Rassismus, Buch, Buchcover, Wie die Deutschen weiß wurden
"Wie die Deutschen weiß wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus" von Wulf D. Hund © Springer Verlag

Rezension

Wie die Deutschen weiss wurden oder eine Kritik der verklärten Selbsterzählung

Warum die Deutschen, "...obwohl sie nach dem Zweiten Weltkrieg für den Rest der ‚weißen Rasse‘ moralisch diskreditiert waren, schnell wieder weißwaschen konnten"? Die "Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus“ beleuchtet die Entwicklung des Rassismus gezielt aus deutscher Perspektive. Von Alpay Yalçın.

Von Alpay Yalçın Freitag, 15.12.2017, 6:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.12.2017, 14:06 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Selbsterzählung ist ein Konzept, an dessen Ende eine verständliche und kohärente Identität stehen soll. Der (Sozial-)Psychologe Kenneth J. Gergen weist in seiner Arbeit auf die „Konstruiertheit“ dieses Prozesses hin. Für Kenneth stellt die Herstellung einer „stabilen und kohärenten Identität“ zentrale Funktion einer solchen Selbsterzählung dar. Nationale, vielleicht auch zivilisatorische Selbsterzählungen sind in diesem Sinne Ergebnis sozialer Beziehungen innerhalb einer Nation – weniger kognitive Leistungen einzelner Personen – deren Ergebnis eine stabile nationale Identität sein soll.

Der Begriff der Globalisierung, beschreibt dagegen einen Prozess, der die Begrenztheit solcher Konstruktionen offenlegt. Während also die Globalisierung – ursprünglich regionaler Wirtschaftsweisen – genuin „gut“ sein soll, ist die hiesige Diskussion über die weltweite Migrationsbewegung zunächst auf „Flüchtlinge“ bzw. „Wirtschaftsflüchtlinge“ begrenzt. Expats sind in diesem Sinne „gut“, Flüchtlinge, egal welcher Ausrichtung, grundsätzlich „schlecht“ für die Nation, oder das Volk. Folgt man solchen konservativen bis extremistischen (Selbst-)Erzählungen, befinden wir uns in einem Prozess der „Umvolkung“, der eine „identitäre“ Gegenwehr entgegengestellt werden müsse.

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„Die Zusammengehörigkeit der Ungleichen erzeugt Untermenschen“ (W. D. Hund)

Im Nachgang der Katastrophe des dritten Reiches entstand in Deutschland eine nationale Selbsterzählung rechtsstaatlicher Sicherheit und wirtschaftlicher Stabilität, vor allem aber der, der demokratischen Gesinnung. Ausdruck dieser Haltung soll unter anderem der Gedanke der Selbstermächtigung des Bürgers in zivilgesellschaftlichen Belangen sein: Wir sagen Bürgergesellschaft dazu. Zahlreiche Stiftungen, Projekte und der Begriff der „Bürgerbeteiligung“ sollen Ergebnis dieser Haltung sein. Man könnte sagen: Im Zuge der Globalisierung findet auch eine Globalisierung dieses sozialen Engagements statt.

Bei manchen Protagonisten von Schwellenländern fordert dieses Engagement nervöse bis paranoide Reaktionen aus. Wie konstruiert solche Zusammenhänge sind, versucht der oben genannte Wissenschaftler mit dem Begriff des „sozialen Konstruktionismus“ einzufangen. Demnach sind, für Kenneth J. Gergen, Selbsterzählungen eingebettet in soziale und historische Prozesse – also weniger eine individuelle Leistung. Er fragt dann auch an anderer Stelle, ob der Begriff der „autonomen Person“ eine „europäische Erfindung sei? 1

Wie immer muss eine solche glossenhafte Darstellung jahrelanger Forschungsarbeit recht grob ausfallen. Für die folgende Rezension ist sie grundlegend. Denn der Autor des vorliegenden Titels plädiert in seiner Forschungsarbeit für eine Betrachtungsweise, welche Rassismus – und andere soziale Diskriminierungsformen – in einen Zusammenhang mit politischer Legitimation von Herrschaftsverhältnissen bringt. Der vorliegende Titel ist sodann eine historische, wie aktuelle, Analyse solcher Zusammenhänge und Legitimationsweisen.

