Stephan Anpalagan, Alternative Fakten, MiGAZIN, Kolumne, AfD
Stephan Anpalagan schreibt im MiGAZIN die Kolumne "Alternative Fakten" © privat, bearb. MiG

Alternative Fakten

Liebe AfD, wir müssen reden. Über Antisemitismus.

Wie können Sie es wagen, sich als Bollwerk gegen Antisemitismus zu bezeichnen? Sie scheren sich doch keinen Deut um das jüdische Leben in Deutschland. Ihre erbärmlichen Versuche zur Instrumentalisierung des Judentums, um den Islam zu diffamieren, sind offensichtlich. Von Stephan Anpalagan

Von Donnerstag, 05.04.2018, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.04.2018, 21:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sehr geehrte Damen und Herren von der AfD,

wir müssen reden. Über Antisemitismus.

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Seit mehreren Jahren schon verteidigen Sie und Ihre patriotischen Freunde von PEGIDA das jüdisch-christliche Abendland in den Fußgängerzonen der Bundesrepublik. Unermüdlich berichten Sie, die AfD sei „in Deutschland das einzige große Bollwerk gegen Antisemitismus“ und Sie hegten „keine Toleranz gegenüber Antisemitismus„. Manch eine lässt sich sogar zu der Behauptung hinreißen, „für Antisemitismus [sei] kein Platz in der AfD„.

Wie kommen Sie eigentlich auf all diese Ideen? Und warum sprechen Sie immer und überall vom „jüdisch-christlichen Abendland?“

Vielleicht sollten Sie mal einen historisch gebildeten Menschen zu Rate ziehen und diesen zur Geschichte Deutschlands befragen (und jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit Herrn Geschichtslehrer Björn Höcke!). Seit Jahrhunderten werden Jüdinnen und Juden in Deutschland verfolgt und vertrieben. Sie mussten Judenhüte und Judensterne tragen. Es hieß, sie würden die Brunnen vergiften, die Ernte verwünschen und die Kinder verfluchen. Pogrome reihten sich an Kreuzzüge, Entwürdigung an Entmenschlichung. Und als wäre all dieses nicht genug, musste die gesamte jüdische Gemeinschaft, das gesamte jüdische Leben aus deutschen Landen heraus vom Erdboden getilgt werden.

Noch 70 Jahre nach dem Holocaust kann in Deutschland keine einzige (!) jüdische Einrichtung, keine Synagoge, keine Schule, keine Kita eröffnen, ohne dass sie 24 Stunden am Tag durch die Polizei geschützt werden muss. Lange bevor 2015 die Geflüchteten nach Deutschland kamen, musste die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, Berichte veröffentlichen und sich Jahr für Jahr erklären, warum noch immer jüdische Gräber geschändet und Hakenkreuze an Wände geschmiert werden.

Und bei alledem reden Sie tatsächlich vom jüdisch-christlichen Abendland?

Politiker in Ihrer Partei stehen im Verdacht, fleißig antisemitische Karrikaturen geteilt, den Holocaust geleugnet, den Nahost-Konflikt als genauso schlimm, wie die Shoa bezeichnet, antisemitische Verschwörungstheorien veröffentlicht und sich geweigert zu haben, ein offen antisemitisches Parteimitglied wie Wolfgang Gedeon auszuschließen. Stattdessen beschäftigen Sie sich wahrhaftig mit der Frage, wie man schnellstmöglich den Straftatbestand der Volksverhetzung abschaffen könne (bezeichnenderweise fühlen Sie sich in dieser Sache wieder einmal missverstanden, wobei sich mir nicht so recht erschließen will, wie man die Worte: „meines Erachtens müsste dieser Paragraph komplett gestrichen werden“ falsch verstehen kann).

Sie sind mitnichten Freunde, sondern Feinde des Judentums. Sie verhöhnen die Opfer und Überlebenden des Nazi-Regimes, Sie missachten die deutsche Verantwortung gegenüber dem Staat Israel und Sie beherbergen offen antisemitische Feinde unserer Demokratie in Ihrer Partei.

Wie können Sie es wagen, sich bei alledem als „überhaupt irgendetwas“ gegen Antisemitismus zu bezeichnen – geschweige denn als „Bollwerk“?

Zu den jüdischen Repräsentanten, die Ihre Partei aus tiefstem Herzen ablehnen, gehören folgerichtig unter anderem der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Überlebende des Holocaust, Kuratoriumsmitglieder der Holocaust-Stiftungen, der World Jewish Congress, der European Jewish Congress, jüdische Medien in Deutschland, jüdische Medien in Israel, jüdische Medien in den USA, der israelische Botschafter in Deutschland, zudem zahlreiche jüdische Gemeinden und Verbände (unter anderem die Jüdische Gemeinde Münster, die Deutsch-Israelische Gesellschaft uvm.)

Dass Sie sich keinen Deut um das jüdische Leben in diesem Land scheren, zeigt sich nicht zuletzt an Ihrer unverschämten Respektlosigkeit mit der Sie Überlebenden des Holocaustes im Bundestag begegnen.

Es gibt nur wenige Worte, die meine grenzenlose Wut auf ihre Partei, Ihre Politik und Ihren Revisionismus beschreiben könnten. Ihre erbärmlichen Versuche zur Instrumentalisierung des Judentums, um den Islam zu diffamieren, sind offensichtlich und Ihr ständiger Verweis auf ein jüdisch-christliches Abendland, um von Ihrem innersten Antisemitismus abzulenken, augenscheinlich.

