Tomas Sager

“Ich würde den Begriff des Kulturrassismus bevorzugen”

Über die Entwicklung der antimuslimischen und rechtspopulistischen „Pro-Parteien“ in Nordrhein-Westfalen sprach das „MiGAZIN“ mit dem Journalisten Tomas Sager, der seit rund zehn Jahren für das Fachmagazin „blick nach rechts“ schreibt. Laut Sager haben die „pro“-Gruppierungen eine Marktlücke entdeckt – sie haben Antisemitismus durch Antiislamismus ersetzt.

MiGAZIN: Herr Sager kann man „pro NRW“ als Ein-Thema-Partei bezeichnen?

Tomas Sager, Journalist, schreibt seit rund zehn Jahren für das Fachmagazin „blick nach rechts“. Außerdem ist er für das Journalistenbüro „r-press“ und das „Antirassistische Bildungsforum Rheinland“ tätig und steuert Beiträge für das Blog „NRW rechtsaußen“ bei

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Tomas Sager: Das ist „pro NRW“ eindeutig. Im Landtagswahlkampf wird sich für „pro“ alles um die Fragen Moscheebau, Minarettbau, „Islamisierung“ drehen. Das ist die Marktlücke, die der rechtspopulistische Teil der extremen Rechten im Westen der Republik entdeckt zu haben glaubt. Die „pro“-Führungstruppe hat sich zwar dazu aufgerafft, ein fünfseitiges Wahlprogramm zu schreiben, das auch auf andere Themen eingeht. Aber nicht nur im Kapitel „Zuwanderung begrenzen – Islamisierung stoppen“ geht es um das Standardthema. Zur inneren Sicherheit fällt „pro NRW“ wenig mehr ein als „islamistische Terrorgefahr“ und die Klage über „Zuwanderer-Ghettos“. In der Sozialpolitik wird soziale Sicherheit exklusiv für „Staatsbürger“ gefordert. Einen „Kinderscheck“ – 5000 Euro bei der Geburt – soll es selbstverständlich auch nur für „Staatsbürger“ geben. Ergänzt wird das Programm um – sagen wir – einige populistische Standardsprüche: gegen Korruption, für die Vermittlung „traditioneller Werte“ in der Schule, gegen „Kuschelpädagogik“, und was dergleichen Plattitüden mehr sind.

MiGAZIN: Wie haben sich „pro Köln“ und „pro NRW“ in den vergangenen Jahren entwickelt? Hat sich das Auftreten in der Öffentlichkeit geändert?

Sager: Zunächst einmal verzichtet „pro“, anders als in den Anfangsjahren, auf eine offene Zusammenarbeit mit Neonazis. Bis vor einigen Jahren waren öffentlich Auftritte von „pro Köln“ ohne NPDler oder andere Neonazis gar nicht vorstellbar. Mit denen will sie heute nicht mehr gesehen werden – jedenfalls nicht bei Tageslicht. Statt dessen setzt sie auf Bürgerlichkeit. Schaut her, unsere Spitzenkandidaten und Spitzenfunktionäre sind Rechtsanwälte, Wissenschaftler, Unternehmer, gestandene Mittelständler, ist das Motto. Zweite Veränderung im öffentlichen Auftreten ist die Konzentration auf das Kernthema Anti-Islam. Und schließlich haben es die „pro“-Strategen geschafft, die eigenen Auftritte und bereits die Ankündigung eigener Aktionen als Provokation anzulegen. Ich denke an den angekündigten „Sternmarsch“ zur Duisburger Moschee. Da ist es fast schon egal, ob ein „Antiislamisierungskongress“ oder eine „Anti-Minarett-Konferenz“ stattfindet oder nicht. Finden sie statt, spielt man den Tabubrecher, finden sie nicht statt, war man Opfer „antidemokratischer Kräfte“.

MiGAZIN: „Islamkritik in den Landtag tragen“, darunter ist das Bild einer verschleierten Frau und einer durchgestrichenen Moschee zu sehen. Agiert die Partei mit ihrem offensiv antimuslimischen Auftreten noch in einem für die Demokratie tragbaren Bereich? Oder ist die Grenze zum offenen Rassismus damit schon Überschritten?

