Seehofer: "Alarmsignal"

Verdächtiger im Fall Lübcke war Behörden als Rechtsextremist bekannt

Im Fall Lübcke werden weitere Details über den Tatverdächtigen bekannt. Der Verfassungsschutz spricht von einer „rechtsextremistischen Karriere“ des mutmaßlichen Mörders. Die Behörde hatte ihn zuletzt dennoch nicht mehr auf dem Schirm.

Der Tatverdächtige im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war den Behörden seit Jahrzehnten als Rechtsextremist bekannt. Stephan E. habe in den späten 1980er Jahren eine „rechtsextremistische Karriere“ begonnen und sei seitdem im Milieu unterwegs, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am Dienstag in Berlin. Nach seinen Worten ist der mutmaßliche Täter zuletzt dennoch nicht mehr im Fokus der Behörde gewesen, weil er in den vergangenen Jahren „nicht mehr so deutlich“ in Erscheinung getreten sei. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach angesichts er bisherigen Ermittlungserkenntnisse von einem „Alarmsignal“ und einer neuen Qualität rechtsextrem motivierter Gewalt.

„Ein rechtsextremistischer Anschlag auf einen führenden Repräsentanten des Staates ist ein Alarmsignal, richtet sich gegen uns alle“, sagte Seehofer und fügte hinzu: „Der Rechtsextremismus ist eine erhebliche und ernstzunehmende Gefahr für unsere freie Gesellschaft.“

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Gemeinsam mit Haldenwang und dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, trat Seehofer am Dienstag zu einem kurzfristig einberufenen Termin vor die Presse. Seehofer bestätigte, was bereits am Montag der Generalbundesanwalt erklärt hatte, nachdem er die Ermittlungen im Fall Lübcke an sich gezogen hatte: Nach allem, was man jetzt wisse, müsse man davon ausgehen, „dass es sich bei dem Täter um einen Rechtsextremisten handelt und die Tat einen rechtsextremistischen Hintergrund hat“, sagte Seehofer.

Rechtsextremistischer Anschlag ?

Ob der Täter allein gehandelt habe oder Teil einer Gruppe oder gar eines Netzwerkes sei, sei zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht klar, sagte der Minister. Als Tatmotiv könne „nichts ausgeschlossen werden“. Der Name des Tatverdächtigen ist mehrmals im NSU-Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag gefallen. Er sei in rechtsextremen Kreisen als „NPD-Stephan“ bekannt.

Dass die Ermittler von einem rechtsextremistischen Anschlag ausgehen, begründeten sie mit der Biografie von Stephan E., der am Wochenende gefasst wurde und in Haft sitzt. Laut BKA-Chef Münch hat E. mehrere Vorstrafen, darunter auch einschlägig rechtsextrem motiviert. Der Verdächtige, der am 2. Juni den 65-jährigen Walter Lübcke spätabends vor dessen Wohnhaus mit einem Kopfschuss getötet haben soll, wollte sich Münch zufolge selbst zu den Vorwürfen bislang nicht einlassen. Lübcke war wegen seiner Haltung in der Flüchtlingspolitik offenbar in der rechtsextremen Szene verhasst.

Schläfer unter Rechtsextremisten

Der letzte Eintrag von E. bei den Behörden stammt Münch zufolge aus dem Jahr 2009. Damals sei es um den Verdacht auf Landfriedensbruch gegangen. Seitdem gibt es den Sicherheitsbehörden zufolge keine Vermerke mehr. E. geriet daraufhin offenbar aus dem Fokus der Behörden. Der Verfassungsschutz geht in seinem aktuellen Bericht von 12.700 gewaltorientierten Rechtsextremisten aus, zu denen wohl auch der mutmaßliche Täter zählen muss. Es sei schier unmöglich, die alle rund um die Uhr im Blick zu behalten, sagte Verfassungsschutzchef Haldenwang.

Man müsse sich aber zukünftig intensiver damit auseinandersetzen, dass es wie im Bereich Islamismus auch im Rechtsextremismus sogenannte Schläfer geben könne, sagte er. Als Schläfer gelten Personen, die vor einer extremistischen Gewalttat unauffällig sind. Eines sei klar, sagte Haldenwang: „Angesichts der Dimension der Bedrohung durch den Rechtsextremismus sind wir noch nicht wirklich in der Lage zu sagen, wir beherrschen diese Bedrohung vollständig.“

Kretschmer: Rechtsextremismus größte Bedrohung

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat den gewaltbereiten Rechtsextremismus als die größte Bedrohung für die Demokratie in Deutschland bezeichnet. Umfang und Intensität rechtsextremistischer Taten seien „viel schlimmer, ausgeprägter“ als im linksextremistischen Bereich, sagte Kretschmer am Dienstag im thüringischen Altenburg.

Zwar müsse man sich als Demokrat immer „von Extremisten insgesamt absetzen“, erklärte Kretschmer. „Aber man kann und muss die Sache genau so aussprechen, wie sie ist“, fügte er unter dem Eindruck der Entwicklungen im Fall des Anfang Juni mutmaßlich von einem Rechtsextremisten ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) hinzu. Zuvor hatten Thüringen und Sachsen in Altenburg eine gemeinsame Kabinettssitzung abgehalten. (epd/mig)