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Schule © onnola @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

"Absurd"

Debatte um Kopftuchverbot für Schulkinder

Grundschulkinder, die Kopftuch tragen – in Österreich ist das inzwischen verboten. Nun will die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ein ähnliches Verbot für Deutschland prüfen lassen. Das könnte gegen das Grundgesetz verstoßen.

Montag, 20.05.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 23.05.2019, 17:10 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), will einem Zeitungsbericht zufolge ein Kopftuchverbot für Schulmädchen prüfen lassen. „Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen ist absurd – das sehen auch die meisten Muslime so“, sagte Widmann-Mauz dem Boulevardblatt „Bild“. Kritiker sehen durch den Vorstoß die Religionsfreiheit in Gefahr. Hintergrund der Debatte ist ein Beschluss des österreichischen Parlaments von Mitte Mai. Mit den Stimmen der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ wurde ein Verbot von Kopftüchern an Grundschulen verabschiedet.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte lehnt ein generelles Kopftuchverbot ab. „Schulen müssen Orte der religiösen Toleranz sein“, sagte dessen Direktorin Beate Rudolf dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zwar gebe es Einzelfälle, in denen Mädchen das Kopftuch unter Zwang der Eltern, des Umfelds oder auf Druck anderer Schülerinnen und Schüler tragen, doch das sei kein Grund für ein generelles Verbot. „Ein Verbot im Einzelfall muss das letzte Mittel sein, vorher müssen alle pädagogischen Mittel ausgeschöpft sein“, sagte Rudolf.

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Menschenrechtsinstitut: Religionsfreiheit gilt auch in der Schule

Das Institut hatte Anfang des Monats eine Publikation zur Religionsfreiheit von Kindern im schulischen Raum veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem, dass die Menschenrechte von Kindern auch in der Schule gelten, das betreffe auch die Religionsfreiheit. Sie habe Zutrauen zu den Lehrkräften, dass diese im Unterricht ihren pädagogischen Spielraum einsetzen, um Kinder in ihrer persönlichen Religionsfreiheit zu stärken und einem Zwang, das Kopftuch zu tragen, entgegen zu wirken, sagte Rudolf.

Auch in den politischen Parteien ist das Meinungsbild zum Thema Kopftuchverbot an Schulen unterschiedlich. Aus der SPD gibt es Zuspruch. „Ich bin für ein Kopftuchverbot für Kinder“, sagte die SPD-Familienpolitikerin Leni Breymaier der „Bild“-Zeitung. „Das ist für mich keine religiöse, sondern eine gesellschaftliche Frage, eine Frage der Gleichstellung.“

Barley und Weinberg sehen Debatte kritisch

Dagegen sprach sich Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) gegen ein solches Kopftuchverbot aus. „Wir müssen alle Mädchen darin stärken, zu selbstbewussten und unabhängigen Frauen heranzuwachsen. Ich habe Zweifel, ob eine Verbotsdebatte da hilft“, sagte Barley der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Auch der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marcus Weinberg, sieht ein Kopftuchverbot nach österreichischem Vorbild kritisch. „Das pauschale Verbot eines Kopftuches – wie in Österreich – benachteiligt auch die Mädchen, die sich freiwillig für das Tragen eines Kopftuches als Zeichen ihrer Religion entschieden haben“, sagte Weinberg.

Kramp-Karrenbauer begrüßt Diskussion

Die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen begrüßt die Diskussion um das Tragen von Kopftüchern in Kindergärten und Grundschulen. Das Tragen von Kopftüchern bei kleinen Kindern habe „mit Religion oder Religionsfreiheit nichts zu tun, das sehen auch viele Muslime so“, sagte Kramp-Karrenbauer den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. Sie halte eine „Debatte darüber, ob wir Kopftücher in Kindergarten oder Grundschule zulassen, für absolut berechtigt“.

Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) ist für ein Kopftuchverbot. Sie halte es „für äußerst bedenklich, wenn junge Mädchen ein Kopftuch in der Grundschule oder gar in der Kita tragen“, sagte Eisenmann, wie die „Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten“. Ein Verbot zumindest bis zur Religionsmündigkeit sei aus ihrer Sicht sinnvoll.

Kultusministerkonferenz: Kaum Chancen für Kopftuchverbot

Auch der stellvertretende Unionsfraktionschef Carsten Linnemann (CDU), der für Religion zuständige CDU-Politiker Christoph de Vries und der ehemalige bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) plädierten nach Angaben der Zeitungen dafür, ein entsprechendes Verbot auf Bundesebene prüfen zu lassen. Auf Länderebene seien Versuche, ein solches Verbot durchzusetzen, bislang ohne Ergebnis geblieben.

Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Alexander Lorz, hat sich kritisch zu einem Kopftuchverbot in Grundschulen geäußert. „Wenn sich Eltern auf die Freiheit der Religionsausübung berufen, hat unser Rechtsstaat wenig Handlungsmöglichkeiten“, sagte der hessische Kultusminister den Zeitungen der „Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft“. Ein gesetzliches Verbot dürfte vor dem Verfassungsgericht kaum bestehen, fügte Lorz hinzu: „Wir sollten nicht immer sofort nach einem Gesetz oder Verbot rufen.“ Grundsätzlich sieht Lorz das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht allerdings kritisch. „Aus pädagogischen und integrativen Gesichtspunkten muss man das Tragen eines Kopftuches im Grundschulalter, zumal es der Islam auch nicht vorsieht, ablehnen“, erklärte er. „Es trägt nicht zur Integration bei und stigmatisiert diese Mädchen in der Klassengemeinschaft.“

Islamrat: Unnötige Diskussion

Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland, erklärte: „Die Diskussion um ein Kopftuchverbot für Kinder an Schulen ist eine diskriminierende und unnötige Diskussion.“ Dies führe zu Spannungen in der Gesellschaft.

