Weder deutsch noch ausländisch

Identitätsbildungsprozesse in der Migrationsgesellschaft Deutschland

Identitätsbildungsprozesse verlaufen im globalisierten Kapitalismus spannungsreicher als in früheren Zeiten. In dem Maße, wie sich traditionelle Zugehörigkeiten auflösen, müssen die Individuen aus einer Vielzahl von Identitätsangeboten auswählen und sich ihre eigene Identität „erarbeiten“. Politik und Bildungsinstitutionen sollten die Vielfalt von Identitätsformen als gesellschaftliche Realität anerkennen, anstatt immer wieder in nationale oder ethnische Denkmuster zurückzufallen.

Die Vorstellung, dass jeder Mensch ein eigenständiges Wesen ist, das nicht nur über eine ausgeprägte Persönlichkeit verfügt, sondern auch über sich selbst reflektieren und sein Verhalten korrigieren kann, hat sich spätestens am Ende der Aufklärung verfestigt. Damit war eine grundlegende Voraussetzung für das neuartige Konzept „Identität“ gegeben: Wer in sich hineinhorcht und über die eigene Lebensgeschichte nachdenkt, entwickelt ein Gespür dafür, inwiefern man persönlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen folgt. Identitätsbildung wäre nicht denkbar ohne Institutionen wie Schule, Kirche oder Klinik. Unter deren Anleitung hat das bürgerliche Subjekt gelernt, über eigenes Leben, Gefühlshaushalt und körperlichen Zustand zu reflektieren und sich selbst als ein einzigartiges, klar umgrenztes und weitgehend beständiges Ich wahrzunehmen.

„Ich bin weder deutsch noch ausländisch und trotzdem beides“

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Identitätsbildung weist noch eine weitere gesellschaftliche Dimension auf, nämlich die Identifikation mit einem Kollektiv. Richteten sich die Loyalitäts- und Zugehörigkeitsgefühle der Menschen über Jahrhunderte auf einen Familienclan, eine Fürstendynastie, eine Stadt oder einen Herrschaftsbereich, so nahm im Zuge der Legitimationskrisen frühmoderner westlicher Gesellschaften die Nation diese Stelle ein. Im Rückgriff auf eine verklärte Vergangenheit entstand die Idee einer Nation, die als schicksalhafte Gemeinschaft verstanden wurde und deren Mitglieder sich durch gleiche Abstammung, Sprache oder Kultur auszeichnen. Ziel nationaler Bewegungen war die Etablierung eines Nationalstaates, der sich gegen innere wie äußere Feinde zu behaupten weiß und dies durch Verdichtung der Binnenhomogenität und Befestigung der Außengrenzen zu erreichen sucht. Die Vorstellung von einem einheitlichen sozialen Organismus antwortete in einer immer säkularer werdenden Welt einem starken, quasi-religiösen Bedürfnis nach Sinnstiftung, Kontinuität und politischer Bedeutsamkeit. Aufgrund seiner hohen Flexibilität konnte sich der Nationalismus mühelos an unterschiedliche Regierungsformen und Gesellschaftsverfassungen anpassen und entwickelte sich damit zum bedeutendsten Instrument zur Legitimation politischer Herrschaft in der Moderne. 1

Wer sich mit Fragen der Identitäts- wie der Nationenbildung beschäftigt, weiß, dass beide Konzepte nicht nur in historischen Krisenzeiten entstanden sind, sondern bis heute krisenhafte Momente in sich tragen – zum Beispiel den Zwang, sich einer bestimmten Vorstellung von Identität bzw. Nationalität unterzuordnen. Es ist offensichtlich, dass in beiden Konzepten ein großes Potenzial zur sozialen Disziplinierung von Individuen steckt, bis hin zu der Möglichkeit, Menschen gewaltsam auszugrenzen, die diesen Vorstellungen nicht entsprechen oder nicht entsprechen wollen.

Von der personalen Identität zu den Mehrfach-Identitäten
Wie die neuere sozialwissenschaftliche Forschung gezeigt hat, ist die Idee von einer widerspruchsfreien, einheitlichen und beständigen Identität nicht mehr haltbar. Stattdessen geht man seit Beginn der 1990er Jahre von vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten im Prozess der Identitätsentwicklung aus. Gerade in Gesellschaften, die von Enttraditionalisierung, Individualisierung und Pluralisierung geprägt sind, lässt sich zeigen, dass Identitätsentwürfe auf die Notwendigkeit des Umgangs mit verschiedenen Lebenswelten, unterschiedlichen Rollenanforderungen und ausdifferenzierten sozialen Situationen reagieren – mal mit größerem, mal mit geringerem Erfolg.

