Panik an Bord

Handelsschiffe nicht gemacht für Seenotrettung

Handelsschiffe sind verpflichtet, Menschen in Seenot retten. Sie sind aber nicht ausgerüstet für die Rettung, Aufnahme und Versorgung von Menschen in Seenot. Angesichts eines aktuellen Falls fordern Retter die EU auf, staatliche Schiffe einzusetzen.

Angesichts eines aktuellen Falles hat ein Seenotretter von SOS-Méditerranée auf das Dilemma von Handelsschiffen hingewiesen, die Migranten und Flüchtlinge aus Seenot retten. Die Kapitäne seien in „unglaublich schwierigen Situationen“ sagte Nicholas Romaniuk, Einsatzleiter von SOS Méditerranée auf der „Ocean Viking“, am Sonntag dem „Evangelischen Pressedienst“ an Bord des Schiffes.

„Die Handelsschiffe sind dafür nicht gemacht“, erklärte Romaniuk mit Blick auf die Rettung von Booten mit Dutzenden und zum Teil Hunderten Menschen an Bord. Diese wagen häufig von Libyen aus die Überfahrt nach Europa und geraten immer wieder in Seenot. Handelsschiffe verfügten weder über ausreichend Rettungsboote und Schwimmwesten noch die Möglichkeit medizinischer Versorgung für die Überlebenden, sagte der Einsatzleiter. Kapitäne und Mannschaften „machen traumatischen Erfahrungen“.

___STEADY_PAYWALL___

SOS Méditerranée ist zurzeit auf der gemeinsam mit „Ärzte ohne Grenzen“ betriebenen und für Rettungseinsätze ausgerüsteten „Ocean Viking“ im zentralen Mittelmeer unterwegs. Am Donnerstagabend retteten die Organisationen 60 Menschen aus einem Holzboot. Am Samstag wurde die „Ocean Viking“ vom Handelsschiff „OOC Panther“ um Hilfe gebeten. Das Versorgungsschiff der Hamburger Reederei Opielok hatte etwa 70 Seemeilen vor Libyen rund 30 Menschen gerettet.

Panik an Bord

Dann kam die libysche Küstenwache, um diese zurück zu bringen. Wie SOS Méditerranée und „Ärzte ohne Grenzen“ erfuhren, widersetzten sich die Menschen und blieben daher zunächst auf dem Schiff. Es sei von einer „Panik“ die Rede gewesen.

Auch jedes Handelsschiff müsse Menschen aus Seenot retten, macht Romaniuk klar. Aber europäische staatliche Schiffe sollten Rettungsaktionen durchführen, um Todesopfer zu verhindern und Handelsschiffe zu entlasten, wie es bei der EU-Mission „Sophia“ der Fall war, sagte der 34 Jahre alte Britisch-Kanadier, der seit 2017 für SOS Méditerranée arbeitet. Zumindest müsse die EU bei Rettungen im Mittelmeer „eine nachhaltige und vorhersehbare Lösung für das Anlanden an einem sicheren Ort“ gewährleisten, forderte er einen Tag vor einem turnusmäßigen Treffen der EU-Innenminister in Brüssel.

Unter Druck

Da es dies nicht gebe, seien viele Kapitäne durch die Umstände „gezwungen“, die Menschen an die libyschen Behörden zu übergeben, obgleich Libyen kein sicherer Ort sei und die Kapitäne den Menschen gern helfen würden, erläuterte der SOS-Méditerranée-Einsatzleiter. Die libyschen Seefahrtsbehörden gälten schließlich als rechtmäßige Ansprechpartner für die Schiffe. Auch Kunden und Reeder wollten aus wirtschaftlichem Interesse oft nicht zulassen, dass die Kapitäne die Geretteten in aufwendigen Fahrten nach Europa brächten: „Sie sind von allen Seiten unter Druck.“

Europa müsse daher wieder selbst staatliche Schiffe zur Rettung einsetzen, forderte Romaniuk. Derzeit ließen die europäischen Politikern den Menschen, die nicht von privaten Organisationen geborgen werden, nur zwei Optionen: „nach Libyen zurückgebracht zu werden oder auf See zu sterben.“ (epd/mig)