Synagoge, Stern, David, Kuppel, Religion
Eine jüdische Synagoge © Will Palmer auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Bundesweit Mahnwachen

Große Welle der Solidarität mit jüdischen Gemeinden

Gedenken an die Opfer des Anschlags in Halle: Bei zahlreichen Kundgebungen wird bundesweit Betroffenheit und Solidarität mit den jüdischen Gemeinden zum Ausdruck gebracht. Der Tatverdächtige hat ein Geständnis abgelegt. Politiker fordern Maßnahmen.

Montag, 14.10.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.10.2019, 17:51 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland erfahren nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale eine große Welle der Solidarität. Mehr als 1.000 Menschen kamen in der Stadt in Sachsen-Anhalt am Freitagabend zu einer Menschenkette an dem jüdischen Gotteshaus zusammen. Auch in anderen Städten gab es Mahnwachen, Kundgebungen und Gedenkgottesdienste, darunter in Berlin, München, Dresden Aachen, Dortmund und Wuppertal. Der Bundesrat gedachte am Freitag in Berlin in einem Moment der Stille der beiden Toten und der Verletzten des Anschlags.

Der nach dem Anschlag am Mittwoch festgenommene mutmaßliche Täter Stephan B. sitzt inzwischen in Untersuchungshaft und hat ein Geständnis abgelegt. Dabei habe er auch seine antisemitische und rechtsextremistische Motivation bestätigt, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Freitag in Karlsruhe auf Anfrage mit. Gegen den Mann war noch am Donnerstagabend Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuches erlassen worden.

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Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wollte der 27-Jährige in der Synagoge im Paulusviertel in Halle, in der sich am jüdischen Feiertag Jom Kippur 51 Gläubige aufhielten, möglichst viele Menschen jüdischen Glaubens töten. Da die Eingangstür verschlossen war, konnte er jedoch nicht in das Gotteshaus eindringen. Daraufhin erschoss er eine zufällig vorbeikommende Passantin. Später erschoss er einen Mann in einem Döner-Imbiss, den er gezielt aufgesucht hatte. Den Angaben zufolge hatte der Beschuldigte vier Schusswaffen und mehrere Sprengsätze bei sich.

Jüdische Gemeinde sieht Gefahr durch Nachahmer

Die Jüdische Landesgemeinde in Thüringen hat einen Ausbau der Sicherheitsvorkehrungen gefordert. Diese dürften nicht nur auf die aktiven Synagogen beschränkt bleiben, sondern müssten zum Beispiel auch auf ehemalige Gotteshäuser, die heute als Veranstaltungsorte oder Museen genutzt werden, ausgeweitet werden, sagte der Vorsitzende Reinhard Schramm am Freitag in Erfurt. Es bestehe die Gefahr von Nachahmern und Trittbrettfahrern, fügte er hinzu.

Die Landesgemeinde sei noch immer schockiert. Obwohl gerade erst neue Zaun- und Toranlagen in und an der Erfurter Synagoge fertiggestellt worden seien, frage er sich, ob sie einem Angriff wie in Halle standgehalten hätten. Alle seien nach dem Gottesdienst am Mittwoch froh gewesen, als sie die Polizisten am Eingang zum Gemeindezentrum gesehen hätten, erklärte Schramm.

Wenn schon keine Juden, dann Muslime

In einer Atmosphäre von zunehmenden Nationalismus und wachsendem Hass und Gewalt gegen Minderheiten müsse mit weiteren Übergriffen gerechnet werden. Er hoffe, er irre sich, aber „die werden vor nichts zurückschrecken“, warnte der Landesvorsitzende.

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dürften nicht toleriert werden, sagte Schramm. Dieses Thema gehe die ganze Gesellschaft an. Als der Täter in Halle nicht in das jüdische Gotteshaus eindringen konnte, habe er einfach zwei Menschen – einen davon in einem Dönerladen – erschossen. Dabei habe er wohl nach dem Motto gehandelt, wenn ich schon keine Juden erwische, dann wenigstens Muslime.

Keine Verfahrenseinstellung bei antisemitischen Taten

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) fordert eine konsequentere Verfolgung antisemitischer Straftaten. „Antisemitische Motive einer Tat können dabei strafschärfend berücksichtigt werden, das ist ganz unstreitig. Die Strafgesetze sind vorhanden, sie müssen aber auch konsequent angewandt werden“, sagte die SPD-Politikerin der Zeitung „Welt am Sonntag“. Lambrecht nannte als Vorbild die bayerische Staatsanwaltschaft. Diese habe sich „auf die Fahne geschrieben, dass es bei antisemitischen Straftaten grundsätzlich keine Verfahrenseinstellungen wegen Geringfügigkeit oder geringer Schuld gibt.“

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert eine Verschärfung des Strafgesetzbuches. Paragraf 46 im Strafgesetzbuch sieht vor, dass bei der Bemessung von Strafen rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive besonders berücksichtigt werden können. „Diesen Paragrafen müssen wir um das Wort antisemitisch erweitern“, forderte Klein. Überdies seien Bund und Länder „jetzt gefordert, noch einmal grundsätzlich über die Sicherheit jüdischer Einrichtungen zu beraten“.

Ministerpräsidenten: Rechtsextremismus ächten

Nach Ansicht des bayerischen Antisemitismus-Beauftragten Ludwig Spaenle (CSU) sollte Antisemitismus an den Schulen stärker gegenwartsbezogen thematisiert werden. Spaenle zeigte sich zuversichtlich, dass dies bald umgesetzt werde. Er verwies auf eine Arbeitsgruppe, die die Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten, die Kultusministerkonferenz und der Zentralrat der Juden in Deutschland eingesetzt hätten.

Die Ministerpräsidenten von Hessen und Niedersachsen, Volker Bouffier (CDU) und Stephan Weil (SPD), fordern die Gesellschaft zum stärkeren Widerstand gegen Rechtsextremismus auf. „Die Ächtung von rechtsextremer Gewalt und Hass im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagte Bouffier der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.

„Wir brauchen einen kulturellen Wandel“, sagte Bouffier. Heute sei im Internet vieles sagbar und sendbar, was vor Jahren unvorstellbar gewesen sei. Auch Weil sieht die Bekämpfung des Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen alles, was die Hemmschwelle zur Gewalt senkt“, sagte Weil der Zeitung. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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