Schon der Titel: „Wie die deutschen weiss wurden“, provoziert vor allem eine Frage: Waren die deutschen denn nicht immer schon „weiss“? Weiter geht es mit der Provokation im Untertitel „Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus“. Wie jetzt, die Heimat des Rassismus sei hier? Wie unstetig die Einteilung der Menschenfamilie in Farben – und damit Gesinnungen – sein kann, und ist, zeigt der Autor beim Begriff „Rasse“: So zitiert Hund einen englischen Bericht, in dem Wasserarbeiter auf der Themse als eine „entartete, freche und habsüchtige“ Rasse bezeichnet seien sollen. Und,

„Selbst im Kommunistischen Manifest wurden die Arbeiter als „Race“ bezeichnet und ein Wortgebrauch fortgeschrieben, der zwar einerseits auf einer großen Bandbreite des Begriffs beruhte, anderseits aber eben auch die Differenz zwischen den Klassen kategorial mit der zwischen Rassen in Beziehung brachte.“ (S. 96)

Zusammen mit der Vorrede zu dieser Rezension ergibt sich ein Bild, in der die Deutschen nicht schon immer weiß waren, weil die Wahrnehmung von Hautfarben nicht schon immer als Unterscheidungsmerkmal galt, mit der man sich hätte abgrenzen bzw. „absetzen“ können. Zumal Abgrenzungen in der Geschichte in ganz anderen – z.B. kulturellen – Kategorien stattfanden und durch „Erweiterung ihres geographischen Horizonts“ (Manche würden Kolonialismus sagen) „weiße Haut auch in Asien und Amerika sahen“.

In diesem Sinne erscheint „Rassismus“ als Integrationsmerkmal der europäischen bzw. „atlantischen“ Zivilisation. Wie wenig das zutrifft zeigt der Umstand, dass die Deutschen im Ersten Weltkrieg als „Barbaren“ und im Zweiten Weltkrieg als „Hunnen“ bezeichnet, oder von den Amerikanern (und Sowjets) auf einem Plakat der Armee, gar als „Gorilla“ mit Pickelhaube und weißer Frau im Würgegriff, dargestellt wurden. So entfaltet der Autor eine historische Aufarbeitung des Rassebegriffs und liefert eine Erklärung für seinen provokativen Titel. Und in diesem Sinne erscheinen Abgrenzungsbewegungen als das Zusammentreffen, neuer, zuvor unbekannter Identitäten(-Konstruktionen), oder Kulturen.

Damit wären wir bei Huntington angelangt, der in seinem Aufsatz der „Kampf der Kulturen“ so völlig missverstanden wurde, wie es die Differenz zwischen dem englischen und deutschen Titel nicht besser ausdrücken könnte. Wortwörtlich spricht der Titel vom „Zusammenprall der Kulturen“, als von Kampf. Und mit Wulf D. Hunds Titel, könnte man diesen Umstand so modifizieren, dass die eigentliche Abgrenzung nicht zwischen Hautfarben oder Kulturen stattfindet, sondern zwischen gesellschaftlichen Klassen und Schichten.

Warum die Deutschen, „…obwohl sie nach dem Zweiten Weltkrieg für den Rest der ‚weißen Rasse‘ moralisch diskreditiert waren, schnell wieder weißwaschen konnten, welche Rolle dabei die ‚rote Gefahr‘ spielte und wie sich Rassismus heute immer noch all jener Elemente bedient, die im Verlauf seiner Geschichte entwickelt worden sind“, bilden den resümierende Abschluss seiner Analyse.

Der Autor zeigt aber auch, wie schnell undifferenzierte Begriffe Eingang in (pseudo-)wissenschaftliche Diskurse finden, wenn geltungs- und karrieresüchtige Forscher im Sinne eines „Opportunismus als Naturanlage“ (Gereon Wolters) agieren. Vor allem zeigt Wulf D. Hunds Buch aber, wie diese Konzepte Eingang in die mediale Repräsentation finden. Rassismus könnte in diesem Sinne weniger ein Konzept zur Anklage politischer Widersacher sein, als vielmehr eine Mahnung an jeden selbst sein, die eigene Einstellung zu Hinterfragen.

Wenn also die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg „weiß“ gewaschen wurden, wäre dann die Staatsraison nicht eine genuin „anti-faschistische“? Und wie erklärt sich in diesem Sinne „Regierungshandeln“? So gesehen, könnte der aktuelle „konservativ-nationale“ Umschwung bei den etablierten Medien eine ganz andere Differenz verdecken: eine Differenz die eine Mauer bildet, die es schon seit einiger Zeit nicht mehr gibt: physisch jedenfalls. Vielleicht liegt darin auch die Ursache von der Rede der „Identität“. Auf Kosten anderer eine Einheit zu bilden.

  1. In: Klaus-Peter Köpping (Hrsg.): Die autonome Person. Eine europäische Erfindung? Fink, München 2002, S. 177–192.
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  1. Lutz Grubmüller sagt:

    Ideales Weihnachtsgeschenk an alle AFDler, Pegidaisten und den ihnen hinterherschleichenden dumben, braunen deutschen MoB!