Antisemitismus

Empörung nach Attacke auf Männer mit Kippa

Die Bilder eines Handy-Videos machen sprachlos: Auf offener Straße in einem belebten Berliner Stadtbezirk werden zwei Kippa tragende Männer beschimpft und attackiert. Kein Einzelfall, wie die neueste Statistik beweist.

Eine erneute antisemitische Attacke auf offener Straße in Berlin hat Entsetzen und Empörung ausgelöst. Am Dienstagabend wurden im Stadtteil Prenzlauer Berg zwei Kippa tragende 21 und 24 Jahre alte Männer von einer unbekannten dreiköpfigen Gruppe judenfeindlich beleidigt und attackiert, wie die Berliner Polizei am Mittwoch mitteilte. Einer der Pöbler schlug demnach erst mit einem Gürtel und dann mit einer Glasflasche auf den 21-jährigen jüdischen Mann ein. Eine couragierte Zeugin sei dazwischen gegangen und habe weitere Schläge des Täters verhindert, erklärte die Polizei. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin nahm die Zahl antisemitischer Vorfälle in der Bundeshauptstadt im vergangenen Jahr um 60 Prozent zu.

Von der Attacke gibt es ein Handyvideo eines der Opfer, das der Mann auf Facebook stellte. Darin ist zu sehen, wie einer der mutmaßlichen Täter mit einem Gürtel auf den Filmenden einschlägt und ihn wiederholt als „Yahudi“ (arabisch für „Jude“) bezeichnet, ehe ein anderer Mann ihn wegzieht. Zudem zeigt das Video rote Striemen auf dem Körper des Opfers, die mutmaßlich durch die Schläge mit dem Gürtel entstanden sind. Der Polizeiliche Staatsschutz ermittelt und fahndet nach den bislang unbekannten Tätern.

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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verurteilte die Tat auf das Schärfste. „Antisemitismus gehört nicht zum Berlin, in dem wir leben wollen“, sagte Müller. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag): „Wenn junge Männer bei uns attackiert werden, nur weil sie eine Kippa tragen, ist das unerträglich.“ „Wir tragen Verantwortung dafür, uns schützend vor jüdisches Leben zu stellen“, betonte Maas. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sprach an gleicher Stelle von einer „Schande für unser Land“. Die Täter müssten unmittelbar zur Rechenschaft gezogen werden.

Lange Liste von Übergriffen

Das American Jewish Committee (AJC) erklärte, der Vorfall reihe sich in eine lange Liste von Übergriffen ein, die nicht selten einen muslimischen Täter-Hintergrund hätten. „Wir dürfen die Augen vor dem immer häufiger auftretenden Antisemitismus in Teilen der arabischen und muslimischen Community nicht verschließen“, forderte AJC-Direktorin Deidre Berger. Sie kritisierte, dass in der offiziellen Polizeistatistik noch immer 95 Prozent des Antisemitismus dem Rechtsextremismus zuordnet würden. Dagegen sprächen die Erfahrungen von 80 Prozent der Betroffenen. „Wenn wir das Problem ernsthaft angehen wollen, brauchen wir ein besseres Lagebild“, sagte Berger.

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, sprach von einer roten Linie, die erneut weit überschritten worden sei. Er forderte ein klares und eindeutiges Zeichen der Justiz, dass es sich bei dem Vorfall nicht einfach nur um Körperverletzung handele. Sollte der Täter gefasst werden, sollte auch dessen Hintergrund ausgeleuchtet werden, um herauszufinden, warum es zu dieser antisemitischen Handlung gekommen sei. „Kein Mensch wird als Antisemit geboren“, sagte Schuster.

Neue Materialsammlung für Schulen

Schuster stellte am Mittwoch gemeinsam mit dem KMK-Präsidenten und dem thüringischen Bildungsminister Helmut Holter (Linke) eine neue Materialsammlung für Schulen vor. Sie soll für eine bessere Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur im Unterricht sorgen.

Nach Angaben der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin wurden im vergangenen Jahr in der Hauptstadt 947 antisemitische Vorfälle erfasst, 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Es handele sich um die höchste Zahl seit Beginn der Erfassung 2015. Durchschnittlich würden der Informationsstelle jeden Tag zwei bis drei Vorfälle bekannt. Erfasst würden auch Vorfälle, die keinen Straftatbestand darstellen, aber ein bedrohliches Klima für Jüdinnen und Juden schaffen. Betroffen von den Vorfällen waren den Angaben zufolge 245 jüdische und nichtjüdische Einzelpersonen und in 461 Fällen jüdische oder israelische Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen. (epd/mig)