Canan Bayram

„Mit zweierlei Maß gemessen“

Grünen Abgeordnete Canan Bayram: „Die Sprachtests verstoßen klar gegen unser Grundgesetz. Wir haben eine bestimmte Vorstellung von Familie, die auch gesetzlich geregelt ist, die aber für Familien mit Auslandsbezug nicht geltend ist.“

Berlin: Am vergangenen Donnerstag, 22. April scheiterte die Fraktion von „Bündnis 90/Die Grünen“ im Berliner Abgeordnetenhaus mit ihrem Antrag, „Sprachtests als Eintrittskarte nach Deutschland“ abzuschaffen. Sowohl die rot-roten Regierungsparteien als auch FDP und CDU erteilten dem Vorschlag auf eine Bundesratsinitiative eine Abfuhr. Das MIGAZiN sprach mit der Grünen Abgeordneten Canan Bayram über den – vom Bundesverwaltungsgericht legitimierten – Sprachtest, die Auswirkungen auf Betroffene und die Chancen, dass die umstrittene Gesetznovelle aus dem Jahr 2007 doch noch gekippt wird.

MiGAZIN: Frau Bayram, warum sollten die Sprachtests für den Ehegattennachzug Ihrer Meinung nach abgeschafft werden?

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Canan Bayram: Die Sprachtests verstoßen klar gegen unser Grundgesetz. Wir haben eine bestimmte Vorstellung von Familie, die auch gesetzlich geregelt ist, die aber für Familien mit Auslandsbezug nicht geltend ist.

Und in der Realität ist es so, dass es in Afrika und vielen anderen Ländern, gar keine Sprachkurse gibt, die von den Menschen zumutbar erreicht werden können. Hinzu kommen die hohen finanziellen Kosten, die für viele eine nicht zu meisternde Hürde darstellen und Analphabeten haben gar keine Chance. Was richtig widersinnig ist: Für bestimme Länder werden die Sprachtests gefordert, für andere nicht. Ein japanischer Ehegatte kann ohne Sprachtest nachziehen, ein thailändischer wiederum nicht.

MiGAZIN: Betrachten Sie die Sprachtests in den Herkunftsländern als gesetzeswidrig?

„Zum Beispiel der Fall vorm Bundesverwaltungsgericht, da hält es das Gericht für realistisch, dass eine Analphabetin, mit fünf Kindern, in einem Jahr die Alphabetisierung und den Sprachtest durchführen kann.“

Bayram: Ja! Denn Artikel 6 unseres Grundgesetzes schützt die Familie und es gibt eine Vorfeldwirkung dieses Schutzes. Und diese gilt eben auch, wenn die Ehe zwischen Deutschland und dem Herkunftsland besteht. Da wird mit zweierlei Maß gemessen: Familien, die deutsche Wurzeln haben und Familien die einen internationalen Hintergrund haben, sind nicht gleichgestellt. Das ist klar grundgesetzwidrig.

MiGAZIN: Gibt es denn Ausnahmereglungen für Regionen, in denen zum Beispiel kein Goethe-Institut zumutbar erreichbar ist, um so einen Sprachkurs zu absolvieren?

Bayram: Es gibt keine Möglichkeiten der Erleichterung. Auch wenn es unzumutbar ist, im Herkunftsland einen Sprachkurs zu erreichen, kann man nicht nach Deutschland ziehen und den Test hier nachholen. Zum Beispiel der Fall vorm Bundesverwaltungsgericht, da hält es das Gericht für realistisch, dass eine Analphabetin, mit fünf Kindern, in einem Jahr die Alphabetisierung und den Sprachtest durchführen kann. Das ist völlig utopisch und die Frau lebt jetzt schon seit drei Jahren von ihrem Mann getrennt.

MiGAZIN: Was für Bevölkerungsgruppen trifft das Gesetz?

