Markus Kerber, Staatssekretär, Deusche Islam Konferenz, Islamkonferenz, Islam, Muslime
Staatssekretär Markus Kerber

Interview mit Kerber

„Islam der in Deutschland lebenden Muslime“

Innenstaatssekretär Markus Kerber war bereits vor zwölf Jahren bei der Begründung der Islamkonferenz maßgeblich am Dialog mit den Muslimen beteiligt. Für die vierte Auflage der Konferenz formuliert er im Gespräch klare Ziele: Insbesondere Imamausbildung Von Corinna Buschow

Von Corinna Buschow Donnerstag, 29.11.2018, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.12.2018, 16:02 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Deutsche Islam Konferenz will nach Wegen suchen, wie Moscheen mehr in Deutschland aufgewachsene und ausgebildete Imame beschäftigen können. Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Markus Kerber, stellt finanzielle Unterstützung in Aussicht. Der Staat könne kein religiöses Personal finanzieren, sagt er im Gespräch vor dem Auftakt zur Konferenz am Mittwoch. Er plant aber mehr Unterstützung im Bereich Integration, damit Moscheen gegebenenfalls an anderer Stelle Geld für einen Imam hätten. Neue Strukturen zu etablieren wird nach seiner Einschätzung aber Jahre dauern.

Herr Kerber, in dieser Woche findet die Deutsche Islam Konferenz statt. Sie wollen einen Neustart in anderer Zusammensetzung. Was wird passieren und wer kommt?

___STEADY_PAYWALL___

Markus Kerber: Diese zwei Tage sind die Eröffnung für einen Prozess. In einem offenen Diskurs wollen wir die Themen bestimmen, die den deutschen Muslimen wichtig sind. Eingeladen sind die muslimischen Verbände sowie zahlreiche Einzelpersonen und neue Initiativen. Insgesamt 240 Menschen aus der ganzen Bandbreite der muslimischen Community in Deutschland haben sich angemeldet. Genauso wird es auch um Themen gehen, die dem deutschen Staat wichtig sind. Wir gehen relativ offen in eine Art Findungsprozess.

Welche Themen sind dem deutschen Staat denn wichtig?

Markus Kerber: Es gibt vor allem strategische Ziele. Eines ist, die Vielfalt der in Deutschland lebenden Muslime deutlicher in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und dabei einen Impuls zu geben für die schweigende Mehrheit der deutschen Muslime. Wir wollen sie dafür gewinnen, ein eigenes deutsches Profil zu entwickeln. Das zweite Ziel: Wir würden gern einen Weg finden, wie wir die ausländische Einflussnahme, Finanzierung und Unterstützung für die deutschen Muslime ablösen können durch eine Struktur, die auch eine deutsche Identität der hier lebenden Muslime zulässt. Drittens wollen wir Fortschritte erzielen bei der Imam-Ausbildung.

Islamische Theologen werden an deutschen Universitäten längst ausgebildet, finden aber selten eine Stelle in einer Moschee. Was werden sie unternehmen, um das zu ändern?

Markus Kerber: Es gibt mittlerweile viele hundert deutschstämmige muslimische Theologie-Studenten, die nach dem Studium nicht als Imame arbeiten können, weil es in Deutschland keine eigenständige, ans Studium anschließende Praxis-Ausbildung gibt. In Deutschland haben sich über Jahrzehnte hinweg Strukturen etabliert, bei denen die Gemeinden auf Imame aus dem Ausland zurückgreifen. Die Auflösung dieser Strukturen wird eventuell Jahre dauern. Auf diesem Übergangspfad können Bund- und Landesregierungen Unterstützung anbieten, beispielsweise im Bereich Integration.

Finanzielle Unterstützung?

Markus Kerber: Wir können kein religiöses Personal finanzieren. Das gibt das Neutralitätsgebot nicht her. Aber wir können Integrationsarbeit stärker unterstützen. Derzeit ist ein Programm mit dem Namen „Moscheen für Integration“ in der Arbeit. Moscheen, die sich da besonders stark einbringen, werden darüber auch Geld bekommen. Sie werden also dort entlastet, um gegebenenfalls an anderer Stelle Geld für einen Imam zu haben.

Einfluss aus dem Ausland wird vor allem beim Türkei-nahen Islamverband Ditib kritisch gesehen. Der ist weiter bei der Islamkonferenz dabei. Warum?

Markus Kerber: Weil wir anerkennen müssen, dass die Arbeit, die Ditib über Jahrzehnte gemacht hat, von uns gewollt oder zumindest geduldet war. Deutschland dachte, es handele sich allein um ein Phänomen für Gastarbeiter. Dass diese Menschen irgendwann schon wieder nach Hause gehen würden, war eine Lebenslüge auf beiden Seiten. Aus Gastarbeitern sind deutsche Staatsbürger geworden. Sie haben ihre eigenen religiösen und kulturellen Wünsche, die Ditib bislang erfüllt hat – auch mit massivem Einsatz von Geldern aus der Türkei. Jetzt ist es aber wichtig, in einem einvernehmlichen Prozess nach einer neuen Struktur zu suchen, die mit den Bedürfnissen und dem Lebensalltag der deutschen Muslime in Einklang steht.

Sie haben in der Vergangenheit von einem „deutschen Islam“ gesprochen. Was macht den aus und wie unterscheidet er sich von anderen Ausprägungen?

