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Universität © ninastoessinger auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Islamprofessor Khalfaoui

„Die Wissenschaft lebt von Debatten“

Kooperationen mit der islamischen Welt sind schwieriger geworden, stellt der Professor für Islamisches Recht, am Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) in Tübingen, Mouez Khalfaoui im Gespräch fest.

Von Judith Kubitscheck Mittwoch, 11.09.2019, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.09.2019, 16:30 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Herr Professor Khalfaoui, Sie sind Dozent am Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) in Tübingen und haben dort den Lehrstuhl für Islamisches Recht inne. Das ZITh war das bundesweit erste Zentrum, das 2011 eröffnet wurde, damit Imame und islamische Religionslehrer an deutschen Universitäten ein Studium aufnehmen können. Was gehört Ihrer Meinung nach zu den Hauptaufgaben des Zentrums?

Mouez Khalfaoui: Die Islamische Theologie ist wichtig für die Integration von Muslimen in Deutschland; sie hat einen gesellschaftlichen Auftrag, der durch Forschung und Lehre erfüllt werden soll. Wir sehen Probleme wie Radikalisierung, oder das fehlende Wissen über die eigene Religion und versuchen, theologische Ansätze zu entwickeln, die in unsere Zeit und den europäischen Kontext passen.

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Als gebürtiger Tunesier genieße ich es, dass hier in Deutschland ein gesellschaftlicher, angstfreier Diskurs möglich ist – was ich aus autoritären oder islamischen Regimen in der arabischen Welt so nicht kenne. In den ersten Jahren mussten wir uns zuerst als wissenschaftliche Institution etablieren. Heute verfügen wir über sehr gute internationale wissenschaftliche Kontakte. Dabei werden wir von zwei Gruppen mit Skepsis beobachtet: Muslimische Fundamentalisten, für die wir nicht repräsentativ und unauthentisch sind – sie sehen uns oft als Spione oder verlängerte Hand des Staates – und Kritiker, die unsere Aufgabe nicht einordnen können und uns als konservativ oder gar als Fundamentalisten sehen. Wir sehen uns in der Mitte als eine Gruppe von Menschen, die den islamischen Mainstream und die Aufklärung fördern will und dafür neue Ansätze entwickeln muss.

Sie sagen, Sie wollen einen gemäßigten Islam etablieren, aber dennoch sind Kontakte und Kooperationen auch in die islamische Welt für Sie als Wissenschaftler notwendig. Wie schaffen Sie es, dabei dennoch unabhängig zu bleiben?

Mouez Khalfaoui: Dieses Thema ist sehr schwierig. Zurzeit haben wir sehr wenige Partner in der Islamischen Welt, weil wir immer auf der Suche nach Wissenschaftlern sind, die unserer Weltanschauung entsprechen. Auch unsere Studierenden schicken wir nicht überall hin. Für mich persönlich sind die Maßstäbe für eine Kooperation die Kriterien der Wissenschaftlichkeit und das Einhalten der Menschenrechte.

In den letzten vier Jahren ist es noch problematischer geworden, weil sich in Staaten wie in der Türkei oder Ägypten die Strömungen fast tagtäglich ändern und nicht mehr klar ist, wer mit wem arbeitet und wer hinter einem Projekt steht. Deshalb laden wir auch niemanden in unser Zentrum ein, den wir nicht persönlich kennen, oder wo politische Agenden im Raum stehen – obwohl wir viele Angebote bekommen! Einige Wissenschaftler aus der islamischen Welt bieten uns sogar an, kostenlos bei uns zu arbeiten und wir werden mit lukrativen Honorarversprechungen beispielsweise nach Russland oder in die Islamische Welt für Vorträge oder Dozententätigkeiten eingeladen, was wir aber in fast allen Fällen ablehnen.

Als ZITh sitzen Sie also sozusagen zwischen den Stühlen. In einem Artikel der Stuttgarter Nachrichten wird kritisiert, dass das Zentrum gerade mit einem Land wie Qatar eine Kooperation hat – ein Staat, der sicherlich nicht als gemäßigt gelten kann. Was will diese Zusammenarbeit erreichen?

Mouez Khalfaoui: Bei dem Projekt, an dem ich nicht beteiligt bin, haben Theologinnen des ZITh und der US-amerikanischen Georgetown Universität in Katar 2019 eine Kooperation zum Thema „Weiblichkeit im Islam“ gestartet. Auch in dieser Region gibt es Aufklärungsprojekte, die nach unseren Kriterien laufen, unabhängig von der politischen Agenda Katars. Wenn wir sagen, mit diesen Staaten arbeiten wir generell nicht zusammen, dann bleibt die Aufgabe der Wissenschaft auf der Strecke.