Es bleibt die Hoffnung, dass ebenjene Paragraphen zur Volksverhetzung, die Sie so eifrig abschaffen möchten, noch lange erhalten bleiben, um all die Hetzer und Demagogen in Ihrer Partei endlich hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Die ersten Strafverfahren laufen ja bereits… Zumindest dieses eine Mal haben wir aus unserer Geschichte gelernt.

Herzliche Grüße

Stephan Anpalagan Aktuell Meinung

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  1. Roman sagt:

    Sehr sauber recherchierte und präzise Kritik an der AFD und dem historischen und heutigen Deutschland.

  2. Susanne Klabunde sagt:

    Vielen herzlichen Dank für Ihre Worte! Jedem anständigen Menschen sprechen sie aus der Seele!

  3. Vitali sagt:

    Allein schon wenn ich lese. „jüdische Gemeinde“ Sieht so eine erfolgreiche Integration aus, wenn man von jüdischer oder türkischer Gemeinschaft, Schulen, Kita usw. redet. Darf ein Deutscher dieser Gemeinschaft nicht beitreten? Wer ist hier bitte rassistisch? Wie oft heiraten Juden andere außerhalb ihre Gemeinschaft bzw. Parallelwelt?

    Bitte mich nicht falsch verstehen. Ich habe nichts gegen die Menschen, sondern gegen diese Isolierung wie „jüdischen Gemeinschaft, Kirchen, Schulen, Kita usw.“ Warum sollten ein Teil der Bevölkerung so ein Privileg haben? Warum gibt es bitte nicht Schulen und Kitas oder eine Tafel NUR für Deutsche? Das wäre dann wieder rassistisch? Warum? Können also nur Deutschen Rassisten sein?

    Juden haben schon immer ein Problem mit Assimilation gehabt. Selbst nach Jahrhunderten Verfolgung WELT weit haben sie nichts dazu gelernt.

  4. -Ute Plass sagt:

    Danke, Stephan Anpalagan, für diesen Beitrag, der die eigentlichen Motive einer AfD im „Kampf gegen Antisemitismus“ offenlegt.

    Allerdings ist es nicht alleine die AfD, die vom
    „christlich-jüdischen Abendland“ schwafelt, welches es nie gegeben hat.

  5. -Ute Plass sagt:

    @Vitali – „Juden haben schon immer ein Problem mit Assimilation gehabt. Selbst nach Jahrhunderten Verfolgung WELT weit haben sie nichts dazu gelernt.“
    Das klingt ja fast so, als wäre für Sie Auschwitz eine Art von Besserungsanstalt
    gewesen. Was genau hätten Juden ihrer Meinung nach zu lernen?

  6. Josef Clemens Artzdorf sagt:

    Bezüglich der AfD mit allem d’ac­cord!
    Die in der Tat durchaus missverständlich aufzufassende Bezeichnung „christlich-jüdisches Abendland“ stößt auch im Judentum selbst gelegentlich auf Ablehnung, mindestens aber auf Skepsis. Allerdings, und dieses sollte der Vollständigkeit halber auch vermerkt werden, wenden sich deutsche Historiker jüdischen Glaubens, so Michael Wolffsohn und Julius Schöps, dagegen den Begriff zu verteufeln. Er ist entstanden aus ganz anderem Anlass und in bester Absicht. Und er stammt keineswegs von der AfD. Wenn diese ihn inzwischen missbräuchlich benutzt, vermögen das die gutwilligen Schöpfer dieses Begriffes leider nicht zu verhindern. Er stammt ursprünglich aus engagierten kath. und evang. Kirchenkreisen, und zwar aus dem Umfeld der „Woche der Brüderlichkeit“, die sich gerade und ausdrücklich im Bewusstsein deutscher Schuld hohe Verdienste um Versöhnung und Verständigung zwischen christlichen und jüdischen Deutschen erworben hat. Und die Beteiligten aus den jüdischen Gemeinden haben diese Bezeichnung auch stets im positiven Sinne verstanden. Die beiden großen Kirchen in ihrer Gesamtheit, die Unionsparteien, später auch Teile von SPD und Grünen haben diesen Begriff übernommen, nicht um Geschichtsklitterung zu betreiben, sondern um dem Judentum den ihm zukommenden hohen Anteil an der kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Kultur Europas endlich zur Gänze zukommen zu lassen. Niemandes Absicht war es, dadurch die schreckliche Geschichte des Zusammenlebens, und das vielfach erbärmliche Verhalten von Christen den Juden gegenüber in irgendeiner Weise zu verniedlichen oder vergessen zu machen. In diesem Sinne benutze ich selbst auch diesen Begriff aus tiefer Überzeugung, ohne auch nur im geringsten die Fallstricke, die AfD Ideologen daraus zu legen versuchen, billigen zu wollen!

  7. Otto W sagt:

    Deutschland ist erst mal atheistisch. Dieses geplapper über „christlich-jüdische“ Kultur ist hochgradig lächerlich wenn man sich die Statistiken anschaut. Religiöse Eiferer versuchen sich mit hilfe von diesen Kulturzuordnungen wichtiger zu machen als sie sind.

  8. Tobi sagt:

    @ Vitali: Ihnen ist aber schon bekannt, dass das Judentum eine Religion ist? Deshalb existiert eine „jüdische Gemeinde“ mit der gleichen Berechtigung wie eine katholische, evangelische, orthodoxe, muslimische, usw Gemeinde.
    Ebenso verhält es sich übrigens mit katholischen Schule, evangelischen Kindergärten, buddhistischen Gemeinschaften…

    Die Überlegung, dass es tatsächlich deutsche Juden geben könnte, geht dann noch einen Schritt weiter. Aber ich denke, diese Denkleistung kann geschafft werden, auch von Ihnen.