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Sprechstunde

„Was heißt Herzinfarkt auf Rumänisch?“

In der "Studentischen Poliklinik" in Frankfurt am Main können angehende Ärzte praktische Erfahrungen sammeln und Menschen ohne Krankenversicherung erhalten medizinische Beratung. Die meisten - darunter viele Ausländer - sind dankbar, es gibt aber auch Probleme. Von Carina Dobra

Von Carina Dobra Dienstag, 08.01.2019, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.01.2019, 17:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

„Ist die Creme gut?“, fragt Petra Tiarks-Jungk den Patienten und hält ihren Daumen nach oben. „Si, si“, antwortet der junge Mann und macht eine beschwichtigende Handbewegung. Er spricht Italienisch, kann kein Deutsch. „Das mit der Sprache ist schon schwierig“, sagt die Medizinerin, die seit dem Start der „StuPoli“ im Sommer 2014 dabei ist.

„StuPoli“ steht für „Studentische Poliklinik“: An zwei Tagen in der Woche können Menschen ohne Krankenversicherung in die kostenlose Sprechstunde von Medizinstudenten in die Räume des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main kommen. Sie soll nur eine erste Station für die Erkrankten sein, das Team vermittelt sie weiter an Fachärzte. Im Schnitt nutzen pro Sprechstunde zwischen drei und sechs Patienten das Angebot der Goethe-Universität. Ein vergleichbares Projekt gibt es bisher nur in Ulm.

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Laut Statistischem Bundesamt sind mehr als 137.000 Menschen in Deutschland nicht krankenversichert. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher. „Am Anfang gab es nur dienstags eine Sprechstunde, das hat nicht gereicht“, erzählt Kelly Hoffmann, die heute als „Clinical Manager“ für die Organisation der Sprechstunde zuständig ist.

Enormer Aufwand

Bei der Bezeichnung „Clinical Manager“ muss die 22-jährige Medizinstudentin lachen. „Unsere Idee mit der ‚StuPoli‘ kommt aus den USA. Deswegen diese Namen.“ Kelly studiert im siebten Semester Medizin und ist seit drei Jahren freiwillig bei der „StuPoli“ dabei. Das Projekt gilt als Lehrveranstaltung, die Studenten können sich die Stunden als Punkte anrechnen lassen. Das war bei Kelly aber nicht die Hauptmotivation. „Ich wollte praktische Erfahrungen sammeln, meinen Horizont erweitern“, erzählt sie.

Das Angebot ist beliebt bei den Studenten. Jedes Jahr gebe es deutlich mehr Bewerbungen als freie Plätze, sagt Kelly. Allerdings unterschätzten einige auch den Aufwand, der hinter dem Projekt steckt. „Vor 20 Uhr sind wir hier nie raus.“

Am meisten kommen rumänische Frauen

In den meisten Fällen kommen die Patienten mit Beschwerden wie Kopfschmerzen, Erkältung oder Bluthochdruck. Auch viele Schwangere suchen die „StuPoli“ auf. Meistens seien es rumänische Frauen, darunter auch Minderjährige, sagt Kelly. In diesen Fällen verweisen die Studenten in der Regel auf ein Programm des Frankfurter Gesundheitsamtes, das Schwangeren eine Geburt für 600 Euro ermöglicht, weniger als die Hälfte des üblichen Preises.

Die „StuPoli“ arbeitet mit fünf Hausärzten, einer Gynäkologin und verschiedenen Krankenhäusern aus der Umgebung zusammen. Finanziert wird das Projekt durch Spenden und von der Uni. Im Frühjahr 2017 hat die „StuPoli“ den mit 60.000 Euro dotierten Hessischen Hochschulpreis erhalten. Dieses Geld fließe ebenfalls in das Projekt, erklärt Lukas Seifert, Leiter der „StuPoli“.

Keine Versicherung ohne Einkommen

„Wir sind heute spärlich besetzt“, sagt Kelly mit Blick auf ihre zwei Kommilitonen, als der nächste Patient das Anmelde-Zimmer betritt. Normalerweise sind die Studenten zu viert oder fünft. In einer zerknüllten Plastiktüte hat der Mann aus Rumänien alte Packungen seiner Medikamente mitgebracht, unter anderem Beta-Blocker. „Was heißt Herzinfarkt auf Rumänisch?“ fragt Kelly die Sozialarbeiterin Ramona Brinkmann, die seit Juni im Team ist und fließend Rumänisch spricht. Oft bräuchten die Patienten auch seelische Unterstützung, erklärt Brinkmann.

Der Mittfünfziger hatte einen Herzinfarkt, nun braucht er neue Tabletten. Als EU-Bürger hat er zwar ein Aufenthaltsrecht im Land, ist aber ohne festes Einkommen nicht versichert. Der Mann faltet seine Hände und sagt etwas in seiner Muttersprache. „Er meint, er möchte keine Umstände machen“, übersetzt Brinkmann.

Verständigung mit Händen und Füßen

So umgänglich sind nicht alle Patienten, erzählt Tiarks-Jungk. „Einige kommen hier rein, setzen sich hin und sagen: Rumänisch? Bulgarisch? Die verlangen das einfach.“ Die Sprache sei aber nicht die einzige Herausforderung für das „StuPoli“-Team. Die Verständigung funktioniere meistens mit Händen und Füßen.

Oft seien die Patienten aber unzuverlässig. „Wir hatten hier einmal eine schwangere junge Frau. Ein paar Tage nach ihrem Besuch haben wir eine Vergiftung festgestellt. Aber sie kam einfach nicht mehr“, erzählt Hoffmann. „Ansonsten hätten wir helfen können“, fügt ihre 29-jährige Kommilitonin Johanna Pottiez hinzu.

Studenten fordern Bürokratieabbau

Manchmal müssten sich die Studenten auch Kritik anhören, etwa dass sie nicht qualifiziert genug seien. Dann betonen die jungen Erwachsenen immer wieder, dass die „StuPoli“ nur eine erste Anlaufstelle sein soll. „Das eigentliche Ziel ist, dass es uns gar nicht geben müsste“, sagt Pottiez. Die Studenten fordern von der Politik, weniger bürokratisch zu sein. „Das verstehen wir als Deutsche ja sogar oft nicht, was in diesen Formularen drinsteht“, ergänzt Kelly.

„Hier ist Ihr neues Rezept für die Creme gegen den Juckreiz.“ Die Ärztin übergibt dem italienischen Patienten ein Rezept. „No Problemo“? fragt er. „Nix Problem“, antwortet die Medizinerin. „Grazie“, bedankt sich der junge Mann und verlässt die Praxis. Inzwischen ist es kurz nach acht, auch heute werden Kelly und ihre Kommilitonen spät zu Hause sein. (epd/mig) Aktuell Panorama

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