Bayram: Das ist völlig unterschiedlich. Es betrifft ja nicht nur Menschen aus Afrika oder Asien. Auch Deutsche, die zum Beispiel in Russland oder Thailand eine Frau kennengelernt haben. Die stehen ja vor denselben Problemen. Natürlich besteht im Einzelfall die Möglichkeit, vor das jeweils zuständige Verwaltungsgericht zu gehen, aber bei den Sprachtests sind die Gerichte sehr rigoros. Und sobald es über den Einzelfall hinausgeht, ist natürlich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bindend für andere Gerichte.

MiGAZIN: Besteht die Möglichkeit, gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vorzugehen und wie schätzen Sie die Chancen ein?

Bayram: Die Möglichkeit besteht und ich hoffe der Kollege, der vor dem Bundesverwaltungsgericht verloren hat, wird dies auch tun! In Karlsruhe sitzen unsere höchsten Verfassungsrichter und ich hoffe, dass diese den Artikel 6 vernünftig anwenden. Denn bisher vermisse ich das in den Entscheidungen.

Aber ich schätze die Chancen recht gut ein. Was mir schon beim Bundesverwaltungsgerichtsurteil gefehlt hat, war der Europarechtsbezug. Es ist eine klare Frage mit Europarechtsbezug, die in assoziierten Ländern noch mal eine besondere Bedeutung hat. Und die Tradition der Korrektur deutscher Gerichtsurteile durch den Europäischen Gerichtshof hätte auch vermuten lassen, dass dieser die Menschenrechte besser auslegt. Denn in anderen europäischen Ländern gibt es so ein Gesetz in der Form nicht.

„Persönlich kenne ich einen Fall, wo eine junge schwangere Frau, aus Angst, nicht nachziehen und das Kind nicht alleine versorgen zu können, in Istanbul eine Fehlgeburt hatte. Ich kenne auch Fälle, wo die Ehen daran zerbrochen sind, weil Ehepartner über Jahre nicht zusammenleben können.“

MiGAZIN: Wie sieht so ein Sprachtest überhaupt aus?

Bayram: Das ist ein regulärer Kurs und am Ende muss eine Prüfung bestanden werden. Da geht es um die Stufe A1, einfache Deutschkenntnisse. Mittlerweile ist besonders schlimm, dass ein eigener Markt in vielen Ländern dadurch entstanden ist. Private Sprachschulen nehmen horrende Summen für die Tests und bieten dann unterhalb der Prüfungslevel des Goethe-Instituts Prüfungen an und am Ende erhalten die Leute kein Zertifikat.

MiGAZIN: Haben Sie als Politikerin oder Anwältin auch direkt mit Betroffenen zu tun?

Bayram: Zum Teil, die Gesetzesnovelle ist im Juli 2007 erfolgt und seitdem gibt es Menschen, die darunter leiden. Persönlich kenne ich einen Fall, wo eine junge schwangere Frau, aus Angst, nicht nachziehen und das Kind nicht alleine versorgen zu können, in Istanbul eine Fehlgeburt hatte. Ich kenne auch Fälle, wo die Ehen daran zerbrochen sind, weil Ehepartner über Jahre nicht zusammenleben können.

MiGAZIN: Gibt es denn überhaupt eine Alternative zu diesen Sprachtests?

Bayram: Natürlich, die Leute sollen herkommen und dann hier Deutschkurse besuchen. Man lernt die Sprache dort am besten, wo man sie auch gebrauchen kann. Das Gegenargument, das in Berlin gerne von Innensenator Körting verwendet wird, nämlich dass Migrantinnen, die schon hier Leben auch nur selten die angebotenen Kurse besuchen, ist eine Farce. Er verschweigt dabei immer, dass die meisten Kurse ohne Kinderbetreuung stattfinden und das es für Mütter einfach schwer zu organisieren ist diese dann zu besuchen. Es gibt eine riesen Nachfrage nach Kursen mit Kinderbetreuung, aber kaum Plätze. Für die Defizite, die hier bestehen, werden dann die MigrantInnen verantwortlich gemacht.