Volksabstimmung

Reaktionen auf das Schweizer „Nein“ zum Minarettenbau

Der Ausgang des Schweizer Volksentscheids gegen den Neubau von Minaretten hat weltweite Empörung und Enttäuschung ausgelöst. 57,5 Prozent sprachen sich am Sonntag überraschend gegen den Bau von Minaretten in ihrem Land aus. Stimmen aus Deutschland, Europa und der Welt mahnten zur Achtung der Religionsfreiheit.

Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), der 57 Länder angeschlossen sind, nannte das Votum „enttäuschend und beunruhigend“. Ekmeleddin Ihsanoglu, der Generalsekretär der Organisation, nannte das Votum ein Beispiel für wachsende anti-islamische Aufhetzung in Europa. Der türkische Kulturminister Ertugrul Günay kritisierte das Verbot als Zeichen religiöser Intoleranz. Auch die schwedische EU-Präsidentschaft hat das Schweizer Votum gegen Minarette kritisiert. In Schweden sei ein Minarett-Verbot zudem wohl kaum durchzusetzen, weil dem die Religionsfreiheit entgegenstehe.

Infobox: Zwei rechtspopulistische Parteien (Schweizerische Volkspartei (SVP) und Eidgenössische Demokratische Union (EDU[/efn_note] hatten die Initiative auf den Weg gebracht. In der Schweiz leben etwa 400 000 Muslime, die bisher insgesammt vier Moscheen mit Minaretten gebaut haben. Die Beteiligung an der Volksabstimmung lag überdurchschnittlich hoch bei 54 Prozent.

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Eine Instrumentalisierung der Religion habe stets „schlechte, giftige Früchte gebracht“, sagte der Chefredakteur der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“, Giovanni Maria Vian und brachte sein Bedauern zum Ausdruck. Auch die katholische Kirche müsse Selbstkritik üben, weil es ihr nicht gelungen sei, die Wähler zur Zurückweisung des Minarettverbots zu überzeugen.

Muslimische Vertreter besorgt
Auch in Deutschland waren kritische Stimmen nicht zu überhören. Politik, Kirchen und Vertreter der Muslime warnten vor negativen Folgen für den interreligiösen Dialog in Europa und für Christen in islamischen Ländern.

So reagierte die Deutsche Bischofskonferenz „mit großer Sorge“ auf den Volksentscheid. Den Christen in islamischen Ländern werde die Entscheidung nicht helfen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler, bedauerte das Ergebnis des Volksentscheids. Er sei „sehr erschrocken, dass eine rechtspopulistische Bewegung und eine rechtspopulistische Partei eine so überwältigende Mehrheit für so ein Verbot erringen konnte“.

Auch der Vorsitzende des Islamrates für die Bundesrepublik, Ali Kizilkaya, war „entsetzt“ über die Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten. Dieses Ergebnis beschädige das Ansehen ganz Europas, sagte Kizilkaya. Er forderte zugleich den neuen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf, sich verstärkt für den Abbau von Vorurteilen gegenüber dem Islam einzusetzen.

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Diskussionen à la „Leitkultur“ vermeiden
de Maizière hingegen sagte, dass der Bau von Moscheen in der Bundesrepublik der Religionsfreiheit unterliege. Von der Schweizer Entscheidung könne Deutschland aber lernen, dass Religionsgemeinschaften mit Kommunen zu behutsamen Entscheidungen kommen müssten, die niemanden überforderten.

Grünen-Politiker Memet Kilic (Bündnis 90/Die Grünen) warnte vielmehr davor, Grundrechte zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen. „Grundrechte wie die Religionsfreiheit sind durch die Grundrechte Dritter einschränkbar nicht per populistischen Volksabstimmungen“, so Kilic. Wer den „Kampf der Kulturen“ nicht schüren, sondern vermeiden wolle, müsse eine sachliche und gelassene Diskussion über das Zusammenleben und die Grenzen der Freiheiten führen und herabschauende Diskussionen à la „Leitkultur“ vermeiden.

Schweizer Entscheidung ernst nehmen
Für FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff hingegen ist der Anspruch auf öffentlichen Religionsausübung in würdigen Moscheen „berechtigt – erfordert aber keine Bauten die als ‚Machtanspruch‘ oder politische Demonstration empfunden werden können“. Religionsfreiheit garantiere, so der Liberale Politiker, den Bau von Moscheen, ebenso wie den Bau von Kirchen – aber nicht schrankenlos.

Wolff weiter: „Toleranz zwischen unterschiedlichen Bekenntnissen gehört zum Fundament unserer Gesellschaft. Bedenken der Bevölkerung dürfen gleichwohl nicht einfach als „islamfeindlich“ abgetan werden, sondern sollten zum Nachdenken anregen, wie die Akzeptanz des Islam und der beidseitige Dialog verbessert werden kann.“

Ähnlich rief der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), dazu auf, die Schweizer Entscheidung ernst zu nehmen. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei Ausdruck einer auch in Deutschland weit verbreiteten Angst vor der Islamisierung der Gesellschaft.

Mit „kein Wunder“, kommentierte Sevim Dagdelen (Die Linke) Bosbachs Vorstoß. „Trägt er und insbesondere die CDU/CSU zum ,Feindbild Islam‘ und zur Verbreitung in der so genannten Mitte der Gesellschaft bei und instrumentalisiert die Integrationsdebatten durch das populistische Schüren von Vorurteilen.“ Die rechtskonservativen Parteien in der Schweiz, die gegen die Musliminnen und Muslime mobil gemacht haben, „wurden gehört“, so Dagdelen. Diese Stimmungsmache und Hetze sei aber auch in Deutschland erfolgreich , „weil die demokratischen Institutionen das Spiel nicht nur mitmachen, sondern maßgeblich bestimmen“.

Ein europäisches Wir-Gefühl
Für Ismail Ertug, SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament, ist die ablehnende Haltung der Eidgenossen gegenüber dem Bau weiterer Minaretten „die logische Konsequenz fehlender Aufklärung und populistischer Panikmache hinsichtlich einer angeblichen Islamisierung der Gesellschaft.“ Ertug fordert daher auch seine eigene Partei auf, sich stärker zu bewegen.

Die SPD müsse und könne beweisen, dass sie Lösungen für die Probleme des 21. Jahrhunderts anzubieten habe: „Wir müssen ein europäisches Wir-Gefühl entwickeln, das alle Bürger umfasst – Christen wie Muslime, Juden wie Atheisten, Konservative wie Progressive. Nur so können wir es schaffen, den internationalen Terrorismus, die Klimaerwärmung und die Finanzmarktkrise in den Griff zu bekommen.“ Das seien Europas drängendste Probleme und nicht die Frage, ob ein Minarett ins Stadtbild passe.