Sager: Ich würde den Begriff des Kulturrassismus bevorzugen. Und der ist für die demokratische Kultur einer Stadt oder eines Bundeslandes vielleicht sogar gefährlicher als der Rassismus alter Prägung. Weil er häufig nicht einmal als Rassismus erkannt wird. Weil die Rassisten alter Schule, wie sie sich zum Beispiel in der NPD tummeln, eher marginalisiert sind. Und weil dieser Kulturrassismus anknüpfen kann an öffentliche Debatten, wie sie gerade aktuell ja sogar in den Feuilletons großer Zeitungen geführt werden.

MiGAZIN: Schlagwörter die in kaum einer Veröffentlichung von „pro Köln“ / “pro NRW“ fehlen wie die Ablehnung von „Überfremdung und Islamisierung“ oder die Bekämpfung einer vermeintlich islamischen „Parallelgesellschaft“ könnten auch aus dem Grundsatzprogramm einer neonazistischen Partei stammen. Die „pro“-Gruppierungen bemühen sich jedoch um Abgrenzung zu Neonazis. Worin liegt der Unterschied?

Sager: Bei den Neonazis finden Sie auch den Antisemitismus und eine „sozialistische“ Phraseologie. Beides finden Sie bei „pro“ nicht. „Sozialistischer“ Neigungen sind Beisicht & Co. sicherlich unverdächtigt. Bei der Frage, wie über Juden und über Israel diskutiert wird, wenn man tatsächlich unter sich ist, wäre ich mir nicht so sicher. Was die Außendarstellung anbelangt, gehören die „pro“-Gruppierungen zu jenem Teil der extremen Rechten in der Bundesrepublik, der das Feindbild ausgetauscht hat: Antiislamismus hat den Antisemitismus ersetzt. Das ist, um das Wort noch einmal zu benutzen, die Marktlücke. Das hat ja inzwischen sogar die NPD erkannt, die nach der Schweizer Volksabstimmung ebenfalls eine Kampagne unter dem Motto „Danke Schweiz – Minarettverbot auch hier!“ angekündigt hat.

MiGAZIN: In der Öffentlichkeit tritt „pro NRW“ gerne als „patriotische Oppositionsbewegung“ auf, die laut Wahlprogramm auf „Hunderte Kommunalpolitiker und Aktivisten“ zurückgreifen kann. Leidet die Partei an Selbstüberschätzung?

Sager: Wer tagtäglich die Verlautbarungen von „pro NRW“ liest oder aus beruflichen Gründen lesen muss, kann schon ins Grübeln kommen, was diese Leute vorher einnehmen. Aber im Ernst: „Pro NRW“ ist keine „Bewegung“, soweit der Begriff eine besondere Stärke oder Dynamik ausdrücken soll. Und es gibt auch nicht „Hunderte Kommunalpolitiker und Aktivisten“. Ich denke, auch die engere Führungsriege rund um Markus Beisicht, Markus Wiener und Manfred Rouhs weiß das und schätzt das realistisch ein. Zumindest Beisicht und Rouhs sind ja lange genug ganz weit rechtsaußen politisch aktiv. Schlichtere Gemüter in ihren Reihen mögen vielleicht an die ständigen Erfolgsmeldungen, die etwas Marktschreierisches an sich haben, glauben. Man könnte das auch als Autosuggestion verstehen. Faustregel war zuletzt, dass man die Teilnehmerzahlen, die „pro“ für interne Veranstaltungen oder für Demonstrationen nannte, durch drei dividieren musste, um eine halbwegs realistische Zahl zu bekommen.

MiGAZIN: Im vergangenen August konnte „pro Köln“ fünf Sitze im Kölner Stadtrat gewinnen, einen mehr als zuvor. Welche Wählerschichten spricht die Partei an?

Sager: Als selbsternannte „Bürgerbewegung“ hat sie natürlich den Anspruch, alle Bürger anzusprechen. Eine Analyse der Kommunalwahlergebnisse vom vorigen August für den Regierungsbezirk Köln hat aber gezeigt, dass das „pro Köln“ und „pro NRW“ nur sehr unterschiedlich gelingt. Ergebnis war, dass vor allem dort die höchsten Ergebnisse erzielt wurden, wo die Wahlbeteiligung niedrig war und wo tendenziell Bevölkerung der unteren Einkommensschichten und viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Umgekehrt wurde dieser Analyse zufolge „pro Köln“ dort weniger gewählt, wo die Bevölkerung tendenziell einen höheren Bildungshintergrund hat. Das galt nicht nur für Köln, sondern auch für das Umland.

