Migrationsbericht

Mehr Abwanderer als Zuwanderer

Deutschland hat mehr Abwanderer als Zuwanderer. Dies ergibt sich aus dem Migrationsbericht 2008, der gestern von Staatsministerin Maria Böhmer vorgestellt wurde. Sie forderte dazu auf, dem Fachkräftemangel in Deutschland verstärkt mit qualifizierten Menschen aus Zuwandererfamilien zu begegnen. Die Linkspartei kritisiert die Selektion nach Nützlichkeit und stellt der Bundesregierung zum 100. Tag ein schlechtes Zeugnis aus.

Der Migrationsbericht [pdf], der auf Wunsch des Bundestages jährlich erstellt wird, gibt auf der Grundlage der vorhandenen Daten einen Überblick über das Migrationsgeschehen in Deutschland und beinhaltet neben den allgemeinen Wanderungsdaten zu Deutschland und der detaillierten Darstellung der verschiedenen Zuwanderergruppen einen europäischen Vergleich zum Migrationsgeschehen und zur Asylzuwanderung. Der Bericht enthält außerdem Aussagen zur illegalen Migration und informiert über die Struktur der ausländischen Bevölkerung sowie der Bevölkerung mit Migrationshintergrund.

Das Bundeskabinett hat gestern den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erarbeiteten Migrationsbericht 2008 verabschiedet. Danach war mit einem Plus von 10.700 Personen im Jahr 2008 ein deutlich geringerer Wanderungssaldo zu verzeichnen als in den Vorjahren – im Jahr 2001 lag dieser Saldo noch bei Plus 188.200.

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Laut Migrationsbericht hat die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte – wenn auch auf einem sehr niedrigem Niveau – weiter zugenommen. Leicht zurückgegangen ist aber die Zahl ausländischer Staatsangehöriger. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Deutschlands ist seit Mitte der 1990er Jahre allerdings nahezu unverändert und liegt seit 2004 bei 8,8%. Mehr als jeder Dritte ist Bürger der Europäischen Union, jeder Vierte türkischer Staatsbürger. 26.653 Türken zogen im Jahr 2008 in die Bundesrepublik, aber 34.843 gingen in ihr Heimatland zurück.

Fast zwei Drittel der ausländischen Bevölkerung lebt seit zehn oder mehr Jahren in Deutschland, etwas mehr als ein Drittel sogar seit mehr als 20 Jahren.

Zunehmend auf die Fähigkeiten von Zuwanderern angewiesen
„In vielen Bereichen der Wirtschaft ist der Mangel an Fachkräften schon jetzt spürbar. Weil die deutsche Bevölkerung weiter sinkt, sind wir zunehmend auf die Fähigkeiten von Zuwanderern angewiesen. Mit ihren Sprachkenntnissen und ihrer Migrationserfahrung sind sie in der Globalisierung für viele Unternehmen ein handfester Gewinn“, erklärte Staatsministerin Maria Böhmer anlässlich der Verabschiedung des Migrationsberichtes 2008 im Bundeskabinett. Laut Bericht geht der Anteil der Deutschen weiter zurück, während die Zahl der Ausländer in unserem Land ansteigt. Dies gilt auch für den Anteil der Migranten, wie aus aktuellen Zahlen des Mikrozensus 2008 hervorgeht. Die Gruppe der Migranten ist auch deutlich jünger als der Schnitt der deutschen Bevölkerung.

„Die Daten aus dem Migrationsbericht belegen: Immer mehr ausländische Wissenschaftler, Fachkräfte und leitende Angestellte finden in Deutschland eine berufliche Perspektive. Auch die Zahl von 240.000 ausländischen Studenten an deutschen Hochschulen ist ein Beleg für die zunehmende Vielfältigkeit unseres Landes. Die Zahl der Studienanfänger mit ausländischen Wurzeln im Wintersemester 2008/2009 war mit knapp 53.000 so hoch wie nie zuvor. Zugleich finden immer mehr Studierende aus Drittstaaten nach ihrem Studium in Deutschland einen Arbeitsplatz in unserem Land. Das zeigt: Vielfalt wird verstärkt als Chance gesehen. Zugleich sollten diese Zahlen für uns Ansporn sein, für Hochqualifizierte und motivierte Zuwanderer noch attraktiver zu werden. Wir benötigen ausländische Fachkräfte, damit wir unsere wirtschaftliche Führungsrolle auf vielen Weltmärkten sichern können“, betonte Staatsministerin Böhmer.

„Umso wichtiger ist es, auf die qualifizierten ausländischen Akademiker und Fachkräfte zurückgreifen zu können, die schon in unserem Land leben. Deshalb wird es höchste Zeit für die Anerkennung der ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüsse. Die Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung sind vom Kabinett längst beschlossen. Jetzt muss innerhalb dieses Jahres zügig ein Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht werden“, erklärte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.

„Der Migrationsbericht zeigt einmal mehr: Der demografische Wandel lässt sich nicht stoppen. Wir können ihn aber steuern, indem wir verstärkt auf die Talente und Fähigkeiten der Zuwanderer setzen“, so Böhmer.

Selektion nach Nützlichkeit
Anlässlich dieser Erklärungen und der ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung erntete Maria Böhmer Kritik von der migrationspolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen: „Die Erklärung der Integrationsbeauftragten Böhmer und die Fokussierung auf ‚Fachkräfte‘ verdeutlichen den Kerninhalt der Migrationspolitik der Bundesregierung: Mehr denn je beherrscht eine strikte Selektion nach Nützlichkeit das Denken und Handeln. Um Fachkräfte wird geworben, Ehegatten mit ‚bildungsferner‘ Herkunft werden bewusst draußen gehalten. Doch dazu schweigt Böhmer. Auch schweigt sie zu den Gesetzesverschärfungen bei Einbürgerungen, die auf verhängnisvolle Weise in den letzten Jahren zur Halbierung der Einbürgerungszahlen geführt haben. Hier fehlen entsprechende Schlussfolgerungen und wirksame Maßnahmen.“

Wirksame Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Migranten fehlten bei der Bundesregierung auch bei der Ausbildung und im Arbeitsmarkt oder gegen die Benachteiligung ihrer Kinder im Bildungssystem. Einzig, Migranten einen gesetzlichen Anspruch auf Anerkennung ihrer ausländischen Bildungsabschlüsse zu geben, solle nun endlich nach Jahren der Dequalifizierung, Diskriminierung und Ablehnung angegangen werden.

„Will die Bundesregierung tatsächlich eine Integration von Migrantinnen und Migranten, muss sie soziale Sicherheit und gleiche Rechte für alle in Deutschland lebenden Menschen schaffen. Sie muss das dreigliedrige Schulsystem abschaffen, der prekären Beschäftigungssituation durch einen gesetzlichen Mindestlohn entgegentreten, Hartz IV abschaffen und eine soziale, repressionsfreie Grundsicherung einführen sowie die Bedürfnisse der Menschen statt der Profite in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen“, so Dagdelen.

Die Politik der sozialen Kälte, die diskriminierende Praxis sowie Ausgrenzung von Menschen mit Migrationhintergrund in der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gehe erwartungsgemäß unter Schwarz-Gelb weiter. Damit knüpfe die neue Bundesregierung nahtlos an die alte an. „Ein Umdenken ist nicht zu erwarten“, prognostizierte Dagdelen abschließend und stellte der Bundeseregierung ein schlechtes 100-Tage-Zeugnis aus.