Selektive Praxis

Erstmals offizielle Zahlen zu abgelehnten Visaanträgen

Die Ablehnungsquoten im Visumverfahren sind vor allem in ärmeren Ländern, aber auch in der Türkei besonders hoch, wie erstmals veröffentlichte Zahlen der Bundesregierung belegen. Die Linke fordert Staaten mit hoher Ablehnungsquote zum handeln auf.

Bislang weigerte sich die Bundesregierung, die Ablehnungsquoten der deutschen Auslandsvertretungen in einzelnen Ländern im Visumverfahren zu veröffentlichen, weil dies nachteilige Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zu einzelnen Staaten haben könne. Außerdem, so die Begründung der Bundesregierung aus dem Jahre 2007, könnte die Veröffentlichung dieser Zahlen die Versuche des Visummissbrauchs begünstigen.

Auf erneute und nachdrückliche Nachfrage der Linkspartei geht nun aus der vorliegenden Antwort der Bundesregierung hervor, dass die weltweite Ablehnungsquote im Visumverfahren von 6 Prozent im Jahr 2000 auf etwa 10 Prozent im Jahr 2009 gestiegen ist. Dies klingt nicht besonders hoch. Betrachtet man jedoch die einzelnen Länder, sieht es anders aus.

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Hohe Ablehnungsquoten in der Türkei
Bemerkenswert ist etwa die doppelt so hohe Ablehnungsquote in der Türkei (20%), was 25.210 Visumablehnungen im Jahr 2009 entspricht. Während die Auslandsvertretungen in Istanbul und Izmir fast durchschnittliche Werte aufwiesen, war die Ablehnungsquote in Ankara mit 28 Prozent besonders hoch – hier sprechen, geografisch bedingt, vermutlich überdurchschnittlich viele ärmere Menschen vor.

Die hohe Ablehnungsquote in der Türkei ist auch deshalb bemerkenswert, weil in der juristischen Fachliteratur mehrheitlich davon ausgegangen wird, dass infolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs türkische Staatsangehörige jedenfalls zu touristischen Zwecken wegen des EU-Assoziierungsabkommens gar kein Visum benötigen und visumfrei einreisen können müssten (wir berichteten).

Afrikanische Länder besonders betroffen
Die Antwort der Bundesregierung belegt weiterhin erstmalig, was vielen Beratungsstellen und Praktikern in allgemeiner Form bereits bekannt war: Visumablehnungen kommen insbesondere in Bezug auf afrikanische Staaten sehr viel häufiger vor. Die Ablehnungsquoten betrugen 2009 beispielhaft: Guinea 54 %, Kongo 44 %, Senegal 41 %, Ghana 37 %, Kamerun 36 %, Nigeria 34%.

Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, forder in einer schriftlichen Stellungnahme Staaten mit hoher Ablehnungsquote auf, „diese willkürliche Praxis gegenüber ihren Staatsangehörigen ernsthaft“ zu hinterfragen.

Mangelnde Rückkehrbereitschaft?
Ablehnungen werden in diesen Fällen oftmals mit einem ungenügenden Urkundensystem, aber auch mit der Behauptung, die Betroffenen hätten ihre „Rückkehrbereitschaft“ nicht glaubhaft gemacht, begründet. Für eine solche Annahme genügt in der Praxis bereits, dass die Betroffenen nicht verheiratet sind und keine kleinen Kinder und/oder dass sie keinen gut bezahlten, regelmäßigen Job haben. „Mangelnde familiäre bzw. wirtschaftliche Verwurzelung“, lautet die Begründung der Ablehnungsbescheide in solchen Fällen .

Für Sevim Dagdelen sollte zumindest in Fällen, in denen Verpflichtungserklärungen und persönliche Einladungen vorliegen, von der ‚Rückkehrbereitschaft‘ der Eingeladenen grundsätzlich ausgegangen werden. Wie die Antworten der Bundesregierung zeigen, ist sie jedoch zu keinen Lockerungen bereit.

Visakodex
Ein Vorgehen der Betroffenen gegen eine Visumsablehnung bei Visumsvergabe gestaltete sich bisher schwierig. Mit der Ablehnung wurde den Betroffenen keinerlei Begründung oder Belehrung ausgehändigt. Mit Umsetzung der europäischen Regelungen („Visakodex“) im April 2010 hat sich diese Praxis geändert. Heute wird eine schriftliche Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung erteil, die – wenn auch – aus allgemeinen Standardablehnungen bestehen.

Aber auch diese Vorgehensweise bleibt laut Dagdelen hinter den Erwartungen zurück: „Für die Versagung eines Visums durch eine Auslandsvertretung sollte eine einzelfallbezogene und nachvollziehbare Begründung erfolgen und nicht bloß das Ankreuzen eines entsprechenden Kästchens“.