Familiennachzug

Tappen im Dunkeln

1.000 Plätze pro Monat, 28.000 Anfragen: Wer als Flüchtling mit subsidiärem Schutz Angehörige in Sicherheit bringen will, braucht vor allem Geduld. Zwar ist der Nachzug ab August wieder möglich – allerdings begrenzt und die Abläufe sind unklar. Von Dirk Baas

Viele Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus in Deutschland fiebern dem 1. August entgegen. Dann können sie versuchen, ihre engsten Angehörigen nachziehen zu lassen. Doch die Abläufe sind noch unklar. Auch die Sozialverbände tappen im Dunklen. Sie bezweifeln ohnehin, dass die Zusammenführung der meist aus Syrien und dem Irak stammenden Flüchtlinge reibungslos funktioniert.

Ab dem 1. August dürfen bis zu 1.000 Personen pro Monat nachziehen, maximal 12.000 pro Jahr: Ehegatten, minderjährige Kinder und Eltern von minderjährigen Kindern. Wie die Konsulate, Ausländerbehörden und das Bundesverwaltungsamt über die Anträge entscheiden, soll eine Verwaltungsvereinbarung regeln. Die, so ist im Bundesinnenministerium zu erfahren, „steht kurz vor der Zeichnung“.

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In inhaltlichen Fragen hält sich die Behörde bedeckt. Sie verweist auf das Verfahren gemäß Aufenthaltsgesetz, das die humanitären Gründe umreißt. Berücksichtigt werden demnach bei Antragstellern die Dauer der Trennung der Familie, das Vorhandensein minderjähriger lediger Kinder, bestehende Gefahren für Leib und Leben sowie schwere Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit.

Pro Asyl bezweifelt juristisch haltbare Prüfungen

Und: Integrationsaspekte sollen besonders ins Gewicht fallen. Bemühungen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, würden positiv berücksichtigt, heißt es seitens des Ministeriums: „Das ist der Fall, wenn der Lebensunterhalt und/oder der Wohnraum gesichert werden können oder besondere Fortschritte beim Erwerb von Deutschkenntnissen oder ein Studium in Deutschland nachgewiesen werden.“ Doch in welchem Verhältnis stehen nachgewiesene Härtefälle zu diesen Aspekten der Integration?

Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl bezweifelt, dass der Familiennachzug rechtlich sauber erfolgen wird. „Ich kann nicht erkennen, wie eine juristisch haltbare Einzelfallprüfung stattfinden soll“, sagte die rechtspolitische Referentin Bellinda Bartolucci dem „Evangelischen Pressedienst“. Die Gründe lägen im Gesetz, dem präzise Verfahrensregeln fehlten. Dadurch sei „das Prinzip der Rechtssicherheit nicht gewährleistet“, moniert die Juristin.

Höchstgrenze verfassungswidrig

„Das gilt besonders, wenn das Kontingent von 1.000 Personen voll ist“, sagte die Expertin. Die absolute Grenze, die vom Gesetzgeber aus politischen Gründen gezogen wurde, sei aus ihrer Sicht verfassungswidrig.

Völlig ungeklärt sei auch, wie mit jenen Fällen verfahren wird, die über das 1.000-Personen-Kontingent hinausgehen. „Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, ob diese schon bewilligten Personen dann automatisch im Pool für den nächsten Monat sind.“ Auch die Verwaltungsvereinbarung werde nicht mehr Klarheit bringen. Es sei unwahrscheinlich, dass das Papier klare Priorisierungen zwischen einzelnen humanitären Gründen festlegt: „Das wird relativ offen bleiben.“

Gesetz strotzt vor Widersprüchen

Ulrike Schwarz vom Bundesverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge übt ebenfalls Kritik: „Das Familiennachzugsneuregelungsgesetz strotzt vor Widersprüchen. Es bestehen erhebliche rechtliche Unsicherheiten.“ Denn weder im Gesetz noch in der Begründung stehe, wie der Familiennachzug genau funktionieren soll. „Das ist absurd.“

Der Expertin zufolge ist weder geregelt, was genau die humanitären Gründe sind, die den Nachzug ermöglichen, noch wer entscheidet, ob und was ausreichende Integrationsleistungen in Deutschland sind. Schwarz: „Darf die Ausländerbehörde selber bestimmen, was ein humanitärer Härtefall ist? Fragen über Fragen, aber es gibt keine Antworten.“

Aufwendige Verfahrensabläufe

Beim Deutschen Roten Kreuz spricht man von relativ aufwendigen Verfahrensabläufen zwischen Auswärtigem Amt, Bundesverwaltungsamt und Ausländerbehörden, „die sehr gut koordiniert werden müssen, um eine zügige Bearbeitung der Anträge sicherzustellen“. Eine Herausforderung stelle vielfach der verlangte Nachweis über das Vorliegen von humanitären Gründen dar. „Das gilt zum Beispiel, wenn Atteste für Krankheiten direkt in Syrien beschafft werden müssen“, sagte Sprecher Dieter Schütz dem epd.

Wann die ersten Nachzügler tatsächlich in Deutschland eintreffen, ist offen. Sie müssen sich gedulden, denn die Wartelisten bei der Antragstellung sind lang. Vor allem in der deutschen Botschaft in Beirut, der Hauptanlaufstelle der Syrer. Bislang liegen insgesamt rund 28.000 Terminanfragen vor. (epd/mig)