Spanien

Keine Hilfe mehr für Bootsflüchtlinge in marokkanischen Gewässern

Im Juni sind bei der Überfahrt von Marokko nach Spanien 22 afrikanische Flüchtlinge ums Leben gekommen. Hilfswerke werfen Spanien vor, für die Todesfälle mitverantwortlich zu sein. Dabei galt die spanische Seenotrettung einst als vorbildlich.

Am 20. Juni unterbrach eine Fähre zwischen der spanischen Nordafrika-Enklave Melilla und dem südspanischen Motril ihre Fahrt: Ein Schlauchboot mit 27 afrikanischen Flüchtlingen wartete im Mittelmeer zwischen Spanien und Afrika dringend auf Hilfe. 22 weitere Afrikaner seien an Bord bereits gestorben, sie hätten die Toten ins Meer geworfen, berichteten die Bootsflüchtlinge. Seit drei Tagen hätten sie im Mittelmeer getrieben. Obwohl die spanische Luftwaffe zusammen mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zwei Tage vergeblich nach dem Boot gesucht hatte, sprechen Flüchtlingsaktivisten von einem fatalen Kurswechsel. Denn die spanische zivile Seenotrettung hatte nicht eingegriffen. Das Boot befand sich in marokkanischen Gewässern.

Bislang lobten die Flüchtlingshilfswerke, dass die spanische Seenotrettung mit ihrer umfangreichen Flotte aus Booten, Flugzeugen und Hubschraubern Schiffbrüchige auf hoher See ausfindig machte und ihnen zu Hilfe kam. Ursprünglich galt diese zivile Seenotrettung vor allem Fischern und der kommerziellen Schifffahrt, aber zwischen Marokko und Spanien helfen die Retter vor allem Flüchtlingen. Private Seenotretter waren deshalb in diesen Gewässern nicht aktiv.

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Seenotrettung eingeschränkt

Mit diesem Programm kommt Spanien seinen Verpflichtungen der „Search and Rescue Convention“ (SAR) nach, in der festgelegt ist, welche Staaten in welchen Gebieten für die Rettung Schiffbrüchiger zuständig sind. Doch bislang halfen die spanischen Boote weit über diese festgelegten Gebiete hinaus auch in den SAR-Zonen, in denen eigentlich Marokko eingreifen müsste. Von fast 50.000 Menschen, denen die spanische Seenotrettung im vergangenen Jahr half, befand sich ein Drittel in marokkanischem SAR-Gebiet. Die Flüchtlinge wurden anschließend stets in spanische Häfen gebracht.

Das hat sich in diesem Jahr geändert. Die Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez hat die Seenotrettung angewiesen, nur noch dort zu helfen, wo auch Spanien zuständig ist. Damit will sie offenbar vermeiden, dass die Flüchtlinge schon kurz nach dem Ablegen von der marokkanischen Küste die spanischen Behörden alarmieren. Zudem kreuzen die spanischen Seenotretter nicht mehr im Mittelmeer auf der Suche nach Schiffbrüchigen, sondern legen erst von ihren Stützpunkten ab, wenn sie alarmiert worden sind, protestiert die Gewerkschaft der Seenotretter CGT. Dies könne die Hilfe für steuerlose Flüchtlingsboote um bis zu drei Stunden verzögern, erklärte ein Sprecher.

Hilfswerk: Strategie gescheitert

Die spanische Regierung hofft, mit einer stärkeren Zusammenarbeit mit Marokko die Zahl der Bootsflüchtlinge – 60.000 im vergangenen Jahr – zu halbieren. Tatsächlich sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nur noch 10.475 Menschen übers Meer nach Spanien gekommen, fast 4.000 weniger als im selben Zeitraum des Vorjahrs. 218 kamen im ersten Halbjahr 2019 auf der Überfahrt ums Leben oder gelten als vermisst. Im gesamten Vorjahr waren es der Internationalen Organisation für Migration zufolge 769.

„Die spanische Seenotrettung war ein Vorzeigemodell für ganz Europa“, beklagt das spanische Flüchtlingshilfswerk Cear. Der Tod der 22 Flüchtlinge im Juni auf hoher See beweise, dass die neue Strategie der Regierung gescheitert sei, Marokko stärker einzubinden, erklärt eine Sprecherin. Der Maghreb-Staat hatte im vergangenen Jahr aus Brüssel 140 Millionen Euro zur Bekämpfung illegaler Migrationsströme und zur Seenotrettung erhalten. Die Initiative dafür war von Spanien ausgegangen. (epd/mig)