von kulturellen Unterschieden schaffen können?

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Ende. )

Das ist die Herausforderung, der wir uns mit Offenheit und Selbstbewusstsein zugleich stellen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Josef Philip Winkler (B90/GRÜNE)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wenn ich eben Frau Böhmer richtig verstanden habe, hatte sie gemeint, dass die Probleme, die bei der Integration von Ausländerinnen und Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland bestünden, Rot-Grün oder die Ausländer selbst verursacht hätten, indem sie sich nicht integrieren wollten. Sie sprachen von falsch verstandenem Multikulti. Ich sage Ihnen -das wurde eben schon vom Kollegen Veit angesprochen -, was das Hauptproblem der Integrationspolitik in diesem Lande ist: Erst unter Rot-Grün wurde zum ersten Mal Integrationspolitik in diesem Land gemacht.

Sie haben sich auch in dieser Zeit noch verweigert. Sie haben die Sprachkurse im Vermittlungsausschuss bekämpft.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Glatte Unwahrheit!)

Die Grünen und die SPD haben verpflichtende Deutschkurse für Ausländerinnen und Ausländer durchgesetzt. Sie wollten das Geld dafür nicht in die Hand nehmen. Sie haben gesagt, die Leute könnten doch zur Volkshochschule gehen. Sie bekämen schließlich Sozialhilfe und sollten die Kurse davon bezahlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD -Zuruf von der FDP)

Nun zur Zwangsheirat: Auch Sie, Herr Senator Wolf, haben gesagt, das sei nicht akzeptabel. -Zwangsheirat war in diesem Land noch nie legal. Wer über so etwas überhaupt nur nachdenkt, ist völlig neben unserem Rechtsverständnis.

Die rot-grüne Bundesregierung hatte das klargestellt und gesagt: Das ist selbstverständlich ein besonders schwerer Fall der Nötigung und mit bis zu fünf Jahren Gefängnis zu bestrafen. Jetzt sagen Sie: Das ist alles „lirum larum dumdideldarum“;

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Löffelstiel! -Zuruf des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD[/efn_note]

wir machen einen eigenen Straftatbestand. Dann kann es mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. -Bis zu fünf Jahre Haft? Das ist ja eine grandiose Idee!

Sie kommen jetzt mit fünf Jahren Haft; dabei wird es bis jetzt auch schon mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das muss man erst einmal hinbekommen! -Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Was denn?)

Wir müssen etwas gegen Zwangsheirat machen; das ist klar. Es gibt Zwangsheiraten. Allein die Tatsache, dass sie strafbar sind, verhindert sie nicht. Aber wo ist denn da Ihr Konzept? Einen neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch einzuführen, wird keine einzige Zwangsheirat verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt zur Rede des Bundespräsidenten. Wenn ich höre, dass der Bundespräsident sagt, wir fußen natürlich auf der christlich-jüdischen Tradition, sage ich: Selbstverständlich, wer hat das Gegenteil behauptet? Wenn er sagt, natürlich seien in diesem Land Millionen von Muslimen hinzugekommen, sie blieben auch und würden wohl nicht wieder auswandern, wer könnte ihm widersprechen? Da kann ich nur sagen: Ich halte das, was in der Union dazu gesagt wird, für völlig abwegig.

Kollege Kauder, der eben noch hier war, hat dazu ein Interview gegeben und gesagt: Zu dieser Rede sind „erklärende Interpretationen notwendig geworden“.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Peinlich!)

Wie bitte? Zu was ist denn da eine Interpretation notwendig? -Er sagte:

Ein Islam, der die Scharia vertritt und in dessen Namen die Unterdrückung der Frau geschieht, kann nie und nimmer zu Deutschland gehören.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Maßstab für unser Zusammenleben ist das Grundgesetz, das auf unserem christlich-jüdischen Erbe beruht.

Ja, hallo? Wo sind wir denn hier?

(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): In Deutschland!)

Was hat denn der Bundespräsident gesagt? -Natürlich hat er nicht gesagt: Der Islam, der Frauen unterdrückt, gehört zu Deutschland, und wir sind froh, dass er da ist. -So ein dummes Geschwätz habe ich schon lange nicht mehr gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und dann noch die Kritik am Bundespräsidenten! Das geht gar nicht!)