Markus Kerber: Das eigentliche Motto der Islamkonferenz ist ein „Islam in, aus und für Deutschland“. Es geht darum, dass der Islam sich mit den rechtlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten Deutschlands abstimmt und gleichzeitig auf den spezifischen Lebensumständen der deutschen Muslime beruht. Spezifisch ist zum Beispiel, dass es beim Islam in Deutschland um eine Diaspora-Situation geht – und das wird auch immer so bleiben. Entgegen aller Schreckensszenarien einer „Islamisierung“ werden die deutschen Muslime immer eine Minderheit sein. Minderheiten brauchen in einer heterogenen Gesellschaft ihr eigenes Profil – hier also einen Islam der in Deutschland lebenden Muslime.

Wie sehr kann sich der Staat bei der Entwicklung dieses „deutschen Islams“ einmischen?

Markus Kerber: Gar nicht. Wir unterliegen dem Neutralitätsgebot. Wir können uns aber über die Erfahrungen, die der Staat mit anderen Religionen gemacht hat – den Kirchen oder der jüdischen Gemeinschaft – mit den Muslimen austauschen. Wir verstehen uns als Ratgeber und als Garant für eine religiöse Neutralität.

Sie waren vor zwölf Jahren als Abteilungsleiter dabei, als der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Islamkonferenz startete. Frustriert Sie, dass viele Themen noch nicht gelöst sind?

Markus Kerber: Nein, ich bin ganz eindeutig optimistisch. Im Vergleich zur Situation vor zwölf Jahren haben wir eine so enorme Bandbreite an jungen deutschen Muslimen, die in allen Facetten der Gesellschaft das Spezifische der deutschen Muslime glaubwürdig und beeindruckend vertreten.

Gleichzeitig ist man bei der rechtlichen Anerkennung der muslimischen Gemeinschaften nicht weitergekommen. Sie können damit keine Steuern erheben, brauchen gleichzeitig Finanzierungsquellen für Ausbildung und Anstellung von Imamen. Kann es dafür einen anderen Weg als den der Körperschaft des öffentlichen Rechts geben?

Markus Kerber: Das glaube ich nicht. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass der Großteil der in Deutschland lebenden Muslime die Zusammenhänge der mitgliederbasierten Finanzierung und die damit einhergehenden Vorteile gar nicht kennt. Es geht also darum, dies nicht nur den Verbänden, sondern auch der muslimischen Öffentlichkeit zu vermitteln und dabei klar zu machen, dass die Registrierung von Mitgliedern Vorteile hat. Das führt hoffentlich zu einer neuen Dynamik in der Vereins- und Verbandslandschaft der deutschen Muslime.

Die Kirchen und der Zentralrat der Juden erhalten Staatsleistungen. Ist das auch für muslimische Gemeinschaften denkbar?

Markus Kerber: Die Leistungen an die christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden gehen auf einen viel längeren historischen Prozess zurück und sind nur auf Basis der gefestigten organisatorischen Strukturen möglich, die die Muslime in Deutschland so noch nicht ausgebildet haben. (epd/mig) Aktuell Interview Politik

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Lynxx sagt:

    Was maßt sich Markus Kerber an? Er scheint zu behaupten, die Zukunft voraussagen zu können:
    „Spezifisch ist zum Beispiel, dass es beim Islam in Deutschland um eine Diaspora-Situation geht – und das wird auch immer so bleiben. Entgegen aller Schreckensszenarien einer ‚Islamisierung‘ werden die deutschen Muslime immer eine Minderheit sein.“
    Bereits jetzt stellen in einigen Ballungsgebieten in den Schulen die Kinder mit Migrationshintergrund die Mehrheit, und diese sind überwiegend muslimische Religionsangehörige. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie erwachsen sind und selbst wieder Kinder haben, und dann könnten in diesen Ballungsgebieten die Muslime in der Mehrheit sein, während sie außerhalb davon nur eine Minderheit bilden. Wird dann diese Mehrheit damit einverstanden sein, sich als Minderheit behandeln zu lassen?
    Es ist Illusion zu meinen, das Gebilde BRD werde – zumindest in seiner bisherigen Form – für immer so weiterbestehen. Gerade die neuere Entwicklung läuft in Richtung einer Spaltung der Gesellschaft, und dieser könnte nach einiger Zeit auch eine Spaltung der staatlichen Ordnung und – je nach Bevölkerungslage – auch eine territoriale folgen.
    Es könnten auch irgendwann Umstände eintreten, die zu einer größeren Konvertierungswelle führen, auch wenn das derzeit unwahrscheinlich scheint – man kann es jedoch nicht ausschließen. Wie dem auch sein mag, Herr Kerber sollte sich nicht dahin versteigen, mit Bestimmtheit die Zukunft für Deutschland und dessen Muslime voraussagen zu wollen!
    Ein „deutscher“ Islam dürfte sich wohl mehr auf die Organisation der Muslime im säkularen Staat und ihre Stellung in der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft beschränken. In einer globalisierten Welt werden die deutschen Muslime hinsichtlich ihrer Glaubenslehre und ihrem Umgang mit den Quellentexten jedoch vor allem von den Entwicklungen und Ereignissen im Rest der Welt und vor allem in den Kernländern der islamischen Welt beeinflußt. Es bleibt abzuwarten, wie die in Deutschland ausgebildeten islamischen „Theologen“ darauf reagieren und ob sie von der Mehrheit der Muslime akzeptiert werden.