„Insofern macht es keinen Sinn mehr, von einer Identität zu sprechen, sondern vielmehr von Identitäten oder sogar von Bastelexistenzen, Patchwork-Identitäten oder multiplen Identitäten.“

Insofern macht es keinen Sinn mehr, von einer Identität zu sprechen, sondern vielmehr von Identitäten oder sogar von Bastelexistenzen, Patchwork-Identitäten oder multiplen Identitäten. Womit keinesfalls die Notwendigkeit, sich in emotionaler, geografischer, sozialer, kultureller oder politischer Hinsicht zu verorten, in Frage gestellt wird. Es geht vielmehr darum, Identifikationsprozesse nicht als naturwüchsige Phänomene zu verstehen, sondern als Teil von gesellschaftlichen Entwicklungen mit einem breiten Spektrum von Identitätsvarianten und Kombinationsmöglichkeiten. Eine Identität bietet Sicherheit und Geborgenheit („Heimat“), bildet aber auch die Grundlage, um Individuen oder Gruppen als nicht zugehörig wahrzunehmen und aus einem Kollektiv auszuschließen. Wer über personale oder kollektive Identität spricht, sollte vor der Janusköpfigkeit dieses Konzepts nicht die Augen verschließen. Denn auch zukünftig wird die Bildung von kollektiven Identitäten Gegenstand des politischen Konflikts um Deutungsmacht und Legitimation politischer Ordnungen sein.

Zur Kritik eines statischen Identitätsbegriffs haben im wissenschaftlichen Bereich vor allem Untersuchungen beigetragen, die auf die Entstehung von multiplen oder hybriden Identitäten in Migrationsgesellschaften eingegangen sind. Angestoßen wurde diese Debatte von Sozial- und Kulturwissenschaftlern aus dem englischsprachigen Raum, u.a. von Stuart Hall, Gayatri Chakravorty Spivak und Homi K. Bhabha. Hierbei spielte die Beschäftigung mit neomarxistischer, feministischer und poststrukturalistischer Theorie eine wichtige Rolle. Dazu kamen lebensgeschichtliche Erfahrungen mit Migration und dem gesellschaftlichen Umgang mit Subjektivität, Differenz, Spaltung, Widerspruch, Vielfalt und Transformation in einer sich globalisierenden Welt.

Im deutschsprachigen Raum war man bis 1990 der Ansicht, dass die zweite Migrantengeneration unter einem Kulturkonflikt leidet, der zu krisenhaften Zuständen des Hin- und Hergerissenseins zwischen unterschiedlichen kulturellen Orientierungen führt. Diese könnten sich, so die gängige Forschungsmeinung, bis zu Identitätsdiffusion und Persönlichkeitsstörungen ausweiten. Erst durch die Arbeiten von Berrin Özlem Otyakmaz (Auf allen Stühlen, 1995), Ilhami Atabay (Zwischen Tradition und Assimilation, 1998), Tarek Badawia (Der dritte Stuhl, 2002) und Paul Mecheril (Prekäre Verhältnisse, 2003) wurde diese defizitorientierte Betrachtungsweise kritisch hinterfragt. Damit wurden migrantische Jugendliche erstmals als handelnde Subjekte wahrgenommen, die konstruktiv und kreativ mit der Tatsache umgehen, dass ihre Lebenswelt von verschiedenen Einflüssen geprägt ist.

Zweiheimisch leben
„Hybride Identität bedeutet, dass ein Mensch sich zwei oder mehreren kulturellen Räumen gleichermaßen zugehörig fühlt“, sagen die Berliner Politologinnen Naika Foroutan und Isabel Schäfer. „Hybride Identitäten gelten als inter-, trans- und multikulturell; ihre Träger sind zweiheimisch, bi- oder trinational; sie sitzen entweder zwischen den Stühlen, oder auf einem Dritten Stuhl; sie sind Menschen mit Migrationshintergrund oder aber ‚Andere Deutsche’.“ 2 Bemerkenswert ist, wie kreativ viele junge Menschen mit dem Phänomen „zweiheimisch leben“ umgehen, für das es logischerweise keine historisch fest verankerten Identitätsmuster geben kann. Dieser ebenso innovative wie erfolgreiche Umgang mit verschiedenen Identitäten ist im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit noch nicht angekommen, so der Mainzer Erziehungswissenschaftler Tarek Badawia. 3 Ebenso wenig die Eigenschaften und Fähigkeiten, die in diesen – natürlich nicht immer reibungslos verlaufenden – Identifikationsprozessen entstehen. Dazu gehören Kenntnis und Akzeptanz von verschiedenen Identitäten und Kulturwelten, eine multiperspektivische Sichtweise auf die Welt, Mehrsprachigkeit, das „Switchen“ zwischen verschiedenen Sprachen und Denkweisen, ein intuitives Verständnis für Konflikte sowie eine generelle Offenheit für identitätsrelevante Experimente. Wer zweiheimisch aufwächst und lebt, der erwirbt Fertigkeiten in Sachen Kommunikation, Vermittlung und Konfliktlösung, die in Zeiten voranschreitender Vernetzung und Internationalisierung immer wichtiger werden.