Dazu sage ich -auch als Katholik -: Der Apostel Paulus hat gesagt, das Weib schweige in der Gemeinde. Dieser Aspekt des Christentums hat in unserem Grundgesetz auch nichts verloren -also, bitte schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und das aus deinem Munde, Josef! Danke!)

Zusammenfassend kann ich nur sagen: Ich verlange von Ihnen, dass Sie sich beim Bundespräsidenten entschuldigen, dass Sie ihm zuhören, wenn er eine Rede hält, und dass Sie das friedliche Zusammenleben der Religionen in unserem Land nie mit solchen Reden -ich sage manchmal sogar fast „Hetzreden“ -stören.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Stefan Müller (CDU/CSU) (Erlangen)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Winkler, eines ist ja sehr beruhigend: Die Tatsache, dass Sie den Bundespräsidenten, den Sie nicht gewählt haben,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Wahl war geheim!)

mittlerweile so gut finden, scheint ja Beleg dafür zu sein, dass Sie die Erkenntnis gewonnen haben, dass wir seinerzeit genau den richtigen Kandidaten aufgestellt und jetzt einen guten Bundespräsidenten haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann stehen Sie doch einmal zu ihm, statt ihn so zu kritisieren! Immer die Kritik am höchsten Amt! Ganz schrecklich!)

Wir führen heute ja eine wichtige gesellschaftspolitische Debatte. Ich finde, diese Debatte ist hier im Haus besser aufgehoben als in irgendwelchen Talkshows oder bei Buchbesprechungen oder Lesungen. Hier im Parlament ist die Debatte über Integrationspolitik zu führen. Es ist gut, dass wir das heute Vormittag tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Durch den Integrationsbericht wird gezeigt: Die Bundesregierung nimmt die Integration ernst. Wir werden das fortsetzen, was in den letzten Jahren auch in der Großen Koalition auf den Weg gebracht worden ist, das heißt, auch die guten Initiativen der letzten Wahlperiode werden fortgesetzt.

Herr Kollege Scholz, ich schätze Sie ja. Leider sind Sie offensichtlich Opfer von temporärer Amnesie geworden. Anders lässt es sich nicht erklären, dass Sie heute überhaupt kein gutes Haar mehr an dem lassen, was wir in den vergangenen Jahren auch gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Ich finde, das kann sich in der Tat sehen lassen.

Erstens. Es haben drei Integrationsgipfel stattgefunden ¬

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was sind die Ergebnisse? -Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo nichts herausgekommen ist!)

der vierte steht kurz bevor -, bei denen alle Akteure und alle am Thema Interessierten an einen Tisch gebracht und verbindliche Vereinbarungen getroffen worden sind.

Zweitens. 2007 wurden die Integrationskurse überarbeitet. Seitdem ist mehr Geld in die Hand genommen worden, und das Angebot an Integrations¬und Deutschkursen wurde ausgebaut. Bisher haben über 600 000 Personen einen Integrationskurs absolviert, wovon übrigens zwei Drittel Frauen waren. Wenn man also überhaupt irgendetwas gemeinsam feststellen kann, dann doch die Tatsache, dass die Integrationskurse wirklich eine Erfolgsgeschichte und ein wesentliches Instrument erfolgreicher Integrationspolitik sind.

(Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit (SPD): Vielen

Dank für diese Anerkennung! -Memet Kilic (BÜNDNIS

90/DIE GRÜNEN): Also keine Integrationsverweigerung!)

Wir haben auch dafür gesorgt, dass Sprachkenntnisse schon vor der Einreise erworben werden müssen, weil gerade für uns immer klar war, dass das Beherrschen der deutschen Sprache die Grundlage für erfolgreiche Integration und für gesellschaftliche Teilhabe ist. Hier kann ich Ihnen nur zurufen: Besser spät als nie. -Wir sind seinerzeit von Ihnen diffamiert worden. Von Zwangsgermanisierung war die Rede, als wir diese Forderung immer wieder erhoben haben. Insofern: Danke schön für diese Einsicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie die Leitkultur meinen, haben Sie recht!)

