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Francesca Polistina © privat, bearb. MiG

Das Gästezimmer

Und wo kommen Sie wirklich her?

Deutschland ist besessen von der Frage nach Heimat und Herkunft. Es wird so lange gebohrt bis das Gegenüber offenbart, woher er wirklich stammt.

Von Freitag, 01.03.2019, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 05.03.2019, 17:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Dass die Debatte um den Begriff Heimat immer wieder entflammt, egal was der Auslöser sei, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass dieses Land von der Frage der Zugehörigkeit besessen ist. Neulich war es die ARD Talkshow „Hart aber Fair“, die sich fragte, für wen denn Heimat sei: für die, die von hier stammen, oder für die, die hier leben.

Zur Natur der journalistischen Arbeit gehört auch, dass man grundlegende Fragen stellt – trotzdem sollte man auch gewisse Antworten, die schon breit und weit diskutiert wurden, für selbstverständlich halten und sie nicht immer infrage stellen. Denn natürlich gehört Heimat denjenigen, die das Gebiet, in dem sie leben, als solches bezeichnen: während Staatsangehörigkeit ein gesetzlich geregelter Begriff ist, gibt es für Heimat, selbst im philosophischen Diskurs, keine einheitliche Definition. Heimat ist und bleibt ein persönliches und emotionales Gefühl, und jeder darf die eigene Heimat selbst festlegen – das nennt man übrigens Selbstbestimmung.

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Die dominierende Tendenz ist allerdings so, dass man gerne in das Leben der Anderen eingreift für Fragen, die nicht die Kollektivität, sondern eben das Leben der Anderen betreffen. Das passiert etwa in Sachen Sterbehilfe, Frauenkörper, geschlechtsgleiche Beziehungen und auch bei der Frage, wer was Heimat nennen darf.

Bei der RTL-Sendung „Das Supertalent“ sorgte Chef-Juror Dieter Bohlen für Kritik, als er ein fünfjähriges Mädchen nach ihrer Herkunft fragte. Sie – asiatisch aussehend – antwortete, sie sei aus Herne. Das genügte aber scheinbar nicht, denn Bohlen wollte wissen, wo sie wirklich herkommt. Er fragte nochmal und nochmal, bekam vom Mädchen die gleiche Antwort und gab sich erst zufrieden, als die Mutter am Rand der Bühne sagte, sie sei aus Thailand. Natürlich ist das nur ein Beispiel und Herr Bohlen mochte das gut gemeint haben, und natürlich darf man einen Menschen nach der Herkunft fragen. Allerdings sollte man die Antworten, die man bekommt, auch so wie sie sind akzeptieren.

Die Journalistin und Spiegel-Kolumnistin Ferda Ataman startete daraufhin den Hashtag #vonhier, unter dem Menschen mit einer Migrationsgeschichte von den wiederkehrenden Fragen nach ihrer Herkunft und den darauffolgenden Kommentaren erzählen. Das Drehbuch ist dabei immer das gleiche: auf die Frage nach der Herkunft folgt, mehr oder weniger aufdringlich, die Frage nach der wirklichen Herkunft. Auf die Antwort zu der wirklichen Herkunft folgt zwingend der Kommentar zu dem Herkunftsland – manchmal fehl am Platz, häufig banal und oberflächlich. Menschen mit aus der Türkei stammenden Eltern oder Großeltern werden nach Erdoğan gefragt, wenn aus Vietnam nach dem Krieg, wenn aus Italien nach Mafia und Berlusconi. Das Gespräch endet normalerweise an diesem Punkt, mehr oder weniger abrupt.

Wie auf Twitter häufig der Fall ist, waren die Reaktionen auf den Hashtag am interessantesten – zumindest als Hinweis für die allgemeine Wahrnehmung. Etliche Nutzer meldeten sich zu Wort und behaupteten, es gehe hierbei nicht um verbale Ausgrenzung, sondern um reines Interesse. Andere sprachen von Überempfindlichkeit. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte schrieben, dass sie von der Frage gar nicht gestört seien: das mag sein und ist gut so, bedeutet aber nicht, dass alle Menschen gleich reagieren müssen.

Natürlich darf man sich weiterhin aus Interesse nach der Herkunft erkundigen, solange das mit Rücksicht und Feingefühl passiert. Eines muss aber klar sein: über Heimat und Herkunft zu sprechen kann von einigen als sehr privates Thema empfunden werden, nichts anderes als eine Frage zu den politischen Überzeugungen, zur Sexualität, zum Gehalt – Fragen also, die am Anfang immer als Tabu gelten. Dass ein Mensch ausländisch aussieht oder einen besonderen Namen trägt, ist an sich keine Erlaubnis, um ihn/sie direkt anzusprechen, um unsere unersättliche Neugier zu erfüllen. Aktuell Meinung

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  1. Anja sagt:

    Super Text. Sehr empathisch erklärt, was Grenzüberschreitungen sein können und das jeder Mensch individuell reagiert. Hab mir den Text direkt abgespeichert. Danke!