„Wenn ich sage, ich bin deutsch, aber nicht wie die Deutschen, und marokkanisch, aber nicht wie die Marokkaner, das ist für Deutsche ein Rätsel.“

Mit einer vergleichbaren Offenheit können Menschen mit mehrfachen Identitäten bei den Mehrheitsdeutschen allerdings kaum rechnen. Tarek Badawia hat in dem Buch „zweiheimisch“ einige exemplarische Aussagen zusammengestellt: „Wenn ich sage, ich bin deutsch, aber nicht wie die Deutschen, und marokkanisch, aber nicht wie die Marokkaner, das ist für Deutsche ein Rätsel“, berichtet Mohammad. Sarra erklärt: „Ich erinnere mich, dass ich in Deutschland immer gefragt wurde, woher ich komme. Ich habe es nie erlebt, dass sich jemand mit der Antwort zufrieden gegeben hat, immer musste ich den gesamten Stammbaum mit den unterschiedlichen Stationen aufsagen“. Und Tamara meint: „Ich hatte ständig das Gefühl, erklären zu müssen, dass wir den einheimischen Deutschen nichts wegnehmen.“ 4 Diese Zitate machen deutlich, wie sehr Vertreter eines traditionellen Identitätsverständnisses darauf pochen, dass eine klare Grenze zwischen „dazugehören“ und „nicht dazugehören“ gezogen wird.

Die Etablierung eines neuen deutschen Nationalbewusstseins nach 1998
Für die Unterscheidung zwischen „deutsch“ und „nicht deutsch“ in weiten Teilen der Bevölkerung gibt es verschiedene Gründe: einerseits das (untergründige) Weiterwirken nationalistischer Denkfiguren und Traditionen in der „postnationalen Demokratie“ BRD und in der „sozialistischen deutschen Nation“ DDR, andererseits die von der rot-grünen Koalition ab 1998 eingeleitete Annäherung an eine nationale deutsche Identität im Sinne eines „Patriotismus von links“. In den Kontext einer Normalisierung des Nationalen gehören außenpolitisch die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg, am Afghanistankrieg und am Ausbau der „Festung Europa“ sowie die Ausrufung des „Endes der Nachkriegszeit“ bei den D-Day-Feierlichkeiten 2004. Im Inland haben u.a. die Debatten über den Islam als „Sicherheitsrisiko“, das Scheitern der „Integrationspolitik“, die Existenz von „Parallelgesellschaften“, die Etablierung einer „deutschen Leitkultur“, die Rückkehr zu einer neuen, christlich geprägten „Bürgerlichkeit“ und die neue Ausrichtung der Geschichts- und Erinnerungspolitik zur Entwicklung eines neuen deutschen Nationalbewusstseins beigetragen. 5

„Trotz einer mehr als 50-jährigen Migrationsgeschichte gehen die meisten politischen Akteure immer noch davon aus, dass ‚Integration‘ nur dann erfolgreich verläuft, wenn es zu einer kulturellen und sozialen Annäherung der Migranten an die so genannte Mehrheitsgesellschaft kommt.“

Insbesondere die schematische Differenzierung zwischen schädlichem Nationalismus und unbedenklichem Patriotismus muss mit einem Fragezeichen versehen werden. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die national definierte Identifikation mit einem Kollektiv ein breites Spektrum mit kaum wahrnehmbaren Übergängen umfasst, vom harmlosen Party-Patriotismus bei Fußballweltmeisterschaften bis zu radikalnationalistischen Ideologien. Untersuchungen aus Israel und den USA kommen zu ähnlichen Ergebnissen – es handelt sich also nicht um ein spezifisch deutsches Phänomen. Deshalb muss man davon ausgehen, dass „nationales Zusammengehörigkeitsgefühl und Chauvinismus … zwei Seiten einer Medaille“ sind. 6