Nun kommt die Nörgelei der Opposition ja nicht wirklich überraschend. Sie kann damit aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Integrationspolitik Erfolge gibt und dass Erfolge sichtbar sind. Zum Beispiel haben junge Migranten ihren Rückstand aufgeholt, wenn es darum geht, Schulabschlüsse zu erwerben. Heute erwerben mehr junge Migranten einen weiterführenden Schulabschluss. Sie besuchen häufiger weiterführende Schulen und absolvieren in zunehmendem Maße ein Hochschulstudium. Die Erfolge sind auch nachgewiesen. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat erst vor wenigen Wochen sein Jahresgutachten 2010 vorgelegt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Integration in Deutschland besser gelingt, als es zum Teil in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, und vor allem auch besser als in vielen unserer europäischen Nachbarländer.

(Rüdiger Veit (SPD): Das erste wahre Wort in Ihrer Rede!)

Ich finde, das ist ein Erfolg, auf den wir durchaus gemeinsam stolz sein können. Auch so etwas muss in einer solchen Debatte angesprochen werden.

Angesprochen werden muss aber auch die Tatsache, dass es in der Integration auch Probleme gibt -das wird niemand bestreiten -: Zum einen ist die Arbeitslosenquote von Migranten immer noch doppelt so hoch wie die der deutschen Bevölkerung. Das ist in zweierlei Hinsicht ein Problem, weil erstens mit Arbeitslosigkeit immer ein größeres Armutsrisiko einhergeht und zweitens Arbeit mehr bedeutet als den Erwerb von Einkommen. Eine Arbeitsstelle bedeutet nämlich auch gesellschaftliche Teilhabe, und diese führt letztlich zur Integration.

Deswegen ist es wichtig, dass wir mit der Anerkennung der im Ausland erworbenen Bildungsabschlüsse in Deutschland vorankommen. Das Potenzial, das es in Deutschland gibt, muss auch gehoben werden. Derzeit können nämlich viele Migranten nicht in dem Maße beschäftigt werden, wie es ihrer Berufsausbildung entspricht. Deswegen wird unsere Koalition dieses Thema angehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zum anderen ist auch im Bereich Schule und Ausbildung bei allen Erfolgen, die erzielt wurden, nicht zu bestreiten, dass wir noch nicht dort angekommen sind, wo wir hinwollen. Was die Tatsache angeht, dass immer noch zu viele junge Migranten die Schule ohne Schulabschluss verlassen, sind selbstverständlich die Länder in der Pflicht, entsprechend gegenzusteuern. Dabei muss der Bund mithelfen, wo er dies kann.

Bei allen Problemen, die es gibt, muss man aber auch eines feststellen: Integration braucht einen langen Atem. Was in der Vergangenheit nicht rechtzeitig angegangen worden ist, lässt sich nun einmal nicht in fünf Jahren aufholen. Aber wir sind -das zeigen auch alle Stellungnahmen und Gutachten ¬an dieser Stelle auf einem guten Weg.

Integration braucht aber auch Konsequenz und Verbindlichkeit. Das heißt: Geltendes Recht muss auch angewandt werden. Wenn es in Deutschland nachweislich Fälle von Integrationsverweigerung gibt und jemand, der staatliche Fürsorgeleistungen bekommt und im Rahmen seiner Eingliederungsvereinbarung aufgefordert ist, einen Integrationskurs zu besuchen, dies nicht tut, dann können schon heute Sanktionen verhängt und Regelleistungen gekürzt werden. Ich finde, dieses Recht muss durchgesetzt werden. Es gibt ein Vollzugsproblem; auch das müssen wir ohne Zweifel angehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, bitte achten auch Sie auf die Zeit. )

Ja. -Zusammenfassend kann man feststellen, dass in Deutschland in der Integrationspolitik leider zu viel über Defizite und zu wenig über Erfolge geredet wird

(Rüdiger Veit (SPD): Auch das ist wahr!)

und dass Integration besser gelingt, als dies zum Teil in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Man darf aber trotzdem vor den Ängsten und Sorgen in der Bevölkerung nicht die Augen verschließen. Wir müssen gegen Missstände vorgehen. Diese Koalition wird diese Aufgabe mutig angehen. Ihre Unterstützung würde uns selbstverständlich freuen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daniela Kolbe (SPD) (Leipzig)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Es ist überall im Hause angekommen: Deutschland ist ein buntes und vielfältiges Land mit Millionen von unterschiedlichen Geschichten. Eine dieser Geschichten ist die von Ardalan, um die 40, aus Leipzig. Er ist Lehrer für Physik und Mathematik. In den 90er-Jahren ist er als Flüchtling aus dem Irak nach Deutschland gekommen.

