Strategie der Einschüchterung

Wenn Journalisten bedroht werden

Journalisten werden mit Hassmails, Beleidigungen und sogar Morddrohungen unter Druck gesetzt. Meist kommen die Täter ungeschoren davon. Die Gewaltbereitschaft nimmt zu. Besonders bei Themen wie Migration und Integration schlagen im Netz die Wellen hoch.

„Wir töten dich“ stand im Juni an der Haustür des Journalisten David Janzen, der seit Jahren über die rechte Szene recherchiert und zugleich Sprecher des Braunschweiger „Bündnisses gegen Rechts“ ist. Ein Aufkleber führte die Polizei zu einer Gruppe von Neonazis. „Monitor“-Chef Georg Restle erhielt im Juli nach einem AfD-kritischen Kommentar in den „Tagesthemen“ eine verschlüsselte Mail mit einem Aufruf zum Mord an ihm. Zwei Morddrohungen innerhalb kürzester Zeit: Werden Journalisten zunehmend zur Zielscheibe von extremistischen Gewalttätern?

Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), sagt: „Aus unserer täglichen Beratungsarbeit wissen wir: Bedrohungen sind keine Einzelfälle. Es sind viele.“ Im Netz schlagen die Wellen bei Themen wie Migration und Integration hoch, Beleidigungen und Verleumdungen gehören seit Jahren zum Alltag. Der WDR-Journalist Restle sagt, er erhalte fast nach jeder „Monitor“-Sendung oder jedem „Tagesthemen“-Kommentar Drohungen. „Das nehme ich alles nur sehr begrenzt ernst.“ Dass dies „quasi zum Normalfall“ geworden sei, sei allerdings bedenklich. „Es handelt sich um massive Einschüchterungsversuche.“ Sein Vertrauen darauf, dass der anonyme Absender der Morddrohung noch ermittelt werde, sei „eher begrenzt“.

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Wie hoch die Zahl der Morddrohungen ist, die angezeigt und strafrechtlich verfolgt werden, lässt sich nicht exakt ermitteln. Seit 2016 erfasst das BKA immerhin politisch motivierte Straftaten speziell gegen Journalisten und Medienhäuser im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes. Und diese Zahlen bestätigen das allgemeine Gefühl einer wachsenden Gefährdungslage: So stieg die Zahl der Straftaten „Nötigung/Bedrohung“ im Bereich der „Politisch Motivierten Kriminalität (PMK)-rechts“ von acht beziehungsweise sieben Straftaten in den Jahren 2016 und 2017 auf 18 im Jahr 2018.

Zunahme von gewalttätigen Angriffen

Zum Vergleich: Die Zahlen für „PMK-links“ sowie „PMK-ausländische Ideologie“ oder „PMK-religiöse Ideologie“ lagen jeweils zwischen null und drei Straftaten im Jahr. Allerdings könne es sich bei den in der Statistik erfassten Fällen auch um eine politisch motivierte Sachbeschädigung handeln, teilt das BKA mit. Eine „Bedrohung“ nach Paragraf 241 des Strafgesetzbuchs liegt nicht nur bei Morddrohungen vor, sondern auch, wenn Journalisten mit anderen Verbrechen wie etwa Raub bedroht werden.

Auch „Reporter ohne Grenzen“ registrierte für 2018 eine Zunahme an gewalttätigen Angriffen auf Journalisten in Deutschland: Insgesamt seien es 22 im Vergleich zu 16 im Vorjahr gewesen.

Medienhäuser stellen regelmäßig Strafanzeigen

Eine Umfrage bei ARD, ZDF, der RTL Group, ProSiebenSat1 sowie den Verlagen Axel Springer und „Spiegel“ ergab, dass die Medienhäuser regelmäßig Strafanzeigen stellen – vor allem wegen Beleidigung. Wegen Drohungen werden die Ermittlungsbehörden seltener eingeschaltet, die genaue Zahl wird in der Regel nicht erfasst oder jedenfalls nicht publiziert. Der WDR zum Beispiel gibt an, er habe in den vergangenen Jahren mehrere Strafanträge gestellt. Die Morddrohung im Fall Restle sei allerdings „besonders schwerwiegend“ gewesen.

Konkrete Angaben machten lediglich RBB, MDR und HR. Der RBB stellte seit 2014 elf Strafanzeigen wegen einer Bedrohung oder wegen einer Körperverletzung, der MDR zehn Anzeigen in diesem Jahr, vier davon wegen Bedrohung, beim HR waren es im Schnitt fünf Anzeigen, nicht nur wegen Bedrohung.

Kein Prozess bisher

Aber: „Bislang kam es zu keinem Prozess“, teilte der HR mit. Und auch bei RBB und WDR liegen keine Erkenntnisse über rechtskräftige Urteile vor. In drei der vier vom MDR angezeigten Bedrohungsfälle laufen die Ermittlungen noch, ein Verfahren sei eingestellt worden, erklärte der Sender.

Immerhin macht das Projekt „Verfolgen statt nur löschen“ – 2017 auf Initiative der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen – mittlerweile in mehreren Bundesländern Schule, etwa in Berlin, Bremen und im Saarland. Dabei kooperieren Medienhäuser mit den Ermittlern der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ und melden Hasskommentare und seit kurzem auch Bedrohungen gegen Einzelne.

Viele Straftaten werden nicht verfolgt

„Mittlerweile konnten wir etwa 100 Beschuldigte identifizieren, etwa ein Viertel davon stammt aus NRW“, erklärt Staatsanwalt Christoph Hebbecker. Es gebe auch erste rechtskräftige Verurteilungen. So wurde der Inhaber eines Elektrobetriebs zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er zu Gewalt gegen Flüchtlinge und gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgerufen habe.

„Zahlreiche Straftaten im Netz werden nicht verfolgt“, sagt Hebbecker, „umso wichtiger ist, dass wir als Justiz klar Zeichen setzen.“ Seit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni registriert er großes Interesse von Kollegen aus anderen Bundesländern an der Arbeit der Cybercrime-Ermittler.

Gewaltbereitschaft hat zugenommen

Gleichzeitig hat die Gewaltbereitschaft zugenommen. Davon berichten nicht nur die Journalisten-Gewerkschaften. „Es gibt in den letzten drei Jahren einen klaren Trend: Bei rechtsgerichteten Demos kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, bei denen Reporter und Kameraleute körperlich attackiert werden. Dabei muss man zunehmend auch mit Personenschäden rechnen“, sagt Gunnar Rechenburg, Leiter des „Sicherheitsmanagements Reise“ bei der Deutschen Welle (DW), das die Reisen der Reporter vorbereitet und absichert.

Und da gibt es für den Auslandssender mittlerweile auch in Deutschland einiges zu tun. Jaafar Abdul Karim, Moderator der arabischsprachigen Talkshow „Shababtalk“, in der auch Fragen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau kontrovers diskutiert werden, lebt in Berlin und hat schon mehrfach Morddrohungen erhalten. Außerdem sei Karim auf einer „Pegida“-Demo tätlich angegriffen worden, sagt DW-Sprecher Christoph Jumpelt: „Man muss nicht in den Sudan fahren, so etwas kann man auch in Dresden erleben.“ (epd/mig)