Identitätspolitisch bedeutsam ist auch der folgende Aspekt: Trotz einer mehr als 50-jährigen Migrationsgeschichte gehen die meisten politischen Akteure immer noch davon aus, dass „Integration“ nur dann erfolgreich verläuft, wenn es zu einer kulturellen und sozialen Annäherung der Migranten an die so genannte Mehrheitsgesellschaft kommt. 7 Hier macht sich eine lange Tradition von Exklusionsmechanismen bemerkbar, von der Ausländerpolitik der 1970er Jahre (Stichworte: Zuzugsbegrenzung, Rückkehrförderung, Assimilation) über das multikulturalistische Integrationsverständnis der 1980er und 1990er Jahre (Stichworte: „Bereicherung durch die Fremden“, Kulturalisierung und Sozialpädagogisierung der Migrationsfrage) bis zur Integrationspolitik in diesem Jahrzehnt (Stichworte: nachholende Modernisierung der Rechtslage, Verflechtung von Integrations- und Wertediskurs, Wiederaufleben von assimilatorischen Forderungen, nationalpädagogische Ausrichtung der Integrationsprogramme).

Die Vielfalt der Identitäten als gesellschaftliche Normalität begreifen
Nicht erfasst bzw. falsch bewertet werden dabei die kreativen Strategien der „Beheimatung“ oder „Selbsteingliederung“, ganz zu schweigen von neuen Phänomenen wie „Hybridität“, „Transnationalismus“, „Transkulturalität“, „Kosmopolitismus“ und „Autonomie der Migration“, die derzeit viele empirisch arbeitende Kultur- und Sozialwissenschaften beschäftigen und die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. 8 Stellvertretend für diese Position seien an dieser Stelle die Münchner Ethnologen Sabine Hess und Johannes Moser zitiert: „Entgegen der bislang herrschenden normativen und normierenden Vorstellung einer homogenen Gesellschaft als Grundstein für ein friedliches Zusammenleben – Ausgangs- und Zielpunkt des Integrationsimperativs – ist von inneren sozialen und kulturellen Fragmentierungs- und nach außen reichenden Ausfransungsprozessen als einer gesellschaftlichen Grunddeterminante auszugehen, wie die Empirie nicht müde wird uns zu zeigen.“ 9 Wenn der Realität transnationaler Lebensvollzüge endlich Rechnung getragen würde, dann würden Aussagen wie „Ich bin weder deutsch noch ausländisch und trotzdem beides“ 10 nicht als rätselhafte Formeln abgetan, sondern wären selbstverständlicher Bestandteil eines breiten Spektrums von Identitätsentwürfen. Was natürlich eine Abkehr von dem herrschenden Integrationsimperativ und vom Bild des homogenen Gesellschaftscontainers bedeuten würde – zugunsten einer Konzeption, die „geteilte, situative, thematisch wie auch strategisch variierende Aufmerksamkeiten, Zugehörigkeiten, Solidaritäten und Beheimatungen“ 11 zulässt.

„Was heute schon im Alltag zu beobachten ist, wird zukünftig eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit sein.“

Damit bleibt festzuhalten: Angesichts der Pluralisierung von Lebensformen verlaufen Identitätsbildungsprozesse keineswegs einheitlich, sondern weisen ein breites Spektrum von Bezugspunkten und Verortungsmöglichkeiten auf, und zwar in personaler wie in kollektiver Hinsicht. Das gilt für alle Menschen, in besonderer Weise aber für jene, die sich mehreren Heimat- oder Kulturräumen verbunden fühlen. Was heute schon im Alltag zu beobachten ist, wird zukünftig eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit sein: Mehrfach-Identitäten, ein postnationales Staatsverständnis und eine größere Akzeptanz von transnationalen und transkulturellen Loyalitäten und Solidargemeinschaften.

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass nationale Identifikationen ein ideologisches Reservoir darstellen, das in Krisenzeiten abrufbar ist und für machtpolitische Ziele instrumentalisiert werden kann. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unerheblich, dass sich in vielen Ländern Europas rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien etabliert haben, die mit ihrer regionalistischen oder nationalistischen Programmatik die traditionellen, einen „gemäßigten“ Patriotismus vertretenden Parteien unter Druck setzen. Die Angst vor dem sozialen Abstieg bietet zahlreiche „Anknüpfungsmöglichkeiten für rechtspopulistische Mobilisierer“. 12 Insofern spricht einiges dafür, ausgehend von den Erfahrungen mit unterschiedlichen Identitäten im Alltag über transnationale und transkulturelle Identitätskonzepte nachzudenken und diese verstärkt in die gesellschaftlichen Debatten über Bildung, Partizipation und die Weiterentwicklung der Demokratie einzubringen.