Er darf in Deutschland nicht als Lehrer arbeiten. Sein Diplom wurde nicht anerkannt. Darum hat er eine Ausbildung zum Techniker gemacht und sich nach erfolgreichem Abschluss um Arbeit bemüht, leider erfolglos. Heute arbeitet er als Fahrscheinkontrolleur bei den örtlichen Verkehrsbetrieben.

Wenn Ardalan seine Geschichte erzählt, dann tut er das in einem charmanten breiten Sächsisch mit leichtem Akzent. Die Freunde, die ihm damals Deutsch beigebracht haben, waren eben waschechte Sachsen. Sprachkurse für Zuwanderer waren damals noch nicht vorgesehen.

Ardalan ist, wie ich finde, ein sehr gutes Beispiel für gelungene Integration. Er ist in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integriert. Er beherrscht die deutsche Sprache, engagiert sich in Vereinen für seinen Stadtteil und darüber hinaus in einer großen demokratischen Partei. Das sind auch die drei großen Themen, wenn wir über Integration sprechen: Arbeit, Sprache, soziale Teilhabe. Dass wir in allen drei Bereichen noch riesigen Handlungsbedarf haben, sieht man auch an einem positiven Beispiel wie dem von Ardalan.

Beispiel Sprache. Es war erst die rot-grüne Koalition, die 2005 mit dem Zuwanderungsgesetz endlich Integrationskurse eingeführt hat, ein probates Mittel, um erwachsenen Migrantinnen und Migranten den Erwerb der deutschen Sprache zu ermöglichen, den Schlüssel zur Teilhabe an unserer Gesellschaft. Diese Kurse sind -das sagen alle -eine Erfolgsgeschichte. Immer mehr Menschen nehmen teil oder wollen teilnehmen; denn derzeit warten aufgrund von Zulassungsbeschränkungen mindestens 9 000 Menschen auf einen Integrationskurs -täglich werden es mehr -, und das, weil Schwarz-Gelb sehenden Auges nicht ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stellt.

(Jörg van Essen (FDP): Das ist doch schon widerlegt!)

Etwa 15 Millionen Euro fehlen im laufenden Haushalt. Von diesen 9 000 Menschen sind 4 000 auf Wartelisten gelandet. Sie wissen überhaupt nicht, wann ein Kurs beginnen soll. Sie wissen nur: dieses Jahr nicht mehr. -So lautet die Mitteilung, die das Bundesamt an sie geschickt hat. Das sind gerade diejenigen Menschen, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, ohne die deutsche Sprache in ausreichendem Maße erworben zu haben. Das sind genau die Menschen, denen die Regierung jeden Tag sagt: Nun integriert euch doch endlich! Aber einen Integrationskurs wird es vielleicht erst nächstes Jahr geben. -Diese Argumentation ist doch schlicht scheinheilig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erwachsene Migranten sind nur eine Gruppe. Für junge Menschen mit und auch ohne Migrationshintergrund entscheidet die Qualität der Bildung darüber, ob man sich verständigen und mitmischen kann. Deshalb wurden unter SPD-Regierung sowohl der Ausbau der Kitas als auch das Ganztagsschulprogramm auf den Weg gebracht. Wo bleibt denn der Beitrag dieser Regierung? Wo bleibt denn die ausreichende Finanzierung des Kitaausbaus? Was soll denn dieses Betreuungsgeld? Es ist nichts anderes als eine Fernhalteprämie und einfach nur bildungsfeindlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wo sind die Ideen für den Ausbau der Ganztagsschulen? Fehlanzeige! Wenn es um Bildungsgerechtigkeit geht, dann setzen Sie entweder gar keine oder die falschen Signale. Sie manifestieren die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem. Das geht nicht nur, aber auch zulasten der Integration.

