Migrationsforscher warnen

„Spaltung mit enormer Sprengkraft“ durch Anker-Zentren befürchtet

Ankunft, Asylentscheidung bis hin zur Abschiebung: In den sogenannten Anker-Zentren soll künftig alles zusammenlaufen. Migrationsexperten warnen vor verheerenden Folgen. Ein Ankunftszentrum in Heidelberg präsentiert eine Alternative.

Migrationsforscher warnen vor verheerenden Folgen für Flüchtlinge und Kommunen durch die von der Bundesregierung angestrebten Anker-Zentren. Solche Sammeleinrichtungen, in denen künftig das komplette Asylverfahren abgewickelt werden soll, führten „zur weitgehenden Isolation und zu hohen Belastungen“ bei Flüchtlingen, was deren soziale und berufliche Integration erschwere, heißt es in einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Kurzstudie für den Mediendienst Integration.

Zugleich belasteten die Zentren mit großer Wahrscheinlichkeit das nähere Umfeld und veränderten die Stadt- oder Gemeindestruktur. Die Einstellung der lokalen Bevölkerung gegenüber Migranten und geflüchteten Menschen werde negativ beeinflusst werden. So lieferten Anker-Zentren einen „Nährboden für Vorurteile“.

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„Zum Nichtstun verdammt“

Die Göttinger Wissenschaftlerin Sabine Hess äußert angesichts ihrer Erhebungen in vergleichbaren Unterkünften die Befürchtung, dass die maximale Aufenthaltsdauer für geflüchtete Menschen von 18 Monaten eher zur Regel werden könnte. Viele Asylsuchende würden dadurch „zum Nichtstun verdammt“, hätten kaum Privatsphäre, wenig Schutz und vermutlich kaum Zugang zu einer unabhängigen Beratung, sagt die Forscherin, die an der Studie mitgearbeitet hat. Die Flüchtlinge lebten zudem in ständiger Angst, nachts abgeholt und abgeschoben zu werden. Hess kritisiert zugleich, dass es über die konkrete Ausgestaltung der geplanten Anker-Zentren nach wie vor nicht viele Informationen gebe.

Es sei aber zu erwarten, dass diese Form der Unterbringung „das Ankommen in der deutschen Gesellschaft gegebenenfalls langfristig deutlich erschwert“, heißt es ferner in der Studie. Damit drohe ohne Gegenmaßnahmen langfristig eine „soziale Spaltung mit enormer Sprengkraft“. Das erklärte Ziel, Asylverfahren zu beschleunigen, stellen die Experten infrage. Die Rechte von besonders Schutzbedürftigen wie Frauen mit Kindern würden gefährdet. Die Wissenschaftler empfehlen dezentrale Strukturen, mit denen in der Vergangenheit positive Erfahrungen gemacht worden seien.

Traumatische Erlebnisse

„Anker“ ist die Kurzform für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“. Nach Plänen des Bundesinnenministeriums sollen im Spätsommer bis Herbst bis zu sechs Pilot-Zentren eröffnet werden. Geplant ist die Unterbringung von bis zu 1.500 Personen je Zentrum. Erwachsene alleinstehende Asylbewerber sollen bis zu 18, Familien bis zu 6 Monate in den Zentren bleiben, um sicherzustellen, dass beim Verlassen ihr Asylverfahren beendet ist. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erhofft sich auch eine Erhöhung der Abschiebezahlen durch die direkte Ausreise aus den Zentren.

Von „traumatischen“ Erlebnissen spricht Jane Wangari vom Verein „Women in Exile“ (Frauen im Exil), die selbst nach ihrer Ankunft in Deutschland 2015 in verschiedenen Sammelunterkünften war. Die aus Kenia stammende Aktivistin, die heute Frauen in Flüchtlingsunterkünften betreut, berichtet von ständiger Anspannung, schlaflosen Nächten aus Angst vor sexuellen Übergriffen, Furcht vor Polizei und Abschiebung sowie großer Hoffnungslosigkeit. Sie selbst habe in den Lagern in Angst gelebt und unter Depressionen gelitten.

Anker-Leiter: kein Änderungsbedarf

Indes berichtete der Leiter des baden-württembergischen „Ankunftszentrums Patrick-Henry-Village“ in Heidelberg, Markus Rothfuß, von besseren Zuständen: Anhörungen meist innerhalb von zehn Tagen und Unterbringung in den Kommunen nach sechs Wochen – allerhöchstens aber nach sechs Monaten vor allem bei kranken Menschen. Mediziner, Sozialeinrichtungen und Rechtsberater seien vor Ort in der ehemals von US-Soldaten bewohnten Siedlung, Kinder würden unterrichtet, und jeder dürfe die Anlage jederzeit verlassen. Sammelabschiebungen gebe es von dort aus nicht.

Rothfuß sieht keinen Änderungsbedarf. Die Furcht vor Abschiebung sei überall präsent, sagte er. Aber im Heidelberger Ankunftszentrum sei die Verteilung anders: Es gebe eben keine größere Menge an Menschen an einem Ort, die wegen einer mangelnden Bleibeperspektive Angst hätten. (epd/mig)