Wie aus dem Bericht hervorgeht, haben Sie im November 2015 den Rechtsgelehrten Jasser Auda zu einem Vortrag eingeladen. Dieser ist ein Mitglied des European Council for Fatwa and Research (ECFR) – eine Organisation, die dem Aktionsgeflecht der islamistischen Muslimbruderschaft zugerechnet werden kann und auch im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht erwähnt wird. Was wollten Sie mit der Einladung erreichen?

Mouez Khalfaoui: Die Einladung war rein wissenschaftlicher Art. Ich lud ihn ein, damit wir mit ihm diskutieren. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Frauenrolle und Ehen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen – ein wichtiges Thema. Ich sympathisiere nicht mit ihm, aber er ist eine berühmte Persönlichkeit, mit der man sich auseinandersetzen muss. Und die Wissenschaft lebt von Debatten. Es ist nötig, solche Debatten aus den Hinterhöfen in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Das Gremium ECFR bestimmt das Leben vieler Muslimen weltweit und insbesondere in Europa, wir sind verpflichtet uns damit zu beschäftigen. Das gleiche gilt für viele andere religiöse Institutionen. Außerdem laden wir Menschen aus unterschiedlichen Spektren ein, so hatten wir auch schon den berühmten aufgeklärten Abdullahi Ahmed An-Naim aus Amerika und viele andere zu Gast.

In dem Artikel wird auch erwähnt, dass es im ZITh einen Studenten gab, der von seinen Kommilitoninnen gefordert hat, dass sie hinter ihm im Seminarraum sitzen. Die Universität hat in ihrer Pressemitteilung dieses Vorkommnis bestätigt und wird mit diesem Studenten reden. Wie gehen Sie als Dozent mit solchen Konflikten um?

Mouez Khalfaoui: Das sind Einzelfälle und keine alltäglichen Vorkommnisse. In meinem Unterricht war die Sitzordnung bisher kein Thema. Aber man kann solche Debatten nicht vermeiden, und in meinem Unterricht diskutieren wir diese Themen wie die Stellung der Frau. Außerdem gibt es immer die Möglichkeit, in Seminaren pädagogische Möglichkeiten wie die Gruppenarbeit und Partnerarbeit anzuwenden, um Sitzordnungen aufzubrechen.

Auch das gemeinsame Gebet in Gängen und der Bibliothek sowie in Lehrveranstaltungen wurde von der Universität untersagt…

Mouez Khalfaoui: Einige wenige Studenten kommen am Anfang ihres Studiums mit der Erwartung, dass das ZITh wie eine Moschee oder Koranschule ist. Doch wir sind eine wissenschaftliche Fakultät. Jeder darf im Raum der Stille beten, aber nicht im Gang oder einem anderen neutralen, öffentlichen Raum – auch aus Rücksicht vor Andersgläubigen und Atheisten, die ebenfalls unsere Veranstaltungen besuchen.

Wie andere Zentren für Islamische Theologie hat auch das ZITh einen konfessionsgebundenen Beirat, der zur überwiegenden Mehrheit aus Vertretern von islamischen Verbänden besteht, darunter auch mehrere Ditib-Vertreter. Der Beirat muss ähnlich wie bei dem „nihil obstat“ innerhalb der römisch-katholischen Kirche nach Abschluss eines Auswahlverfahrens seine Zustimmung zu der Besetzung einer Dozentenstelle geben. Haben Sie Sorgen, dass es dadurch einen zu großen Einfluss der Verbände im ZITh gibt?

Mouez Khalfaoui: Die islamische Theologie braucht in dieser Phase dringend die Unterstützung durch Gremien. Wie diese aussehen und welche Form dafür am geeignetesten ist, ist eine Aufgabe für Politiker und die Universität. Die Wissenschaftler sollten für die Wissenschaft zuständig sein. Ich hatte bei der Einstellung kein Problem und man hat mich bisher noch nie auf meinen Unterricht angesprochen. Für mich ist wichtig, dass ich als Wissenschaftler Schutz und Freiheit habe und weder von der Politik noch von muslimischen Gruppen vereinnahmt werde. Deshalb bin ich stolz darauf, in Tübingen zu sein, weil dort diese Voraussetzungen vorhanden sind. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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