Rassismus in grün

Warum die Grünen Cem Özdemir nicht gewählt haben

Die Grünen haben mit Cem Özdemir einen der beliebtesten Politiker der Republik gedemütigt. Die Masche hat Methode: nur solange der Migrant keine Ansprüche stellt, ist er geduldet. Von Christian Füller

Die Grünen zerbrechen sich gerade den Kopf. Sind wir in den Spitzenpositionen zu weiß? Das fragt sich ausgerechnet jene Partei, die für Multikulturalismus steht wie keine zweite in der Republik. Die Frage ist aber berechtigt. Die Grünen sitzen bald in einem Dutzend Landesregierungen. In Umfragen fliegen sie in den demoskopischen Höhen einer Volkspartei. Aber im Ministerrang steht nur eine person of colour, wie man in der ethnosensiblen Sprache bei Bündnis 90/Die Grünen sagt. Es ist Tarek Al-Wazir, Hessens Vize-Ministerpräsident. Dann gibt es noch Muhterem Aras, Landtagspräsidentin in Stuttgart, und das war`s auch schon: der Rest der grünen Minister- und Spitzenämter wird von der weißen, gebildeten Mittelschicht besetzt.

Die Grünen hätten gerade die Chance gehabt, auf einen ihrer Topjobs einen echten Spitzenmann zu wählen, Cem Özdemir. Der Sohn türkischer Eltern lag einst vor Angela Merkel als beliebtester Politiker, ist ein brillanter Rhetoriker und einer der wenigen aus der grünen Bundestagsfraktion, die eine breitere Öffentlichkeit überhaupt kennt. Die Fraktion aber demütigte ihn. Der anatolische Schwabe Özdemir verlor bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden deutlich mit 39 zu 27 Stimmen gegen den Bayern Toni Hofreiter, einen exzellenten Öko-Fachmann, den allerdings – freundlich gesagt – nördlich des Mains nicht jeder Bürger versteht.

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Die taz kolportierte – anonym – aus dem linken Flügel der Grünen-Fraktion, was gegen Özdemir spricht. Es war ein ziemlich pauschaler Ablehnungsgrund: „Mit Cem geht es nicht.“ Könnte es sein, dass sich hinter dieser generellen Absage an den Türken Özdemir etwas verbirgt, was es bei den Grünen qua Selbstverständnis eigentlich nicht geben kann: schnöder Rassismus?

Cem Özdemir wurden auch politische Gründe für das Nein vorgehalten. Dem gelernten Erzieher wurde im Kern aber ein charakterliches Defizit zugeschrieben, dass es unmöglich mache, ihn zu wählen. Dieses Defizit umweht der Hautgout des unberechenbaren Wilden von jenseits des Bosporus. Er neige zu Alleingängen und sei als Parteichef schlecht mit seiner Co-Vorsitzenden Simone Peter umgesprungen, hieß es immer wieder vor dem Wahlgang in der Fraktion. Der Vorwurf kam erneut anonym und er wurde ohne Beispiel vorgetragen. Man durfte gar nicht erfahren, was der böse Cem gemacht haben soll. Quer durch die Presse repetiert, findet sich kein Beleg dafür, wie er Frau Peter geärgert hätte – abgesehen von der Anekdote, er habe einmal weiter geredet, als Simone Peter um Ruhe gebeten hatte. Wer das Binnenverhältnis der beiden kennt, der weiß allerdings, dass sie es war, die kaum eine Gelegenheit ausließ, ihrem Co eins auszuwischen.