Beispiel Arbeitsmarkt. Menschen mit Migrationshintergrund haben noch höhere Hürden als wir Deutsche zu überwinden. Die Arbeitslosigkeit ist bei ihnen doppelt so hoch; das wurde schon angesprochen. Es mangelt an Anerkennung der im Ausland erworbenen Abschlüsse. Ardalan ist nur ein Beispiel. Olaf Scholz hat am Ende der letzten Legislaturperiode ein gutes Papier dazu vorgelegt. Seitdem müssen wir uns leider mit Eckpunkten von Frau Schavan -sie verlässt gerade den Saal ¬

(Heiterkeit bei der SPD)

begnügen. Von einem Gesetz ist leider nichts zu sehen. Da hilft auch nicht die wirklich große Anzahl der Ankündigungen. Liebe Bundesregierung, es besteht dringender Handlungsbedarf. Bitte gehen Sie das schnell an. Wir vergeuden wertvolle Ressourcen Hunderttausender Menschen.

Viele Menschen mit Migrationshintergrund berichten zudem, dass es für sie schwer ist, einen Arbeitsplatz zu finden. Ardalan ist wieder ein Beispiel dafür. Studien belegen, dass junge Schulabgänger mit Migrationshintergrund es selbst bei gleicher Leistung deutlich schwerer haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Hier findet Diskriminierung statt. Das steht auch in dem vorliegenden Bericht so knallhart. Was tut denn die Bundesregierung? Seien es anonymisierte Bewerbungsverfahren -diese sind in vielen Ländern üblich -oder sei es eine aktive Arbeitsmarktpolitik, bei der jetzigen Bundesregierung sehe ich schwarz. Sie setzen massiv den Rotstift bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik an und konterkarieren jegliche Bemühungen, für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beispiel soziale Teilhabe. Integration wird vor Ort, in den Kommunen, gestaltet, zum Beispiel durch kluge Stadtentwicklung. Dazu hat der Bund unter SPD-Beteiligung wirksame Programme -„Soziale Stadt“ ist das Programm, das man hier hervorheben kann -entwickelt. Was machen Sie? Sie kürzen die Mittel für die entsprechenden Programme nicht nur dramatisch. Sie sorgen auch noch für Beschränkungen. Geld aus dem Topf „Soziale Stadt“ darf zukünftig nicht mehr für -Zitat -„Zwecke wie Erwerb der deutschen Sprache, Verbesserung von Bildungsabschlüssen, Betreuung von Jugendlichen sowie im Bereich der lokalen Ökonomie“ eingesetzt werden. Der einzige, der sich darüber wirklich freuen dürfte, ist Patrick Döring; der verkehrspolitische Sprecher der FDP war da und ist inzwischen auch schon gegangen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Er hat schon im März von dieser Stelle aus in Bezug auf das Programm „Soziale Stadt“ gesagt -Zitat -:

Die Zeit der nichtinvestiven Maßnahmen, zum Beispiel zur Errichtung von Bibliotheken für Mädchen mit Migrationshintergrund, ist vorbei …

Wenn ich das höre, geht mir das Messer in der Tasche auf.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Koalition, liebe Regierung, bitte erzählen Sie uns nichts über Integration. Bitte ändern Sie einfach Ihre Politik! Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Ich möchte sofort die Tasche sehen!)

(Präsident Dr. Norbert Lammert: Im Übrigen hoffe ich, dass nicht nur bei Integrationsdebatten die Mitglieder dieses Hauses ohne Messer in der Tasche, also unbewaffnet, erscheinen.)

(Heiterkeit -Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP -Ulrich Kelber (SPD): Die werden am Eingang nicht kontrolliert!)

Sibylle Laurischk (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Liebe Frau Böhmer, vielen Dank für den vorgelegten Bericht, ein dickes Buch, das wirklich lesenswert ist. Ich möchte diesen Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland mit einem besonderen Blick auf die Ausländerinnen in Deutschland kommentieren. Dazu spreche ich drei Aspekte an.

Der erste Aspekt ist die Bedeutung der Frauen in der Integrationspolitik. Wir müssen einfach sehen, dass sie für den Integrationserfolg von Familien und ganz besonders von Kindern von großer Bedeutung sind. Sie sind in der Familie der zentrale Bezugspunkt und insofern eben auch diejenigen, die für die Sprachfähigkeit in der Familie besondere Verantwortung tragen. Sie sind diejenigen, die ihren Kindern Sprache vermitteln. Hierbei ist es natürlich besonders wichtig, dass sie auch den Zugang zur deutschen Sprache vermitteln können. Sie sind daher auch besonders gefordert, selbst die deutsche Sprache zu beherrschen. Wir verfügen über Lösungsansätze, die mittlerweile erfolgreich sind, beispielsweise das Programm „Mama lernt Deutsch“. Damit werden auch Kinder sprachfähig gemacht, weil sie so Deutsch auch in der Familie sprechen können. Selbstverständlich ist ebenso, dass sie neben ihrer Muttersprache auch eine andere Sprache lernen. Wenn sie mehr als Deutsch können, sind Kinder aus Migrantenfamilien sicherlich in ihrer weiteren schulischen und beruflichen Entwicklung erfolgreich.

