Offener Brief an Alice Schwarzer

Deutschland ist auch unser Land

Das Forum der Brückenbauer kritisiert in einem offenen Brief Alice Schwarzer für ihr neues Buch „Die große Verschleierung – Für Integration, gegen Islamismus“. Die Brückenbauer werfen Schwarzer eine Zweiteilung in ein Wir und die Anderen vor.

Sehr geehrte Frau Schwarzer,

Ihnen ist es sicherlich nicht entgangen, dass die Bücher von der Jugendrichterin Kirsten Heisig „Das Ende der Geduld“ und dem ehemaligen Bundesbankvorstandsmitglied Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ in unserem Land, eine große Aufmerksamkeit erhielten. Nun werden auch Sie sich mit Ihrem Buch „Die große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus“ in die aktuelle Integrationsdebatte einmischen. Bei allem Respekt, dem wir Ihnen für die Stärkung der Frauenrechte aufbringen, ist es doch tief enttäuschend zu sehen, dass auch Ihr Werk Ängste vor Überfremdung und Identitätsverlust in der Gesellschaft schürt.

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So, wie Sie es nicht einfach hingenommen hätten, wenn im Rahmen der späten Fraueneman- zipation in Deutschland ein Mann entschieden hätte, was für Frauen das Beste ist, sollten Sie, als weiße Feministin, nicht beanspruchen, entscheiden zu können, was die dunkelhaarige Aylin braucht und will!

Gerade von Personen, wie Ihnen, die sich in der Vergangenheit couragiert für eine Überwindung von Ungleichheit und Diskriminierung gegenüber Frauen eingesetzt haben, erwarten wir Solidarität und mehr Sensibilität für Unterdrückung auch jenseits des weißen Mittelschichtsfeminismus. In diesem Sinne liegt es auch in Ihrer Verantwortung, Lösungen zu finden, wie wir endlich zu einer Gesellschaft zusammenwachsen können, in der das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, die Herkunft, religiöse und politischen Anschauungen keine Rolle mehr spielen und zu keiner Benachteiligung führen. Wir möchten Sie daran erinnern, dass viele Migrantinnen und Migranten bereits heute ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben, erfolgreich und mit ihren Fähigkeiten und Leistungen zum Wohlstand des Landes beitragen.

Mit Ihren Artikeln und Ihrem aktuellen Buch sprechen Sie eine Ebene an, die wir auch mit positiven Erfolgen in der Integration nicht wegdiskutieren können: diffuse Gefühle und Ängste in der Mehrheitsbevölkerung. Wie sie es nennen „Kurzum: die Sorge um die in den letzten 200 Jahren so mühsam und blutig erkämpften Menschenrechte im Westen.“

Mit Ihrer Zweiteilung in ein Wir (= der Westen, die weiße Mehrheitsbevölkerung) und die Anderen (= der rückständige Orient) grenzen Sie einen Teil der Deutschen aus. Legen damit die Basis für einen aktuell salonfähigen kulturellen Rassismus. Das macht uns Angst. Auch wir, die als Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bzw. andere Deutsche bezeichnet werden haben Ängste, Wünsche, Bedürfnisse und Interessen, über die wir gerne miteinander diskutieren wollen. Deutschland ist auch unser Land. Wir möchten es mitgestalten und teilhaben. Wir wollen unsere Kenntnisse, Talente und Wissen für dieses Land einbringen.

Trotz des Bekenntnisses ein Einwanderungsland zu sein, spiegelt sich ein Abbild unserer Gesellschaft nicht auf allen Ebenen ab. Immer noch gibt es Vorbehalte und Bereiche gerade in den repräsentativen Stellen, die für Migranten bzw. Deutsche mit Migrationshintergrund verschlossen bleiben (siehe OECD-Studie 2009). Es ist Zeit für Chancengleichheit. Es ist Zeit, dass allen Menschen in Deutschland die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird. Dies bedeutet Anstrengungen für unsere Gesellschaft. Für das Zusammenwachsen unserer Gemeinschaft braucht es mehr politische Anstrengungen, welche mit einem Bewusstseinswandel begleitet werden muss, der auf allen Ebenen keinen Raum für Stigmatisierung, Diskriminierung, Verachtung und Marginalisierung bietet. Die Politik muss hier mit gutem Beispiel vorangehen und benötigt die Unterstützung von Persönlichkeiten, wie Sie. Wie können wir gemeinsam dieses Bewusstsein schaffen, die Ängste abbauen und den Blick in Richtung gemeinsamer Zukunft werfen?

Eines, Frau Schwarzer, erwarten wir in Zukunft aber von Ihnen. So, wie Sie es nicht einfach hingenommen hätten, wenn im Rahmen der späten Frauenemanzipation in Deutschland ein Mann entschieden hätte, was für Frauen das Beste ist, sollten Sie, als weiße Feministin, nicht beanspruchen, entscheiden zu können, was die dunkelhaarige Aylin braucht und will!

Erst kürzlich haben wir das 20-jährige Jubiläum der deutschen Einheit und das 60-jährige Bestehen der Bundesrepublik gefeiert. Aber die Debatten der letzten Wochen zeigen: trotz der Freiheit sind wir doch noch Gefangene unserer Ängste und Grenzen im Kopf.

Sehr geehrte Frau Schwarzer, wir würden uns freuen, Sie bei einem unserer nächsten Netzwerktreffen begrüßen zu dürfen, um Ihnen die positive deutsche Realität etwas näher zu bringen.

Mit freundlichen Grüßen
Das Forum der Brückenbauer