Visumfreiheit

Innenministerium konkretisiert Auswirkungen des Soysal-Urteils

Das Bundesministerium des Innern hat in einem Ministerialerlass an die Bundespolizei die Auswirkungen des sog. Soysal-Urteils des EuGH konkretisiert. Neben Lkw-Fahrern, Montage- und Instandhaltungsarbeitern werden auch Künstler und Sportler von der Visumspflicht befreit.

Das Bundesministerium des Innern hat mit einem vom 6. Mai 2009 datierten Ministerialerlass an die Bundespolizei die Auswirkungen des sog. Soysal-Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) konkretisiert.

Das Soysal-Urteil
Der EuGH hatte in dem o.g. Urteil vom 19. Februar 2009 (AktZ: C-228/06) entschieden, dass das Zusatzprotokoll vom 23.11.1970 zum Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei vom 12.9.1963 dahingehend auszulegen ist, dass diese Vorschrift es verbietet, ein Visum für die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ein EU-Mitgliedsstaat zu verlangen, wenn er Dienstleistungen für ein in der Türkei ansässiges Unternehmen erbringen will, sofern ein solches Visum zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls (1.1.1973 in Deutschland) nicht verlangt wurde.

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Zur Begründung verwies der EuGH auf die festgelegte Pflicht der Vertragsparteien, „keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen“ (sog. Stillhalteklausel).

Die Konsequenzen
In dem nun vorliegenden Erlass teilt das Innenministerium mit, dass türkische LKW-Fahrer von der Visumpflicht befreit sind, wenn sie als Arbeitnehmer eines Arbeitgebers mit Sitz in der Türkei grenzüberschreitende LKW-Fahrten in Deutschland durchführen, sich nicht länger als zwei Monate im Bundesgebiet aufhalten und die angestrebte Transportleistung rechtmäßig erbringen können.

Des weiteren habe die Bundesregierung im Detail geprüft, welche weiteren Formen der Dienstleistungserbringung durch türkische Staatsangehörige im Lichte des „Soysal“-Urteils von der Visumpflicht zu befreien sind, und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass türkischen Staatsangehörigen für eine Aufenthaltsdauer von bis zu zwei Monaten eine visumfreie Einreise zu ermöglichen ist, wenn sie rechtmäßig

Konsequenzen in Bezug auf die Visumpflicht weiterer Personengruppen seien aus Sicht der Bundesregierung nicht veranlasst. Insbesondere folge aus dem „Soysal“-Urteil kein Recht türkischer Staatsangehöriger auf eine visumfreie Einreise nach Deutschland zum Zweck des Empfangs von Dienstleistungen (sog. passive Dienstleistungsfreiheit), beispielsweise als Touristen.

Nunmehr werde nach Möglichkeiten einer praktikablen Umsetzung der Visumfreiheit für diese Personen ermittelt. Bis zum Abschluss der Prüfung bleibe es für diese Gruppe beim bisherigen Visum-und Grenzregime.

Die Kritik
Zuvor hatten zahlreiche Rechtsexperten das Soysal-Urteil des EuGH dahingehend ausgelegt, dass aus der Urteilsbegründung nicht nur die aktive sondern auch die passive Dienstleistungsfreiheit folgt mit der Konsequenz, dass auch türkische Touristen visumsfrei einreisen können.

In zahlreichen Anfragen sowohl der Grünen als auch der Linksfraktion im Bundestag hatte die Bundesregierung sich auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Rechtsexperten nicht eingelassen. Stattdessen hatte die die Bundesregierung mit zum Teil widersprüchlichen Aussagen (wir berichteten) zur allgemeinen Verwirrung beigetragen. Auch der nun vorliegende Erlass umgeht die Frage der passiven Dienstleistungsfreiheit weitestgehend und beschränkt sich lediglich auf eine kurze Feststellung mit einer äußerst dünnen Begründung, was als Zeichen dafür gewertet wird, dass die Bundesregierung mit ihrer Position allein steht und sich Argumentativ auf sehr dünnem Eis bewegt.

Download: Veraltungsvorschrift zu den Auswirkungen der Standstillklausel des Art. 41 Zusatzprotokoll auf die Einreisefreiheit türkischer Staatsangehöriger auf Migrationsrecht.net

Außerdem ist der Hinweis in dem nun vorliegenden Erlass, dass bis zum Abschluss der Prüfung der Möglichkeiten einer praktikablen Umsetzung keine visumfreie Einreise erfolgen kann, äußerst problematisch, da die Bundesregierung die Visafreiheit für bestimmte Personen anerkennen musste und infolge dessen eine Zurückweisung an der Grenze nicht mehr gerechtfertigt ist. Dr. Klaus Dienelt, Experte für Ausländerrecht, weist darauf hin, dass eine Verzögerung der verfahrensrechtlichen Umgesetzt nicht als Grund herhalten kann, türkischen Staatsbürgern das Recht auf visumsfreie Einreise vorzuenthalten. „Es bleibt zu hoffen“, so Dienelt „dass die Grenzbeamten in dieser Situation Ausnahmevisa ausstellen, um den europarechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen.“