Angekommen?

„Du sprichst aber gu… – Danke, du auch.“

Im August 2006 bin ich nach Deutschland eingereist. Damals war ich 13. Heute bin ich 26. Meine ersten 13 Lebensjahre habe ich im Kosovo verbracht, den Rest in Berlin. Ob ich jetzt deutsch(er) geworden bin? Ein Rückblick.

Mein Weg nach Deutschland war Dank eines Einreisevisums ziemlich unaufgeregt. Ich hatte das Privileg, entspannt in den Flieger einzusteigen und in Berlin-Schönefeld zu landen. Angekommen war ich aber nicht. Ankommen ist kein Zeitpunkt, sondern ein fortlaufender Prozess, der bis heute andauert und mich wahrscheinlich mein Leben lang begleiten wird. Mein Ankommen fing an mit Sprachproblemen, ohne Freunde und in einer neuen Umgebung.

Retrospektiv betrachtet ist mein gesamter Werdegang ein Werk von Handeln und Machen. Während wir heute viel über Integration reden und diskutieren, war es in meinem Fall gelebte Integration: Schon vor meiner Einreise stand in meinem Visum sinngemäß folgender Vermerk: „Schulpflichtig. Der Schulbesuch hat unverzüglich zu erfolgen.“ Keine zwei Wochen später befand ich mich in einem Intensivkurs für eingewanderte Schulpflichtige: mindestens 4 Stunden täglich Deutsch, gelegentlich Englisch, Mathe, Bio und Sport.

___STEADY_PAYWALL___

Welch ein Glück für mich, dass damals Menschen wie ich noch kein Spielball der Politik waren. Keine Debatten, kein Populismus. Die Integration stand im Vordergrund und nicht die Diskussion darüber. Wo hätte ich besser Deutsch lernen können als in der Schule? Dort findet man schnell den Anschluss und lernt Freunde kennen. Von ihnen lernt man oft mehr als aus Lehrbüchern.

Deutschland ist zweifelsohne ein Land der Möglichkeiten, in dem man „es schaffen kann“. Doch es gibt auch Tücken. Eine Migrationsgeschichte beispielsweise ist oft keine individuelle Geschichte, sondern eine Eigenschaft, die mit der Herkunft oder dem Herkunftsland verknüpft ist. Tust du etwas Gutes, dann wird das der ganzen Herkunftsgruppe hoch angerechnet. Wenn ein Mitschüler ohne Migrationshintergrund zu spät zum Unterricht kam, hatte er verschlafen oder den Bus verpasst. Wenn ich mich verspätet habe, lag das an meinem Hintergrund, denn „bei denen ist das ja so“.

Auf die Aussage, dass ich sehr gut Deutsch spreche, habe ich mich anfangs bedankt und mich geschmeichelt gefühlt. Heute ist es meistens ein ironisches „Danke, du aber auch!“. Anfangs war das eine Bestätigung meiner Bemühung, die Sprache zu lernen. Heute frage ich mich, was das nach 13 Jahren bedeuten soll. Ist das Ankommen, das Dazugehören nicht abgeschlossen? Ist es nicht selbstverständlich, dass ich hierhergehöre?

Wenn man sich in der Bahn, im Café oder auf der Straße in einer anderen Sprache unterhält, kommt es darauf an: Es macht einen Unterschied, ob du dich auf Englisch, Spanisch, Französisch oder auf Arabisch oder Türkisch unterhältst. Bei Letzteren sind schiefe und abwertende Blicke keine Ausnahme – als würde man ein Verbrechen begehen oder den öffentlichen Frieden gefährden.

Jemand, der in einem Start-Up angestellt ist, kein Wort Deutsch, dafür aber Englisch spricht, hingegen ist hoch angesehen – ein Expat. Zeitgleich höre ich, dass immer mehr Menschen in Bewerbungen nicht angeben, dass sie Arabisch oder Türkisch können. Das werde oft als Defizit ausgelegt und senke die Wahrscheinlichkeit einer Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Mittlerweile kann ich es nachvollziehen, wenn Menschen Schutzmechanismen entwickeln, um bestimmte Themen zu vermeiden. Und solche Schutzmechanismen nehme ich mit der Zeit auch bei mir wahr. Wenn meine Eltern mich anrufen, wimmele ich ab, ich sei bei einer Veranstaltung oder in der U-Bahn und rufe später zurück. Ich möchte niemandem in der Öffentlichkeit eine Projektionsfläche für Interessensbekundungen, Fragen oder abwertende Blicke bieten.

Der Name ist eigentlich selbstverständlich, für manche ist er ein schwieriges Terrain. Letztens hörte ich den Podcast „Kanakische Welle“ – sehr empfehlenswert. Aus Muhammed machten sie Fernando, aus Jihad Sergio. Sie hatten keine Lust mehr, aufgrund ihres Namens diskriminiert zu werden. Das leuchtet mir ein. Andererseits ist der Name für mich identitätsstiftend und etwas Persönliches. Was also ist entwürdigender? Die alltäglichen Diskriminierungserfahrungen oder die Leugnung des eigenen Namens?

Ähnlich verhält es sich mit der Frage, wo man denn wirklich/ursprünglich/eigentlich herkommt. Für mich ist diese Frage an sich nicht grundlegend falsch oder unangebracht. Trotzdem stört sich je nach Umstand und Situation. Es kann eine Form der Machtausübung sein, ein Gefühl von ungleichen Verhältnissen vermitteln, eine Definition von „wir“ und „ihr“. Das Narrativ der Zugehörigkeit darf aber nicht über das Aussehen und äußerlichen Merkmale definiert werden. Diese Deutungshoheit grenzt Menschen aus.

Es ist Zeit für ein neues Wir-Gefühl. Eins, dass nicht an das Aussehen oder die Herkunft anknüpft; eins, dass Menschen annimmt, wie sie sind, wie sie sich hier und jetzt wohlfühlen.