Damit bin ich beim zweiten Aspekt, nämlich dem Zugang von Migrantinnen zum Arbeitsmarkt. Wer arbeitet, hat einen wichtigen Zugangsweg zur Gesellschaft überhaupt. Hierzu müssen wir feststellen, dass gerade junge Migrantinnen mittlerweile gute Schulerfolge vorweisen können, bessere Ergebnisse als die jungen Männer. Dennoch sind sie in der Berufswahl nicht wirklich konkurrenzfähig. Sie sind in Ausbildung schwächer vertreten, sie finden überhaupt schwerer Zugang zu Ausbildung, und entsprechend sind sie dann auch nicht wirklich in der Gesellschaft etabliert und nicht in der Lage, sich selbstständig in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden. Hier muss mehr getan werden. Die Ausbildungsfähigkeit von Frauen ist ein wichtiges Thema, das im Bericht auch seinen Niederschlag findet.

Ein dritter Aspekt ist mir wichtig; dies ist das Thema Gewalt gegen Frauen. Dem Familienministerium wurden drei Studien vorgelegt, in denen zum Ausdruck kommt, dass bestimmte Gruppen von Migrantinnen häufiger von Gewalt betroffen sind. Das sind insbesondere Frauen türkischer Herkunft und Frauen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Man muss deutlich sagen, dass Migrantinnen sehr viel weniger Zugang zum Hilfesystem und weniger Beratungserfahrung haben, seltener psychosoziale Unterstützungseinrichtungen aufsuchen und insofern in ihrer Situation als gewaltbetroffene Frauen häufig allein bleiben. Hier muss mehr geschehen. Wir können es nicht nur damit bewenden lassen, beispielsweise die Zwangsheirat unter besondere Strafe zu stellen, was richtig ist; wir brauchen aber darüber hinaus entsprechende Beratung, damit Frauen aus diesem Teufelskreis herausfinden können.

Die Situation von Migrantinnen ist sozusagen die Spitze des Eisbergs der gesamtgesellschaftlichen Situation. Gewalt gegen Frauen darf in keinerlei Hinsicht hingenommen werden und schon gar nicht aus religiösen Gründen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Reinhard Grindel (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Scholz, Sie haben gesagt: Den Reden müssen Taten folgen. -Ich will Ihnen einmal den „SPD-Integrationsexperten“ Sigmar Gabriel zitieren. Er hat sich vor kurzem gegenüber Spiegel Online so geäußert:

Wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt, der kann ebenso wenig in Deutschland bleiben wie vom Ausland bezahlte Hassprediger in Moscheen.

Ich kann Ihnen nur sagen: Es war die SPD in der Großen Koalition, die sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, dass wir genau das ins Aufenthaltsrecht schreiben. Nur so viel zum Thema „Übereinstimmung von Reden und Taten“.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP -Rüdiger Veit (SPD): Das steht doch alles drin!)

Was ich auch nicht verstehe, lieber Kollege Veit, ist, dass Sie plötzlich sagen, es sei ein Problem, dass wir jetzt Deutschkenntnisse von denjenigen verlangen, die auf dem Wege des Familiennachzugs zu uns kommen. Was spricht denn dagegen, dass als Beitrag zur Integration einfache Deutschkenntnisse vor der Übersiedlung nach Deutschland verlangt werden? Durch eine Evaluierung dieser Vorschrift ist nachgewiesen, dass wir damit in Einzelfällen Zwangsehen bekämpfen.

(Rüdiger Veit (SPD): Nein, nein! Gar nichts ist nachgewiesen!)

