Rohingya, Flucht, Muslime, Genozid, Bangladesh
Muslimische Rohingya auf der Flucht in Bangladesh (Archivfoto) © Jordi Bernabeu Farrús @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Hoffen auf Gerechtigkeit

Verbrechen an den Rohingya im Fokus der internationalen Justiz

Der Internationale Strafgerichtshof hat sich für zuständig erklärt, die Vertreibung Hunderttausender Rohingya aus Myanmar zu ahnden. Ob es je zu einer Anklage kommt, ist jedoch ungewiss. Von Benjamin Dürr und Nicola Glass

Von Benjamin Dürr, Nicola Glass Donnerstag, 20.09.2018, 5:18 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 20.09.2018, 17:37 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die systematische Gewalt gegen die muslimischen Rohingya könnte ein Fall für die internationale Justiz werden: So hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag erklärt, es sei befugt, über die Massenvertreibung der Rohingya-Volksgruppe aus Myanmar nach Bangladesch zu urteilen. Myanmar ist zwar kein Mitgliedsstaat des Tribunals, Bangladesch hingegen schon.

Die Richter argumentieren, dass bestimmte Verbrechen in die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs fielen, weil auch Bangladesch betroffen sei. Konkret könnten Vertreibung und Verfolgung untersucht werden, weil die Definition dieser Verbrechen das Überqueren einer Landesgrenze voraussetzt. Im Fall der Rohingya sei diese Bedingung erfüllt. Während Bangladeschs Außenministerium Medienberichten zufolge den Entscheid begrüßte, wies Myanmar diesen als „rechtlich zweifelhaft“ zurück.

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Vorwurf: Völkermord

Menschenrechtler in Südostasien werteten den Beschluss als „außerordentlich“. Sie betonten aber, dieser sei nur ein erster Schritt: „Der Entscheid sollte mehr internationale Aktivitäten anstoßen, nicht weniger“, sagte Matthew Smith, Leiter der Organisation „Fortify Rights“. Der UN-Sicherheitsrat sei gefordert, die Situation in Myanmar vor das Den Haager Tribunal zu bringen. „Zweifellos wird das den mehr als eine Million Rohingya, die unter jahrzehntelanger brutaler Tyrannei in Myanmar litten, dringend benötigte Hoffnung und Optimismus bringen“, erklärte die indonesische Abgeordnete Eva Kusuma Sundari, Mitglied der südostasiatischen Parlamentariergruppe für Menschenrechte (APHR).

Ende August hatte ein UN-Expertengremium Myanmars Streitkräften unter Armeechef Min Aung Hlaing Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya vorgeworfen. Zudem forderten die Verfasser des Berichts einen Prozess gegen die Verantwortlichen vor dem Strafgerichtshof in Den Haag oder einem Sondertribunal. Die zivile Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi habe sich ebenfalls mitschuldig gemacht. Als Folge einer vom Militär lang vorbereiteten Offensive waren vor einem Jahr mehr als 700.000 Rohingya nach Bangladesch geflohen.

Experten kritisch

Experten sehen die Entscheidung des Den Haager Tribunals jedoch kritisch und bezweifeln, dass sie jemals zu einer stichhaltigen Anklage führt. „Die Entscheidung schafft unverhältnismäßige Erwartungen bei den Opfern, auch in Bezug auf die vielen anderen Verbrechen in Myanmar,“ schreibt der Völkerrechtsexperte Dov Jacobs in seinem Blog. Die meisten Verbrechen, darunter zum Beispiel Mord oder die systematischen Vergewaltigungen, seien schließlich in Myanmar begangen worden und lägen damit weiter außerhalb der Zuständigkeit des Strafgerichtshofs.

Indes fordert der APHR-Vorsitzende Charles Santiago, mit internationalem Druck auf Myanmar nicht nachzulassen. Der Beschluss betreffe zunächst die Zuständigkeit, das mutmaßliche Verbrechen der Deportation zu untersuchen. Die Vielzahl der Gräuel umfasse jedoch auch Völkermord und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, betont der malaysische Parlamentarier: „Es bleibt unerlässlich, dass wir uns auch um andere internationale Rechtsmechanismen sowie die Weiterleitung durch den UN-Sicherheitsrat bemühen.“

Fehlende politische Unterstützung

Ein Mandat des UN-Sicherheitsrats an den Strafgerichtshof, wie es unter anderem „Human Rights Watch“ fordert, gilt jedoch wegen eines drohenden Vetos der chinesischen Regierung als unwahrscheinlich. Auch für ein Tribunal wie nach dem Völkermord von Ruanda oder den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien fehlt die politische Unterstützung.

Die Den Haager Chefanklägerin Fatou Bensouda muss nun entscheiden, ob sie Voruntersuchungen aufnimmt. Die juristische Grundlage wurde geschaffen. Doch selbst wenn es zu einem formalen Ermittlungsverfahren und einer Anklage kommt, sind die Aussichten für Verurteilungen gering. Für die Festnahme von Angeklagten wäre der Strafgerichtshof wohl auf die Mitarbeit von Myanmar angewiesen, wogegen sich das südostasiatische Land aber vehement sträubt. In der Vergangenheit verliefen bereits mehrere Fälle in Den Haag im Sand, weil Regierungen die Kooperation verweigerten. Völkerrechtsexperte Jacobs befürchtet, das Gericht sei dabei, wieder zu scheitern. (epd/mig) Aktuell Ausland

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