Die evangelische Kirche verteidigt das Recht auf Religionsfreiheit. Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hans Michael Heinig, sprach sich ebenfalls gegen ein Verbot aus. „Ich halte ein pauschales Verbot religiöser Bekleidung bei Minderjährigen für offensichtlich verfassungswidrig“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ein Eingriff in die Religionsfreiheit sei nur durch höherrangige Verfassungsgüter zu rechtfertigen. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag werde durch ein Kopftuch aber nicht gefährdet. Gesellschaftliche Integration dürfe Pluralität nicht beseitigen wollen. „Ein ‚richtiges‘ Islamverständnis durchzusetzen, ist nicht die Aufgabe des Staates“, unterstrich er. (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Peter Enders sagt:

    Die Debatte ist in der Tat absurd, denn es geht im Grunde nicht um die Schulmädchen, sondern um die Fundamentalisten und Extremisten hinter ihnen.
    „Zwar gebe es Einzelfälle, in denen Mädchen das Kopftuch unter Zwang der Eltern, des Umfelds oder auf Druck anderer Schülerinnen und Schüler tragen …“ Wann sind Mädchen reif und unabhängig genug, darüber selbständig entscheiden zu können?
    „Jeder möge nach seiner Facon selig werden“ – die Toleranz darf jedoch nicht so weiit gehen, dass kriminelle Familien Nebengesellschaften aufbauen und die türkische Regierung ganz offiziell, satzungsgemäß (!) Vereine in Deutschland leitet (vergleichbare Einrichtungen anderer Staaten sind ebenso abzulehnen).
    Das Argument der Religionsfreiheit ist viel zu pauschal und am Ende das Einknicken vor den einflussreichsten Religionsgemeinschaften. Falls nicht, stifte ich eine neue Religion, in der FKK vorgeschrieben wird. Noch Fragen?

  2. Jacky sagt:

    Das der Islamrat eine solche Debatte als diskriminierend und unnötig ansieht verwundert natürlich nicht.
    Andererseits – gerade deswegen sollte sie JETZT geführt werden.

    Ich bekräftige noch mal meine Aussage „KEine Debatte ist unnütz, unnütz sind nur Kommentare die ebensolche als unnütz bezeichnen.“

    Die Regeln unseres Zusammenlebens müssen immer den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Wenn nun jetzt mehr und mehr Kinder im Grundschulalter mit Kopftuch erscheinen ist es nur recht und billig jetzt darüber zu entscheiden wie wir zukünftig leben wollen.
    Passen wir unseren säkularen Staat an die Religionen an oder sorgen wir für eine Gesellschaft in der sowohl REligion als auch deren Ablehnung gleichermaßen toleriert werden.
    Stellen wir das Wohl der Menschen ÜBER die Religion oder nicht?
    Solange es Menschen gibt die aus Ländern flüchten müssen, auch aus religiösen Gründen, bin ich dafür hier sehr sehr strenge Regeln einzuhalten.

  3. A.F:B. sagt:

    @Peter Enders
    „… die Toleranz darf jedoch nicht so weiit gehen, dass kriminelle Familien Nebengesellschaften aufbauen.“ Und was hat das mit Kopftuch tragenden Schulkindern zu tun? – Gar nichts! Schauen Sie doch lieber einmal auf die Parallelgesellschaften von Herkunftsdeutschen, wie die Identitären, die Reichsbürger oder die Superreichen (Geldadel)!
    Ansonsten bedeutet Integration die unversehrte Aufnahme eines neuen Teils in ein bestehendes Ganzes und nicht die Angleichung unter Aufgabe wesentlicher Eigenheiten (Assimilation). Mit anderen Worten: Die Deutschen haben die Muslime so zu akzeptieren wie sie sind, andernfalls sind sie selbst die Integrationsverweigerer. Integration funktioniert jedoch nicht, wenn man zu den zu Integrierenden „Integration“ sagt, jedoch Assimilation meint.

    @Jacky
    Niemand zwingt die Nichtmuslime dazu, ihre Kinder in der Schule Kopftücher tragen zu lassen. Die säkulare Ordnung der BRD unterscheidet sich von derjenigen der Französischen Republik. In der BRD hat der Staat den Religionsgemeinschaften gegenüber neutral zu sein, nicht jedoch haben die Bürger neutral zu sein, auch nicht Schüler und Studenten, gleich welchen Alters. Da dies in der BRD bereits geregelt ist, bedarf es keiner immer wieder neuen Diskussion, sondern nur der Einhaltung der bestehenden Regeln durch jene Politiker, die die säkulare Ordnung der BRD nicht richtig verstehen und meinen, sie befänden sich in Frankreich.

  4. Jacky sagt:

    @A.F.B. : Sie haben mich vielleicht nicht so verstanden wie ich es ausdrücken wollte. Sollte unser bisheriger Rechtsstaat bestimmte Dinge noch gar nicht — oder unzureichend – geregelt haben so ist es an der Zeit es jetzt zu tun.
    Das Grundgesetz wurde bereits dutzendfach überarbeitet – einfache Gesetze werden in unzähliger Zahl angepasst an die Situation. Auch das ist etwas was unsere Demokratie auszeichnet – sie ist anpassunsfähig (etwas was die meisten Religionen im übrigen leider nicht sind).
    Bisher hatten wir hier keine Probleme mit religiösem Fanatismus z.B. – entsprechend gab es wenig bis keine Regelungen dazu.
    Die Zeiten haben sich geändert, entsprechend sehen wir her nun Regelungsbedarf.