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Prüfungsraum - werden bestimmte Herkunftsländer diskriminiert? © pixabay

Benachteiligung ausländischer Namen

Plädoyer für anonymisierte Prüfungen

Das Wort „Pädagoge“ bezeichnet jemanden, der ein Kind bzw. einen Schüler anleitet. An Schulen beinhaltet diese Aufgabe häufig auch das Bewerten von Lernfortschritten. Dabei liegt es Pädagogen wohl fern, ihre Schüler unfair zu beurteilen. Ungerechte und vorurteilsbehaftete Bewertungen kommen aber regelmäßig vor. Von Roman Lietz

Von Mittwoch, 15.08.2018, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 18.09.2018, 14:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Da liegt wieder ein Stapel Klausuren auf meinem Schreibtisch. Ein wenig widerwillig setze ich mich ran, aber gleichzeitig auch neugierig darauf, was meine Studentinnen und Studenten in diesem Jahr alles zu Papier gebracht haben. Unwillkürlich fliegt mein Blick über die Namensliste. Mit den meisten kann ich ohnehin nichts anfangen. Aber da ist zum Beispiel Shawn, den mochte ich irgendwie von Anfang an, weil er mich an mein Irland-Jahr erinnert. Und Horst? War der überhaupt in den Veranstaltungen? Da war der Name doch sicher wieder Programm!

Halt! Das ist natürlich keine Grundlage für eine faire Bewertung. Schon beim Aufblättern der Klausur verbindet jeder – gewollt oder ungewollt – Erwartungen mit den Namen, egal ob man die Personen zum Namen kennt oder nicht. Zum Glück ist an der Hochschule, für die ich diese Klausur bewerte, ein anonymes Beurteilungsverfahren eingeführt: Ich sehe nur die Matrikelnummer und keinen Shawn und keinen Horst. Nachdem ich meine Noten verteilt habe, werden diese im Sekretariat mit den Namen der Studentinnen und Studenten verknüpft.

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Dass es zu unbewussten Vorurteilen im Lehrbetrieb kommt, ist mittlerweile durch zahlreiche Studien immer wieder belegt worden:

  • Schon 1983 fanden John Darley und Paget Gross (Princeton University) in einem Experiment heraus, dass Lehrer Schüler schlechter benoteten, wenn sie annahmen, dass diese aus einer niedrigen sozialen Schicht kommen. 1
  • 2009 sorgte Julia Isabel Kube (Universität Oldenburg) mit ihrer Studie für Aufsehen, als sie feststellte, dass eine Lehrergruppe Kinder mit den Namen Chantal, Justin, Dennis, Marvin und Kevin („Kevin ist kein Name sondern eine Diagnose“) als leistungsschwach und verhaltensauffällig einschätzte. Ob die Lehrer diese Kinder auch wirklich auf Grundlage ihrer Vorurteile schlechter bewerten, wurde allerdings nicht geprüft.

Nicht nur die soziale, sondern auch die sprachliche Herkunft eines Namens sorgt für Vorurteile:

  • Meike Bonefeld und Oliver Dickhäuser (Universität Mannheim) stellten 2018 fest, dass „Max“ eine bessere Note bekommt als „Murat“ bei gleicher Leistung, auch wenn die Lehrer/innen „Max“ und „Murat“ gar nicht kennen. Die beiden Forscher/innen ließen die Lehrer/innen übrigens auch mehrere deutsche und türkische Namen bewerten. Alle türkischen Namen wurden mit niedrigerer Intelligenz assoziiert als die deutschen Namen.
  • Sabine Glock und Sabine Krolak-Schwerdt (Universität Wuppertal) ermittelten 2013 ebenfalls, dass Lehrerinnen und Lehrer ihnen unbekannte Schüler mit türkischem Hintergrund schlechter einschätzten als Schüler ohne Migrationshintergrund.
  • Laut Deutschlandfunk belegt eine Studie der Universität Göttingen aus dem Jahr 2015, dass Jura-Studentinnen mit einem Namen, der auf die Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion bzw. dem Nahen Osten schließen lässt, trotz besserer Abiturnoten im Durchschnitt deutlich schlechter abschlossen als eine Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund. Allerdings ist unklar, ob dies auf die Merkmale Frau / Migrationshintergrund in der Prüfungssituation zurückzuführen ist, oder auf schlechtere Möglichkeiten während des Studienverlaufs.

Dass es als Frau gar keines Migrationshintergrunds bedarf, um auf Grundlage von Vorurteilen schlechter bewertet zu werden zeigt:

  • Die Studie von Sarah Hofer (ETH Zürich) aus dem Jahr 2016. Demzufolge müssen Mädchen bei gleicher Leistung im Fach Physik mit einer schlechteren Note rechnen als Jungen. Auch hier war Lehrerinnen und Lehrern eine Testklausur vorgelegt worden, wobei den Prüfern nur ein (willkürlich ausgewählter männlicher oder weiblicher) Name mitgeteilt wurde.

Doch es gibt einen Ausweg: Sobald sich Schulen und Hochschulen dieses Bias bewusst sind, lassen sich vorurteilsbehaftete Noten schnell der Vergangenheit zuordnen: Mit anonymisierten Beurteilungsverfahren. Das wird vielleicht nicht in jedem Prüfungssetting gehen, aber sicherlich in mehr als es zurzeit der Fall ist. Also, liebe Pädagoginnen und Pädagogen: Macht eure Hausaufgaben!

Nachsatz: Die Benachteiligung geht übrigens nach der Ausbildung weiter. Doris Weichselbaumer (Universität Linz) fand heraus, dass bei einer identischen Testbewerbung „Sandra Bauer“ 70 % häufiger zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird als „Meryem Öztürk“ und sogar 4,5 mal so oft wie „Meryem Öztürk“, wenn diese ein Foto mit Kopftuch den Bewerbungsunterlagen beifügt. Aber das wäre dann ein Fall für anonyme Bewerbungen.

  1. Darley, John / Gross, Paget: A Hypothesis-Confirming Bias in Labeling Effects. In: Journal of Personality and Social Psychology, Vol 44(1), Jan 1983, 20-33
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  1. Roman Lietz sagt:

    Korrektur: Die geschätzte Forscherin der Universität Linz heißt Doris Weichselbaumer (nicht Wechselbaumer). Ich bitte diesen Tippfehler zu entschuldigen.