Buch, Heimkehren, Yaa Gyasi, Sklaverei, Rassismus
"Heimkehren" von Yaa Gyasi © DuMont Verlag, bearb. MiG

Buchtipp zum Wochenende

In der Freiheit abgelegt

Weder farbig noch drastisch - das neu erschienene Buch „Heimkehren“ schildert mit verknappter Epik die Deportationen versklavter Afrikaner nach Amerika. Von Jamal Tuschick

Von Freitag, 25.08.2017, 4:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.08.2017, 1:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Eines Abends kommt Jo Freeman in seine Stammkneipe irgendwo in New York. Er kriegt, was er will, ohne ein Wort zu verlieren. Wieder erfreut ihn der Tresen als solide Zimmermannsarbeit. Neben ihm streicht einer seine Zeitung glatt, vielleicht ein wenig zu gravitätisch im Gegenlicht der vor Ort herrschenden Zustände. Der Stutzer gibt dem zweifelhaften Bedürfnis nach, sich politisch zu äußern. Er verkündet die Tagesschlagzeile – die Sezession South Carolinas von der Union. Hinzu fügt er den Allgemeinplatz der Stunde: „Es wird Krieg geben.“

Jo will mit dem Kneipenpropheten nichts zu tun haben. Ihm fehlt ein politischer Standpunkt. Der Zorn, den man von ihm erwartet, stand dem Sohn von Sklaven nie zur Verfügung. Jo wurde der Schneid vor der Geburt abgekauft. Sein Bestreben erschöpft sich in dem Bemühen, einer lebenslangen Müdigkeit nicht nachzugeben.

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Die Schilderung eines von Sklaverei geformten, in der fragwürdigen Freiheit nicht über die Margen einer institutionellen Erniedrigung hinausgewachsenen Charakters findet man in Yaa Gyasis erstem Roman keineswegs an prominenter Stelle. Es gibt Stärkere vor Jo in der Nachkommenschaft der ghanaischen Halbschwestern Effia und Esi. Effia wird im ausgehenden 18. Jahrhundert zur „Dirne“ eines britischen Offiziers, der in seiner Heimat bereits verheiratet ist. Als Menschenhändler erwirbt James Collins ein Vermögen. Es profitiert von Stammeskriegen. Dabei können Geschäftspartner jederzeit zu Exportgegenständen werden.

„Heimkehren“ zieht seine Kraft aus der Vermeidung epischer Auswüchse. Der Roman versammelt Episoden ohne rhapsodisches Brandungsrauschen. Die infernalischen Erfahrungen der Versklavung in der Konsequenz von Rechtsakten werden als Geschmacks- und Geruchserlebnisse überliefert. Wo der Gestank die Wände hochgeht, liegt die Not gestapelt.

Effia lebt in einer Parallelgesellschaft der Halbweißen, die englische Namen tragen und London gesehen haben. Sie bilden eine hauchdünne Schicht an der Goldküste Ghanas, die in der frühen Handlungsgegenwart noch lange keine Kolonie ist. Auch die Strukturen der Royal African Company wirken sich nicht mehr aus. Die Stammeskonflikte spiegeln europäische Konkurrenzen. Am Spiel beteiligen sich Portugiesen, Holländer, Briten und Deutsche. Noch glauben die Afrikaner sich in Bündnissen mit den Weißen gegenseitig ausstechen zu können.

Esi erleidet das Schicksal einer Verschleppung nach Amerika. Generationen später erscheint die widerständige Ness schließlich als Jos Mutter. Sie legt das Kind in der Freiheit ab und fällt als Eingefangene zurück in den Besitz eines Plantagenbesitzers. Jo rivalisiert mit irischen Einwanderern, deren Zugehörigkeit zum Bodensatz der Neuen Welt sie in der öffentlichen Wahrnehmung schwarz macht.

Jo folgt H Black. Das H hat noch nicht mal einen Punkt. H erlebt die Fortsetzung der Sklaverei mit anderen Mitteln. Man macht aus den Schwarzen Sträflinge und steckt sie in Minen. Das nächste Kapitel schreibt der Jazz in Harlem. An der Goldküste von Ghana regt sich der Wille zur Unabhängigkeit. Es folgt die Gründung der Conventions People’s Party 1952. Da existiert die Nation of Islam seit zweiundzwanzig Jahren. Ein Urenkel des alten H geht nun aufs College und ergründet seine Idiosynkrasien. Er mag das Meer nicht. Am Strand wird ihm übel. Man erklärt ihm seine Abneigung als tiefsitzende Erinnerung an die Sklaventransporter, die seine Ahnen nach Amerika brachten. Aktuell Rezension

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