  2. Ute Plass sagt:

    Die Frage nach der sog. Herkunft ist nicht das Problem, sondern das übergriffige, distanzlose Insistieren.

    Auch noch lesenswert zur Herkunftsdebatte #vonhier:

    „Inshallah ist jetzt auch ein deutsches Wort“

  3. Jacky sagt:

    Und ich würde antworten – die Frage stellen darf jeder zu jeder Zeit und jeden. Was der jeweilige Mensch dann antwortet ist seine Sache.
    Ich empfinde es als Übergriffig ständig vom Gegenüber zu erwarten das er sich in alle PErsonen herienversetzen soll um zu erkennen ob eine Frage ihn „eventuell zu Nahe geht“.
    Ein erwachsener Mensch könnte dann einfach antworten „Entschuldigen Sie, das möchte ich nicht weiter ausführen, das ist mir zu persönlich“ und gut.
    Aber heutzutge sind gleich alle (und vor allem nicht mal die die selber betroffen sind) beleidigt.
    Demnächst darf man dann auch nicht mehr nahc dem Namen fragen?

    https://www.welt.de/debatte/kommentare/article189519937/vonhier-Woher-kommst-du-Eine-ganz-normale-Frage.html

  4. Frank Walter sagt:

    Bei unserem Besuch in Singapur fragte mein Schwiegersohn den Taxifahrer, ob er Chinese sei. Dieser antwortete: „Wenn ich Chinese wäre, dann wären wir hier in China. Ich bin Singapurer chinesischer Herkunft.“
    Das Problem ist, daß die meisten Deutschen mental nicht darauf eingestellt sind, daß Deutschland de facto ein Einwanderungsland ist. Von zwei vietnamesischen Schwestern, die damals als „Boat-People“ vor der kommunistischen Herrschaft flüchteten, ging die eine in die BRD, während die andere in die USA auswanderte. Als sie sich nach Jahren trafen, machten sie die Festellung, daß die inzwischen in den USA eingebürgerte dort von den meisten Menschen als US-Bürgerin angesehen wurde, während die in der BRD eingebürgerte selbst nach Jahren von den meisten immer noch gefragt wurde, woher sie komme, und wann sie denn wieder in ihre Heimat zurückkehre.
    Ich selbst frage mich, ob irgendein anderer Teil Deutschlands als das Bodenseegebiet, in dem ich meine mich prägende Jugend verbrachte, mir zur Heimat werden könnte. Ja, aber nicht die erste, sondern nur die zweite oder dritte Heimat. Und diese erste Heimat ist nicht mehr meine Heimat, da ich von dort von meinem Vater auf dem Sterbebett und meinem eigenen Bruder auf eine, großen seelischen Schmerz verursachende Weise vertrieben wurde. Demnach könnte ich mich als „Heimatvertriebenen“ bezeichnen.
    Laut dem Philosophen Johann Gottfried von Herder (1744–1803) ist „Heimat da, wo man sich nicht erklären muß.“ Demnach wäre Deutschland nicht mehr meine Heimat, da ich dort erklären muß, daß ich vom Grundrecht auf freie Wahl der Religion Gebrauch machend, zum Islam konvertiert bin und keinen Migrationshintergrund habe.
    Fragt mich jemand, warum ich so gut Deutsch spreche, dann muß ich ihm erklären, daß Deutsch meine Muttersprache ist. Die eigentliche Sprache meiner Mutter war jedoch Bayerisch, und wenn ich im Schwobeländle als dort Aufgewachsener erklären muß, warum ich nicht mehr Schwäbisch spreche, lautet die Antwort: Weil ich mir das aufgrund des durch den Umzug in einen anderen Teil der BRD in meiner Kindheit erlittenen Kulturschocks abgewöhnt habe.

  5. Ute Plass sagt:

    Link zu
    „Inshallah ist jetzt auch ein deutsches Wort“

    https://www.deutschlandfunk.de/herkunftsdebatte-vonhier-inshallah-ist-jetzt-auch-ein.691.de.html?dram:article_id=442216

    @Jacky: Wichtiger Hinweis von Ihnen, dass Mensch zeigt, wo seine persönliche Grenze ist.