Aber was noch wichtiger ist: Durch diese Vorschriften erreichen wir, dass wir in die Familien, die bisher einen weiten und großen Bogen um Integrationsangebote gemacht haben, zum ersten Mal die klare Botschaft hineinsenden: Ohne Deutsch geht es nicht. Das ist ein Beispiel dafür, wie man durch ein Gesetz ganz praktische Integrationspolitik gestalten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Herr Senator Wolf, Sie haben den Begriff der Leitkultur kritisiert. Ich frage mich: Warum dürfen wir nicht Erwartungen formulieren und gemeinsame Grundlagen für unser Zusammenleben definieren? Zur Integration gehört, dass wir von muslimischen Eltern erwarten dürfen, dass sie ihre Kinder auf der Grundlage unserer gemeinsamen Rechts-und Werteordnung erziehen. Unsere Aufgabe ist es, dass wir denjenigen entschlossen entgegentreten, die andere daran hindern, sich zu integrieren, die Jugendklubs bekämpfen, weil dort Muslima ihre Freizeit verbringen wollen, die etwa systematisch islamischen Religionsunterricht bekämpfen, weil er unter der Regie der deutschen Schulverwaltung stattfindet, und die, wie es Moscheevereine tun, Eltern zwingen, ihre Kinder dort herauszunehmen und in Koranschulen anzumelden. Wir müssen genauer hinhören, was in Moscheen gepredigt wird. Wir müssen ein Interesse daran haben, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden.

Unser Bundespräsident hat sich sehr zutreffend zur Lebenswirklichkeit des Islam in Deutschland geäußert. Ich möchte seiner Rede einen zusätzlichen Gedanken anfügen: Ja, der Islam gehört zu Deutschland; aber fundamentaler Islamismus gehört nicht zu Deutschland. Ihm müssen wir entgegentreten, und zwar entschlossen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP -Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat der Präsident ja auch nicht gesagt!)

Wir haben bei der Integration keine Erkenntnisprobleme; wir haben Umsetzungsprobleme. Die Wahrheit ist doch, dass wir vielfältige gesetzliche Vorschriften haben, um den Grundsatz „Fördern und Fordern“ tatsächlich umzusetzen. Wir haben viel mehr Sanktionsmöglichkeiten, als man nach der Lektüre des Buches von Herrn Sarrazin vermuten würde. Es muss nur auf allen staatlichen Ebenen an konsequenter Integration gearbeitet werden. Es reicht eben nicht aus, wenn die Ausländerbehörden nur zu einem Integrationskurs verpflichten. Es muss auch kontrolliert werden, ob der Ausländer tatsächlich diesen Integrationskurs besucht. Die Hartz-IV-Behörden müssen die Chance nutzen, Langzeitarbeitslose, die schon deshalb nicht vermittelt werden können, weil sie nicht hinreichend Deutsch sprechen, zu verpflichten, an Integrationskursen teilzunehmen.

Ich sage in aller Deutlichkeit: Wenn nicht alle Ebenen -Bund, Länder und auch Kommunen -gemeinsam die Chancen, Integration umzusetzen -sie sind bereits jetzt gesetzlich verankert -, nutzen, dann können wir hier im Bundestag beschließen, was wir wollen; wir werden nicht erfolgreich sein. Wir brauchen alle staatlichen Ebenen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Für mich gehört dazu, an dieser Stelle einmal die Integrationsarbeit unserer Sportvereine zu würdigen. Am Vortag des Europameisterschaftsqualifikationsspiels zwischen Deutschland und der Türkei darf man sicher darauf verweisen. Was Trainer und Betreuer bei der Integration von Ausländern und Aussiedlern leisten, ist einfach beeindruckend und fabelhaft. Dafür auch von dieser Stelle ein herzliches Wort des Dankes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Einen Gedanken lassen Sie mich gerade mit Blick auf unsere ausländischen und insbesondere unsere türkischen Mitbürger formulieren, wenn morgen Abend im Olympiastadion das Spiel angepfiffen werden wird: Im deutschen Team stehen Spieler mit Migrationshintergrund, die gut integriert sind und ihren Weg gemacht haben. Aber auch im türkischen Team stehen Spieler, die hervorragend Deutsch sprechen und sich bei uns integriert haben. Integration bedeutet eben nicht Aufgabe der eigenen Identität. Aber morgen Abend werden sie alle nach denselben Spielregeln spielen, und darauf kommt es an.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)