Bei Özdemir äußert sich Diskriminierung zugleich in einer paradoxen Form, die man nicht sofort versteht. In einem Interview mit der Welt beklagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt, dass „wir Grünen mehrheitlich eine weiße und arrivierte Partei sind. Es ist an der Zeit, dass wir zeigen: Wir sind vielfältig“. Klare Sache. Als sie gefragt wurde, ob Cem Özdemir dann nicht ein sehr geeigneter Kandidat sei, reagierte sie überraschend. „Nur damit keine Missverständnisse entstehen: Cem ist in Deutschland geboren, in Bad Urach“. Das heißt, Göring-Eckardt machte aus dem Migrantenkind kurzerhand einen Bio-Deutschen. Das Thema „Deutscher-oder-Migrant?“ ist schillernd. Für Özdemir scheint es immer zum Nachteil auszufallen. Mal wird „der Cem“ eingemeindet, mal wirft man ihm unter der Hand vor, dass er in den Sekundärtugenden zu deutsch sei. Es ist der geschickt verpackte Vorwurf der Überangepasstheit. „Özdemir hat sich eine akkurate, fast übertriebene Höflichkeit angewöhnt“, schrieb die taz pikiert. „Er gibt auch in größeren Runden jedem die Hand, begrüßt selbstverständlich stets die Frau zuerst.“

Özdemir wird häufig als Promi-Grüner bezeichnet. Das ist nur scheinbar eine Ehrbezeugung. Promis und Etablierte erregen bei Grünen seit jeher Argwohn. Bei Cem Özdemir ist daraus eine Art Generalverdacht geworden: er ist erfolgreich, eloquent und elegant gekleidet, ja, er hat sogar bessere Manieren als viele Grüne. Allein weil man ihm zutraut, Außenminister oder Ministerpräsident werden zu können, muss er dafür büßen. Er hat den Malus eines Ministers, ohne es zu sein.

Zu den Alleingängen des einsamen Wolfs, weiß ein anderer Grüner recht genau zu berichten, wie man so etwas wird. Er hat selber Migrationshintergrund und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, weil das Thema zu heikel sei. „Als Migrant kommst du dir bei den Grünen wie in einem Sandkasten vor“, sagt er. „Du darfst bei den Weißen nicht mitspielen, du bekommst ihr Spielzeug einfach nicht. Du bist zwar in der Partei, aber du kommst nicht in ihre Kreise rein. Das erlebst du einmal, zweimal, dreimal – und dann spielst du halt alleine. Und gründest deine eigene Spielgruppe.“ Mit anderen Worten: Özdemir ist kein Einzelgänger, er wurde dazu gemacht. Alle, die Özdemir näher kennen, sagen zum Thema Alleingänge: Absoluter Unsinn. Er sei höflich und rücksichtsvoll. „Es ist Wahnsinn, ein Kaliber wie Cem nicht zu wählen“, sagt ein Mitarbeiter der Fraktion.

Özdemir ist übrigens keine Ausnahme. Die Masche, erfolgreiche Migranten abzusägen, hat bei den Bündnisgrünen Methode. 2017 wurde der grüne Bildungs- und Sportpolitiker Özcan Mutlu nach nur einer Legislaturperiode wieder aus dem Bundestag abberufen. War Mutlu ein no name, war er zu leise oder bedeutungslos? Im Gegenteil. Der Schnell- und Lautsprecher Mutlu war flugs zu einem bekannten Fachpolitiker geworden: Er half, die mögliche Schmiergeldaffäre beim DFB aufzudecken und reiste in die Türkei, um sich für Deniz Yüzel einzusetzen. Dennoch wechselten ihn Berlins Grüne durch einen bis heute völlig unbekannten Bezirkspolitiker aus Pankow aus. Als Mutlu beim Wahlparteitag gegen seinen weißen Mitbewerber im dritten Wahlgang endlich verloren hatte, johlten und feierten viele Grüne, als wären sie gerade Weltmeister geworden.

Özcan Mutlu vereinigt, anders als der stets wie ein Grandseigneur auftretende Özdemir, gleich zwei Nachteile für einen grünen Politiker: er ist Arbeiterkind und er ist – wie er es selbst ausdrückt – Kanake. Als der Geschlagene fragte, was er denn nur falsch gemacht habe, riet ihm ein Parteifreund: „Du hättest eine ruhige Kugel schieben sollen.“

Mutlu war der beste und engagierteste Bildungspolitiker der Bundestagsfraktion. Und flog wieder raus. Özdemir ist der eloquenteste Generalist der Fraktion, ihr geborener Chef. Und wird nicht gewählt. Das wahre Motto der grünen Multikultipartei geht in Wahrheit so: Als Migrant kannst Du gerne bei uns mitmachen – solange Du nicht besser bist als wir.