Mitte-Studie

Rechte Einstellungen „verkrusten“ in der „verlorenen Mitte“

Die Mitte-Studien zeigen regelmäßig: Rechte Einstellungen sind in der Gesellschaft weit verbreitet. In der aktuellen Auflage gibt es keine Entwarnung. Die Forscher sprechen diesmal sogar von der „Verlorenen Mitte“. Grüne werfen Bundesinnenminister Seehofer vor, Öl ins Feuer zu gießen.

Die sogenannte Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung liefert auch gute Nachrichten für die Demokratie: 86 Prozent der Deutschen halten es für unerlässlich, dass die Bundesrepublik demokratisch regiert wird. 65 Prozent finden zudem, dass es „im Großen und Ganzen“ ganz gut funktioniert. Der Konfliktforscher und Studienautor Andreas Zick nennt bei der Vorstellung am Donnerstag in Berlin aber noch andere Ergebnisse: Ein Drittel der Deutschen (35 Prozent) findet, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben. Mehr als die Hälfte teilt abwertende Einstellung gegenüber Asylbewerbern. Die Zustimmung zu Rechtspopulismus ist unverändert hoch (21 Prozent) und die Jüngeren teilen rechtsextreme Einstellungen inzwischen im selben Maß wie Ältere. „Darüber müssen wir reden“, sagt Zick.

Zick ist Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, das die Mitte-Studie erneut im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung angefertigt hat. Nach der „Gespaltenen Mitte“ (2016) und der „Fragilen Mitte“ (2014) trägt sie diesmal den Titel: „Verlorene Mitte. Feindselige Zustände“.

___STEADY_PAYWALL___

1.890 repräsentativ ausgewählte deutsche Staatsbürger wurden dafür von September 2018 bis Februar des laufenden Jahres befragt. Anhand unter anderem ihrer Einstellungen zum demokratischen Staat, den Werten des Grundgesetzes und gegenüber Minderheiten wie Asylsuchenden, Juden, Sinti und Roma sowie Homosexuellen will die Studie vermessen, wie weit Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in der Bevölkerung verbreitet sind.

Verschwörungstheorien weit verbreitet

Erstmals wurde diesmal auch nach Verschwörungstheorien gefragt. Laut den Ergebnissen sind sie weit verbreitet: 46 Prozent der Deutschen glauben, geheime Organisationen hätten großen Einfluss auf politische Entscheidungen. Ein Drittel glaubt, Politiker seien Marionetten „dahinterstehender Mächte“, und ein Viertel (24 Prozent) ist davon überzeugt, Medien und Politik steckten „unter einer Decke“.

Bei den anderen Kriterien, die die Mitte-Studien seit 2006 erheben, stellten die Autoren nur minimale Veränderungen, aber alle in Richtung mehr Extremismus fest. So ist die Ablehnung gegenüber Asylsuchenden weiter gestiegen. Mehr als jeder zweite Deutsche (54,1 Prozent) teilt Einstellungen, die Flüchtlinge abwerten. 2016 lag der Wert bei 49,5 Prozent. Harte rechtsextreme Einstellungen werden der Studie zufolge wie in den Vorjahren nur von einer Minderheit geteilt – von 2,4 Prozent im Osten wie im Westen. Rechtspopulistischen Thesen stimmt der Studie zufolge allerdings jeder Fünfte zu (21 Prozent) – genauso viele wie 2016.

Rechtspopulistische Einstellungen stabil

Gerade das gleichbleibende Niveau beruhigt die Forscher nicht. „Rechtspopulistische Einstellungen sind stabil. Und das heißt, sie sind in der Mitte normaler geworden“, heißt es in der Studie. Von „Verkrustung“ spricht Zick. Wenn demokratische Grundeinstellungen in dem Maße infrage gestellt werden, müsse man die Frage stellen, ob die von den Grundsätzen des Grundgesetzes getragene Mitte noch „die Mitte“ sei. Ihre Funktion sei Ausgleich und Konfliktminderung. Wenn das nicht mehr funktioniere, verliere sich etwas, sagte Zick mit Blick auf den Titel „Verlorene Mitte“.

Die Studie regt an, mehr in politische Bildung und Demokratiestärkung zu investieren. „Wir müssen Demokratiebildung und Prävention stärken“, schloss sich der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter der Forderung an. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, forderte dazu auf, „klare Kante“ zu zeigen gegen rechte und rassistische Einstellungen. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats und Sprecher der Initiative kulturelle Integration, verlangte, Menschen stärker zu unterstützen, sie sich für Zusammenhalt einsetzen. Der Befund der Studie dürfe nicht mutlos machen, sagte er.

Grüne kritisieren Regierung

Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht angesichts der Studienbefunde die Bundesregierung in der Pflicht. Sie müsse sich „in Fragen der Migrationspolitik endlich an Fakten und Tatsachen „orientieren. Polat weiter: „In den letzten Jahren haben wir nicht nur von rechts außen eine Entsachlichung und Pauschalisierung in der Flüchtlingspolitik erlebt. Wenn Teile der Union nach weiteren Verschärfungen rufen, gießen sie dabei bewusst weiter Öl ins Feuer.“

Der Großen Koalition fehle der Wille, das Einwanderungsland Deutschland zu gestalten. „Wir bräuchten dringend ein echtes Einwanderungsgesetz, eine Integrationsoffensive und nicht zuletzt einen Bundesinnenminister, der unser Grundgesetz schützt, anstatt es mit jedem neuen Gesetzesvorhaben anzugreifen“, so Polat. Die GroKo müsse die Ergebnisse der Studie ernst nehmen und ihre Hausaufgaben machen. Statt einer Verschärfung nach der anderen, brauche es einen „Kurswechsel, der gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Mittelpunkt stellt.“ (epd/mig)