Kılıçs kantige Ecke

Persönliches Positionspapier zur Integrationsdebatte

„Ja, zur Teilhabe und Gleichberechtigung – Nein, zur Stigmatisierung“, so der Tenor Memet Kılıçs in seinem persönlichen Positionspapier zur aktuellen Integrationsdebatte.

Die Weltbevölkerung befindet sich in Bewegung. Immigration war schon immer ein Bedürfnis der Menschheit und hat durch die Globalisierung noch zugenommen. Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Wertvorstellungen begegnen sich. Dies schafft viel Positives in unserer Welt, verursacht aber auch Spannungen.

Immigration gut zu kanalisieren und fruchtbar zu gestalten, ist eine Herausforderung für die ganze Welt. Von dieser Herausforderdung sind in erster Linie solche Länder wie die Bundesrepublik Deutschland betroffen, die sowohl rege Einwanderung aber auch Auswanderung haben.

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Unsere Gesellschaft macht sich Sorgen über ein besseres Miteinander. Diese Sorgen nehmen wir ernst. Das bedeutet aber nicht, dass die Antworten populistisch oder menschenverachtend sein müssen.

In regelmäßigen Abständen kommt eine „Heldin“ oder ein „Held“ und prophezeit den Niedergang der deutschen Nation oder der deutschen Kultur, weil entweder „das Boot voll ist“ oder wir „zu viele Ausländer haben“. Anschließend bringt eine Massenzeitung Schlagzeilen wie „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, um einen Volkszorn zu produzieren. Das ist nicht neu; das hatten wir schon immer.

Auf dem Gebiet Migration werden viele Mythen verbreitet. Man kann sie im Wesentlichen folgendermaßen zusammenfassen:

  1. Über Einwanderung und Integration wurde in Deutschland bislang nicht diskutiert – gut, dass diese Heldin bzw. dieser Held die politische Kaste aufgerüttelt hat.
  2. Einwanderung nach Deutschland erfolgt ungeregelt.
  3. Deutschland ist hilflos gegenüber gemeinen Migrantinnen und Migranten.
  4. Multikulti-Träumerei und Sozialromantik sind für die Integrationsmisere verantwortlich.

Keine dieser Mythen ist zutreffend:

Zu 1.: Seit es Einwanderung gibt wird über die Einwanderung und Integration immer wieder sehr lebhaft, manchmal zu aufgeregt diskutiert. Wenn man nicht bis zu den Römern zurückblicken möchte, kann man bei den Anwerbeverträgen für die Gastarbeiteranwerbung beginnen und mit der ersten Ausländergesetzgebung von 1965 fortfahren, dem Anwerbestopp von 1973, dem Rückkehrförderungsgesetz von 1983, der großen Novellierung des Ausländergesetzes von 1991, der Einführung der Anspruchseinbürgerung von 1993, umfassenden Änderungen der Ausländer-und Staatsangehörigkeitsgesetze von 2000, 2005 und 2007, um nur einige wenige Bausteine zu erwähnen. All diese Änderungen wurden von großen Diskussionen über den Nutzen und Unnutzen, Schaden und Profit von Einwanderung begleitet.

Niemandem wurde die Meinungsfreiheit entzogen. Daher brauchen weder Herr Sarrazin noch Frau Kelek sich als Märtyrer der Meinungsfreiheit hoch zu stilisieren. Man wird ja wohl den unerträglichen Populisten sagen dürfen, dass sie Populisten sind.

Zu 2.: Einwanderung nach Deutschland erfolgte niemals ungeregelt. Als die ersten „Gastarbeiter“ nach Deutschland geholt wurden, wurden sie bis hin zur Vollständigkeit ihrer Zähne geprüft. Es gab schon immer gesetzliche Grundlagen für die Einwanderung nach Deutschland. Erst eine Polizeiverordnung, anschließend Ausländergesetze, die ausschließlich auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgerichtet waren. Selbst die humanitäre Einwanderung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern basiert auf der Genfer Flüchtlingskonvention und nationaler Gesetzgebung. Illegale Einwanderung gibt es und wird schon immer mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft.

Zu 3.: Fast jeder fünfte Einwohner unseres Landes hat einen Migrationshintergrund. Da sie weitgehend gut integriert sind, fällt es niemandem auf. Viele, die keine Teilhabemöglichkeiten erhalten, bemühen sich löblich trotz der Hürden um Teilhabe.

Nur wenige, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnen oder sogar aktiv bekämpfen, fallen auf und sorgen für Argwohn. Die Probleme mit diesen Einzelfällen, die nicht nur unter Migrantinnen und Migranten anzutreffen sind, sondern ebenso am rechten Rand, werden wir als Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger zusammen angehen. Dazu gehören auch strikte Sanktionen, wie sie unser Strafrecht bereits vorsieht.

