Wir sind Fußball

Mesut Özil im Spiegel vermeintlich gescheiterter Integration

Özil zum jetzigen Zeitpunkt fallen zu lassen – und darauf läuft es hinaus – käme einer Kapitulation gegenüber dem erstarkenden Rechtspopulismus gleich. Von Dr. Ayla Güler Saied

DFB Präsident Reinhard Grindel hat öffentlich ein Statement von Mesut Özil eingefordert, sich zum Foto mit Erdogan zu positionieren. Diese Forderung spiegelt zum einen den derzeit unprofessionellen Umgang mit dem Vorrundenaus der deutschen Nationalmannshaft bei der WM wider. Zum anderen wird deutlich, wie sich gesellschaftliche und politische Integrationsdiskurse auf den Fußballdiskurs auswirken und seine Wirkungsmacht entfalten.

Professionell von Grindel wäre es gewesen, zuerst mit Özil zu sprechen, um dann mit ihm gemeinsam geschlossen als Teil eines Teams vor die Kameras zu treten. Oder auch nicht!

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Haben sich Mesut Özil und Ilkay Gündoğan durch das Foto mit Erdogan bereits ins Abseits geschossen? Die Wirkungsmacht und das Medienecho haben sie vielleicht nicht abschätzen können und im Kontext der PR Beratung von Spielern ist sicherlich Handlungsbedarf geboten.

Auf sportlicher Ebene indes muss der DFB konsequenter die von ihm propagierte „Wir sind Vielfalt“- Mentalität vorleben. Dazu gehört vor allem, dass die ethnische Herkunft nicht vor die sportlichen Leistungen gestellt werden sollte, wie es derzeit der Fall ist. Der DFB ist kein Wohltätigkeitsverein und auch kein interkulturelles Begegnungszentrum. Es geht um Fußball und um sehr hohe Leistung; ein Milliardengeschäft.

Dennoch wirbt der DFB damit, dass:Integration ein Beleg für die Kraft des Fußballs (ist). Sie schreibt längst Sportgeschichte. Europas große Fußballnationen schicken heute Spieler auf den Platz, deren Eltern einst zugewandert sind – nach Frankreich, in die Niederlande, auch nach Deutschland. Mesut Özil und Jérôme Boateng sind Brückenbauer und wichtige Vorbilder für Migranten: Wer sich anstrengt, kann den sozialen Aufstieg schaffen. Zugleich bringt der DFB Integration in die Fläche.“

Der DFB reproduziert hier einen stereotypen Mythos des Aufstiegs durch Leistung. Indem er diesen mit dem Integrationsdiskurs verknüpft, wird des Weiteren das Klischee reproduziert, Sport sei für migrantische Jugendliche in besonderem Maße geeignet – an sich ist dem nichts entgegenzusetzen – aber es wird dadurch eine Reduktion auf den sportlichen Bereich praktiziert– andere Bereiche werden damit kategorisch ausgeschlossen: geisteswissenschaftliche Felder beispielsweise.

In der Tat ist Mesut Özil nie ein Mann der vielen Worte gewesen. Wenn er also als Identifikationsfigur gedient hat, dann ausschließlich aufgrund seiner sportlichen Qualitäten. Im Kontext der Berichterstattung während der EM 2016 sagte Özil jedoch, dass er stark verwundert sei, nach wie vor als Deutsch-Türke tituliert zu werden, obwohl er in Deutschland geboren sei und für das deutsche Team spiele. Weder Klose noch Podolski würden als Deutsch-Polen oder Khedira als Deutsch-Tunesier tituliert werden.

Auch dass Özil im Jahr 2010 den Bambi für Integration des Burda Verlages erhalten hat (unabhängig der gesellschaftspolitischen Relevanz des Preises), statt beispielsweise in der Kategorie „Sportler des Jahres“ ausgezeichnet zu werden, zeigt den Fremdheitsdiskurs, der im Fußball-Kontext latent immer als Begleitmusik vorhanden ist und zu großen Teilen unhinterfragt angenommen wird.

Özil ist Teil einer Mannschaft. Anders als Ronaldo, Messi und Neymar wurde er nie als führender Vertreter der Mannschaft hochstilisiert, was im Teamsport auch nicht unbedingt zum Erfolg führt, wie das Ausscheiden der Teams von Portugal, Argentinien und Brasilien belegen. Özil zum jetzigen Zeitpunkt fallen zu lassen – und darauf läuft es hinaus – käme einer Kapitulation gegenüber dem erstarkenden Rechtspopulismus gleich. Seine sportlichen Leistungen waren nicht besser oder schlechter, als die seiner Mitspieler.

Der DFB sollte nicht nur aus diesem Grund seinen Slogan „Wir sind Vielfalt“ durch „Wir sind Fußball“ ersetzen. Damit würde der Sport in den Vordergrund gerückt und dadurch dem Integrationsdiskurs und damit einhergehenden rassistischen Vorbehalten gegenüber vermeintlich nicht-deutschen Spielern der Nährboden entzogen werden.

In diesem Sinne sollten die Fair Play Regeln auch außerhalb des Spielfeldes eingehalten werden. Eine kritische Aufarbeitung der sportlichen Leistungen darf nicht verwechselt werden mit einer nun zum Ausdruck kommenden kategorischen Ablehnung von Spielern aufgrund ihrer (vermeintlichen) ethnischen Herkunft.

2006 hatte der DFB Strafanzeige gegen die NPD gestellt, als diese Patrick Owomoyelas Anwesenheit im WM Kader mit: „Weiß – nicht nur eine Trikotfarbe – Für eine echte NATIONALmannschaft“ kommentierte. Diesem und ähnlichen nationalistischen Phantasmen sollte weiterhin kein Raum geboten werden. Letztlich ist Fußball „nur“ Sport, nicht mehr und nicht weniger.