MiGAZIN: Worauf führen Sie die bisherigen regionalen Wahlerfolge von „pro Köln“ / “pro NRW“ zurück? Liegt diesem Erfolg ein in breiten Teilen der Gesellschaft verankerter Rassismus zugrunde?

Sager: Natürlich gibt es Kölner Besonderheiten, die zu einer Abkehr von den alten „Volksparteien“ führen. Der „Kölner Filz“ ist ja republikweit sprichwörtlich. Dass sich eine solche Abkehr dann aber in der Stimmabgabe gerade für eine extrem rechte Formation äußert, hat natürlich etwas mit Rassismus und anderen extrem rechten Einstellungsmustern zu tun. Wer sich die sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema seit der Sinus-Studie von 1981 anschaut oder wer die empirischen Ergebnisse verfolgt, die Prof. Wilhelm Heitmeyer alljährlich für seine „Deutschen Zustände“ erhebt, kann sich eigentlich nicht über solche Wahlergebnisse wundern.

MiGAZIN: Aus welchem politischen Milieu stammen die Führungsköpfe von „pro Köln“ und „pro NRW“?

Sager: Nehmen wir Markus Beisicht, den Vorsitzenden von „pro Köln“ und „pro NRW“. Der war einst bei den „Republikanern“ und anschließend bei der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ aktiv, die sich als Sammlungsbewegung der bundesdeutschen Rechten verstand, mit deutlich rassistischer und antisemitischer Grundierung. Oder nehmen wir Manfred Rouhs, Ratsmitglied für „pro Köln“ und Vorsitzender von „pro Deutschland“. Der hat nicht nur eine Vergangenheit bei den „Republikanern“ und der „Deutschen Liga“ aufzuweisen, sondern auch bei den „Jungen Nationaldemokraten“, also beim NPD-Nachwuchs. Beisicht sah noch im Sommer 2007 nichts Verwerfliches darin, der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ ein umfängliches Interview zu geben.

MiGAZIN: Rechtspopulistischer Wahlkampf auf Kosten von muslimischen Menschen findet seit einigen Jahren überall in Europa statt, sind die deutschen „pro Parteien“ in dieses europäische Netzwerk eingebetet?

Sager: Um an die vorherige Antwort anzuknüpfen: Beisicht fand es offenbar auch nicht beanstandenswert, dass er im September 2007 mit Spitzenvertretern europäischer Rechtsaußenparteien, der NPD und der DVU an einem Tisch saß, um über die Perspektiven der extremen Rechten in Europa nachzudenken. Geblieben sind davon vor allem die hervorragenden Kontakte zu den – abgesehen von der Lega Nord in Italien – erfolgreichsten rechtspopulistischen Parteien Westeuropas, zur FPÖ in Österreich und zum „Vlaams Belang“ in Belgien. Beide Parteien haben auch angekündigt, „pro NRW“ im Landtagswahlkampf und bei der für Ende März geplanten „Anti-Minarett-Konferenz“ unterstützen zu wollen.

MiGAZIN: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation? Verfügen rechtspopulistische Parteien in Deutschland noch über ein Entwicklungspotenzial?

Sager: Ich denke, für „pro NRW“ gilt, was auch für andere extrem rechte Parteien in der Bundesrepublik gilt. Ein Kernproblem für sie ist, dass ihr Personal bestenfalls zweitklassig ist. Das Beispiel der Schill-Partei in Hamburg hat aber gezeigt, welche Erfolge möglich sind, wenn ein Anführer einer solchen Formation sich von der Qualität des sonstigen Personals abhebt und sogar von Medien gepuscht wird. Knapp 20 Prozent hat Schill in Hamburg geholt. Oder schauen Sie zu den „pro NRW“-Bündnispartnern nach Österreich oder Belgien. Die zeigen, was bei Wahlen für solche Formationen möglich ist. Oder noch einmal zurück nach Deutschland. Die DVU hat in der Vergangenheit mehr als einmal gezeigt, welche Wahlergebnisse möglich sind, selbst wenn das Personal sogar dritt- oder viertklassig ist, statt dessen aber die Wahlkampfkasse proppenvoll ist. Wenn es stimmt, dass Patrik Brinkmann in den nächsten zwei Jahren fünf Millionen Euro in die Wahlkämpfe von „pro“ in NRW und in Berlin investieren will, dann ist ein Überraschungserfolg nicht ausgeschlossen. Ich denke nicht an das Flächenland Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr, aber im nächsten Jahr in Berlin.