Stichwörter zur Diskussion

Hybridität ist ein philosophisch-kulturwissenschaftlicher Ansatz, der das moderne Denken in Gegensatzpaaren überwinden will und stattdessen postmoderne Konzepte der Grenzauflösung, der Vermischung und des dritten Raums favorisiert. Buchtipp: Kien Nghi Ha: Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus, Bielefeld 2005.

Unter Transnationalismus versteht man die Entstehung von neuen, grenzüberschreitenden Alltagskulturen im Prozess der weltweiten Migration (zum Beispiel: informelle Ökonomie wie Hawala-System, internationale Vernetzung von Diaspora-Gemeinden, Entstehung von stabilen Sozialräumen über mehrere nationalstaatliche Territorien hinweg). Buchtipp: Ludger Pries: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozial­räume jenseits von Nationalgesellschaften, Frankfurt/Main 2008.

Mit Transkulturalität ist (ähnlich wie bei der Hybridität bzw. Hybridisierung) der Prozess der wechselseitigen Durchdringung und Verflechtung von kulturellen Praktiken gemeint, und zwar auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene. Buchtipp: Wolfgang Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, in: Lucyna Darowska u. a. (Hg.): Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität, Bielefeld [erscheint 2010].

Der sozialwissenschaftliche Kosmopolitismus versteht sich als Methodenlehre, die den Anspruch hat, jenseits von Nationalismen die Durchdringung von Kulturen und die Überkreuzung der Reiserouten von Menschen, Waren und Ideen in einer globalisierten Welt zu analysieren. Buchtipp: Benedikt Köhler: Soziologie des Neuen Kosmopolitismus, Wiesbaden 2006.

Unter dem Titel Autonomie der Migration können Forschungsarbeiten zusammengefasst werden, die den Widerstand von Migranten gegen Migrations- und Kontrollregime und den migrantischen Kampf um Anerkennung und Teilhabe seit den 1960er Jahren dokumentieren. Im Zentrum stehen dabei die sozialen und subjektiven Dimensionen der Migrationsbewegungen im Kontext kapitalistischer Arbeits- und Vergesellschaftungsprozesse. Buchtipp: Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, Bielefeld 2007.

  1. Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte – Formen – Folgen, München 2001, S. 50.
  2. Naika Foroutan/Isabel Schäfer: Hybride Identitäten – muslimische Migrantinnen und Migranten in Deutschland und Europa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 05/2009, S. 11f.
  3. Tarek Badawia: „zweiheimisch“, eine innovative Integrationsformel, in: Cornelia Spohn (Hg.): zweiheimisch. Bikulturell leben in Deutschland, Hamburg 2006, S. 182.
  4. Tarek Badawia: „zweiheimisch“, S. 183-185.
  5. Siehe dazu: Volker Kronenberg: „Verfassungspatriotismus“ im vereinten Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 28/2009, S. 43; Albrecht von Lucke: Die vergessene Republik, in: Berliner Republik 04/2004, Internet: www.b-republik.de/archiv/die-vergessene-republik (Zugriff am 01.04.2010).
  6. Nikolas Westerhoff: Die Mär vom guten Patrioten, in: Süddeutsche Zeitung, 16.07.2007, Internet: www.sueddeutsche.de/wissen/819/325684/text (Zugriff am 22.03.2010). Dort auch Hinweise auf Studien von Wilhelm Heitmeyer (Bielefeld), Christopher Cohrs (Jena), Daniel Bar-Tal (Tel Aviv), Julia Becker (Marburg), Amélie Mummendey (Jena) und Adam Rutland (Kent/USA).
  7. Mark Terkessidis: Interkultur, Berlin 2010, S. 39-76.
  8. Siehe dazu: Kien Nghi Ha: Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus, Bielefeld 2005; Ludger Pries: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften, Frankfurt/Main 2008; Wolfgang Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, in: Lucyna Darowska u.a. (Hg.): Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität, Bielefeld [erscheint 2010]; Benedikt Köhler: Soziologie des Neuen Kosmopolitismus, Wiesbaden 2006; Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, Bielefeld 2007.
  9. Sabine Hess/Johannes Moser: Jenseits der Integration, in: Sabine Hess u.a. (Hg.): No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa, Bielefeld 2009, S. 19.
  10. Tarek Badawia: „zweiheimisch“, S. 186.
  11. Sabine Hess/Johannes Moser: Jenseits der Integration, S. 20.
  12. Peter Fahrenholz: Verdeckte Wut. Warum sich die Menschen in Apathie und Resignation flüchten und der Politik nicht mehr trauen, in: Süddeutsche Zeitung, 04.12.2009, S. 3.