VG Stuttgart

Minderjährige Türken haben Anspruch auf doppelte Staatsbürgerschaft

Nach einer gestern bekannt gewordenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart haben minderjährige Türken Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Das Warten auf die Volljährigkeit sei nicht zumutbar.

Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat mit rechtskräftigem Urteil der Klage einer 14 Jahre alten türkischen Staatsangehörigen stattgegeben, die trotz Fortbestehens ihrer türkischen Staatsangehörigkeit eingebürgert werden wollte (Az.: 11 K 3612/09). Denn der türkische Staat, entlasse Minderjährige nur gemeinsam mit ihren Eltern aus der Staatsbürgerschaft.

Im vorliegenden Fall ging es um eine 1995 im Bundesgebiet geborene junge Türkin, deren Eltern ebenfalls türkische Staatsangehörige sind. Ihr im April 2008 gestellter Einbürgerungsantrag wurde im August 2008 abgelehnt. Eine Einbürgerung könne nur dann erfolgen könne, wenn sie die türkische Staatsbürgerschaft abgebe, wurde ihr mitgeteilt. Eine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstatigkeit komme nicht in Betracht.

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Daraufhin erhob die 14-jährige Klage. Zu Recht, urteilten die Verwaltungsrichter am 21.09.2009 und verpflichteten das Land Baden-Württemberg, die junge Türkin in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

Warten auf Einbürgerung nicht zumutbar
Die Klägerin habe einen Anspruch auf Einbürgerung, auch wenn dabei ihre Mehrstaatigkeit hingenommen werde. Denn es sei ihr nicht möglich, in zumutbarer Weise aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden. Ihre Einbürgerung in den deutschen Staatsverband führe nach türkischem Recht nicht zum Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit. Die Klägerin könne diese aber auch nicht aufgeben. Denn nach türkischem Recht könne nur ein geschäftsfähiger türkischer Staatsangehöriger, der also sein 18. Lebensjahr vollendet habe, die Genehmigung zum Ausscheiden aus der türkischen Staatsangehörigkeit erhalten. Dies würde für die 14 Jahre alte Klägerin aber bedeuten, dass sie noch Jahre warten müsse, bis sie deutsche Staatsangehörige werden können. Das sei der Klägerin aber nicht zumutbar.

Im Übrigen seien die Voraussetzungen für eine Einbürgerung der Klägerin gegeben. Sie habe hier seit acht Jahren rechtmäßig ihren Aufenthalt und besitze die erforderliche Aufenthaltserlaubnis. Ihre Eltern bestritten ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen; sie verfügten über ein ausreichendes Nettoeinkommen. Schließlich habe sie auch die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache, wie ihr erfolgreicher Besuch der Realschule belege.

Wegweisend und Weichenstellend
Der Migrations- und Integrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Memet Kilic, begrüßte das Urteil und bezeichnete es als „wegweisend“. Das Verwaltungsgericht habe die Unzumutbarkeit „richtigerweise festgestellt“.

Auch der Vorsitzende von Migration in Germany e.V. (MiG), Ekrem Senol, zeigte sich erfreut über den Urteilsspruch: „Offensichtlich müssen Richter geradebiegen, wozu Politiker nicht willens sind – eine vernünftige Integrationspolitik.“ Bereits bei der Belegung von Schulfächern spiele für Schülerinnen und Schüler der spätere Berufswunsch eine entscheidende Rolle. Da würden grundlegende Weichen gestellt. Bei Beamtenberufen werde jedoch die deutsche Staatsbürgerschaft vorausgesetzt.

Senol: „Wenn ein Jugendlicher sich für einen Beruf im Staatsdienst entscheiden möchte, muss er das tun dürfen, ohne über seinen künftigen Pass orakeln zu müssen. Niemand kann von den Jugendlichen erwarten, solche Entscheidungen bis zu ihrer Einbürgerung irgendwann nach dem 18. Lebensjahr hinauszuschieben. Denn dann ist es in der Regel schon zu spät.“

Gegen das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts legte das Land Baden-Württemberg zunächst Berufung ein, lenkte jedoch ein und nahm sie wieder zurück. Somit ist das Urteil seit dem 26. Januar 2010 rechtskräftig.