Buchtipp zum Wochenende

Die Erfindung der bedrohten Republik

Die „Flüchtlingskrise“ von 2015 war in Wahrheit der Ausgangspunkt einer gewaltigen Medien- und Politikkrise. Das schreibt David Goeßmann in seinem neuen Buch. Mit medialen Fehldarstellungen, Verzerrungen, manipulierten Debatten und ideologischer Einflussnahme seien die Deutschen in die Irre geführt geworden. MiGAZIN veröffentlicht exklusiv einen Auszug aus dem Buch.

„2015 darf sich nicht wiederholen.“ So lautet seit dem „Flüchtlingsschicksalsjahr“ die eindringliche Warnung. Bundesregierung, Parlament und Massenmedien erklärten ein ganzes Kalenderjahr wegen Schutzsuchenden zum Gefahrengut. Die Abwehrmaßnahmen der Politik wurden zu einem Verteidigungsakt erhoben. Deutschland sei in einen Notstand geraten, hieß es, in die Ecke gedrängt worden, aus der es sich nur mit „harten Entscheidungen“ befreien könne. „Nie wieder 2015!“ lautete die Angstbotschaft, die alle Bereiche der Gesellschaft erfasste. Es klang wie „Nie wieder Auschwitz“. …

1,8 Millionen Mal wurde in der deutschen Presse in den letzten drei Jahren auf Flüchtlinge und Asyl hingewiesen. In den Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender dominierten Themen wie Islam, „Flüchtlingskrise“ oder Terrorismus. Obwohl im Bundestagswahlkampf 2017 die Kandidaten für das Kanzleramt Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) keine asylbezogenen Kampagnen führten, dominierte das Thema in den Medien. So befragten die Journalisten die beiden Kandidaten während des 95-minütigen TV-Duells rund die Hälfte der Zeit zur Flüchtlings- und Asylpolitik. In den Sommerinterviews von ARD und ZDF 2018 nahmen Fragen zu Flucht, Asyl und Migration mehr als ein Drittel der Redezeit ein, während Klimawandel und Klimaschutz nicht ein einziges Mal angesprochen wurden (wie auch viele andere wichtige Themen wie Armut kaum Aufmerksamkeit erhielten) – wie bei den Kanzlerkandidaten-Befragung ein Jahr zuvor. Die globale Erwärmung spielte im Wahlkampf und der Berichterstattung darüber insgesamt keine Rolle. …

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Auch eine andere Nachricht zur Einschätzung der weltweiten Bedrohungslage wird den Deutschen (und nicht nur ihnen) weiter vorenthalten. Denn nimmt man die Einstellung der Weltbevölkerungen, dann werden die USA als größte Gefahr für den Weltfrieden angesehen – mit 24 Prozent der Stimmen weit vor Pakistan mit acht Prozent, gefolgt von China (sechs Prozent) und Afghanistan (fünf Prozent). Die offiziellen „Schurkenstaaten“ Russland, Nordkorea oder Iran sucht man vergeblich in der Top-Gefährderliste. Die Befragung wurde im Jahr 2013 durchgeführt, also vor der Präsidentschaft Donald Trumps.

Damals leitete der Nobelpreisträger und erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten Barack Obama noch die Geschäfte in Washington D. C. Er eskalierte den Krieg in Afghanistan, weitete das Drohnenterrorprogramm massiv aus und brachte mehr Whistleblower und Journalisten ins Gefängnis als alle US-Präsidenten vor ihm zusammengenommen. Doch die Bundesregierung und die deutschen Medien haben eine andere Sicht als die Weltbevölkerung. Sie unterstützen unbeirrt die „Ordnungsmacht“ USA bei Kriegen, Terrorprogrammen und gefährlichen Konfrontationen mit der Atommacht Russland, so dass die Gefahren nicht nur nicht eingedämmt, sondern immer weiter gesteigert wurden.

Sehen wir uns demgegenüber die Bedrohung durch Flüchtlinge an, die Deutschland und die EU ab 2015 in eine derart tiefe Krise gestürzt haben, dass sich diese Situation nie wieder ereignen darf. In Deutschland, dem ökonomischen Powerhouse der Union, sind heute 970 000 anerkannte Flüchtlinge registriert (Ende 2017), das ist gut ein Prozent der Bevölkerung. Ohne den Zuzug wäre Deutschland wohl geschrumpft. Auf dem reichsten Kontinent der Welt sind insgesamt 2,3 Millionen Flüchtlinge zu versorgen, also rund 0,5 Prozent.

Die deutsche Ökonomie ist in der „Krise“ stärker als zuvor gewachsen, auch wegen der Flüchtlinge und ihres überdurchschnittlichen Binnenkonsums. Der Staatshaushalt strotzt vor Überschüssen. Die Beschäftigung hat zugenommen, die Arbeitslosigkeit sank. Auch die Kriminalität hat in der „Krise“ abgenommen, absolut wie relativ. Deutschland geht es nach 2015 und 2016 keineswegs schlechter, sondern in vielen Bereichen besser als zuvor.