Nicht nur die Erscheinungsformen der Kriminalität müssen bekämpft werden. Das ist bereits der Fall. Im Fokus müssen vor allem die Ursachen stehen: Offene und verdeckte Diskriminierung ebenso wie unzureichende Integrationsangebote. Perspektivlosigkeit ist der Nährboden für Kriminalität. Sozio-ökonomische Probleme dürfen jedoch nicht ethnisiert werden. Aus Statistiken falsche Schlussfolgerungen zu ziehen und dies noch mit rassistischen Bemerkungen zu verkaufen, ist nicht lösungsorientiert, sondern polarisierend, spalterisch und menschenverachtend.

Mangelhafte Integration an der Religion des Islam festzumachen, ist populistisch, irreführend und versperrt den Weg zur Beseitigung der tatsächlichen Ursachen. Der Islam, den es als statischen Block gar nicht gibt, kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass Menschen in prekären sozialen Verhältnissen leben. Migrantinnen und Migranten, die sich von der Aufnahmegesellschaft nicht akzeptiert fühlen, ziehen sich zurück in religiöse Nischen, wo sie sich anerkannt und verstanden wissen. Bei Menschen, die in zweiter oder dritter Einwanderergeneration in Deutschland leben, verstärken sich Tendenzen des Rückzugs in die Religion, weil sie die Ablehnung der Gesellschaft erleben, um deren Anerkennung sie buhlen. Daher fordern wir Grüne die „Einbürgerung“ des Islams!

Zu 4.: Unionspolitiker werfen den Grünen Multikulti-Träumerei und der SPD Sozialromantik vor, um von eigener Unfähigkeit und Verfehlungen abzulenken. In unserer Gesellschaft leben Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern und mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen. Dies ist eine nüchterne Feststellung, die von der CDU erst im Jahr 2000 akzeptiert wurde, keine Multikulti-Träumerei. Im Tiefschlaf war die CDU, die nicht wahrnehmen wollte, dass unser Land schon längst ein Einwanderungsland geworden war. Leider hat die semantische Anerkennung als Einwanderungsland im Jahr 2000 bei der CDU keine tatsächlichen Fortschritte mit sich gebracht. Die CDU geführten Regierungen sind seitdem damit beschäftigt, Teilhabemöglichkeiten der Eingewanderten in unserer Gesellschaft einzuschränken (Verschlechterungen beim Erwerb der Staatsangehörigkeit, der Erteilung der Niederlassungserlaubnis, etc.).

Wir Grünen haben die Errungenschaften der zivilen Gesellschaft, wie etwa die Gleichberechtigung der Geschlechter, niemals dem karnevalistisch verstandenen Nebeneinander der Kulturen geopfert. Wir sind die Partei, die Migrantinnen und Migranten von der Bundesebene bis in die kommunalen Gliederungen in die Pflicht nimmt, in dem wir sie politisch fordern und fördern. Daher ist es kein Wunder, dass viele Einwanderer und insbesondere Einwandererinnen in unseren Reihen die Politik auf allen Ebenen mit gestalten.

Die Integrations- und Gleichberechtigungsdebatten finden dauerhaft statt. Dafür brauchen wir nicht solche Populisten wie Herrn Sarrazin oder Frau Kelek. Diesen Personen sollte klar sein, dass es seit dem II. Weltkrieg gesellschaftlicher Konsens ist, dass physiognomische und ethnische Merkmale nicht zu Vorwürfen gemacht werden dürfen. Dies hat in der Geschichte zu Buchenwald und Auschwitz geführt.

Bei der Herangehensweise an die Thematik herrscht unter den Vernünftigen Einigkeit, dass die Integration dann nicht gelingt, wenn diese unter Androhung mit Sanktionen im Feldwebelton befohlen wird. Die Erwartungshaltung der Gesellschaft muss aber klar formuliert werden, auch um Orientierung zu schaffen. Integration nützt der Gesellschaft insgesamt. Besonders profitieren aber die Migrantinnen und Migranten selbst.

Es fehlt nicht an Sanktionen. Die Ausländergesetzgebung ist voll davon. Entscheidend ist die Integrationsförderung mit guten Rahmenbedingungen.

Deutschland braucht keine neue Integrationsdebatte. Erkenntnisse, wie die Ergebnisse der Zuwanderungskommission, sind vorhanden und Debatten (Integrationsgipfel, Islamkonferenz, Buchautoren, Parlamentsdebatten) werden und wurden intensiv geführt. Vielmehr brauchen wir Integrationsmaßnahmen, wie sie bereits BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem gesellschaftlichen Integrationsvertrag „Perspektive Staatsbürgerin und Staatsbürger“ im Mai 2006 formuliert haben. Einige der wichtigsten Maßnahmen sind

Zu diesen Themen gibt es bereits Diskussionen bzw. Gesetzentwürfe

Wir brauchen eine Integration und Teilhabegerechtigkeit für Eingewanderte. Was wir aber nicht brauchen ist Assimilierungsdruck. Dies ist im Sinne unseres Grundgesetzes: Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung gibt jedem Bürger das Recht, sich frei zu entfalten, solange er die Rechte anderer nicht verletzt. Keine Kultur oder Werteordnung ist berechtigt, die Individuen in ihrer persönlichen Entfaltung zu behindern.