Polizei, Handschelle, Kriminalität, Gewahrsam
Polizei bei einer Festnahme © Keith Allison @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Prozessauftakt nach 17 Jahren

Sprengstoff für Wehrhahn-Attentat stammte aus Bundeswehr-Handgranaten

Als am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn im Juli 2000 eine Bombe explodierte, wurden zehn Menschen verletzt, eine Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Erst 17 Jahre später wurde ein Verdächtiger festgenommen. Seit Donnerstag steht er vor Gericht.

Freitag, 26.01.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 31.01.2018, 17:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Im Verfahren um den Anschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn vor mehr als 17 Jahren hat der Angeklagte die Tatvorwürfe zurückgewiesen. Beim Prozessauftakt am Landgericht Düsseldorf am Donnerstag beteuerte der 51-Jährige seine Unschuld: „Ich habe mit dem Anschlag nichts zu tun.“ Er wisse auch nicht, wer den Anschlag begangen haben könnte.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord in zwölf Fällen und die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion aus rechtsextremen Motiven vor. Am 27. Juli 2000 war eine mit TNT gefüllte Rohrbombe am S-Bahnhof Wehrhahn explodiert. Dabei wurden zehn Menschen, überwiegend jüdische Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, die Schüler einer nahe gelegenen Sprachschule waren, verletzt. Ein ungeborenes Baby wurde im Mutterleib getötet.

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Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte die Tat aus rechtsextremen Motiven beging. Er habe die Zuwanderer „aus seinem Revier vertreiben“ wollen, wie Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück beim Verlesen der Anklageschrift sagte. Der ehemalige Bundeswehrsoldat war schon kurz nach dem Anschlag ins Visier der Fahnder geraten. Zum Tatzeitpunkt hatte der Mann der Neonazi-Szene angehört und im Stadtteil Flingern einen Militaria-Laden betrieben.

Angeklagter bestreitet Vorwürfe

Die Polizei nahm ihn vorübergehend fest, verhörte ihn stundenlang und überwachte ihn später auch. Doch der Verdacht ließ sich damals nicht erhärten, Beweise blieben aus. Erst Anfang 2017 wurde der Mann festgenommen, nachdem er zuvor während des Absitzens einer Gefängnisstrafe mit der Tat geprahlt haben soll. Ein Mithäftling informierte die Polizei, woraufhin der Fall 2014 neu aufgerollt wurde.

Der Angeklagte, der zum Zeitpunkt der Tat auch für einen Sicherheitsdienst gearbeitet hat, sieht sich dagegen falschen Vorwürfen ausgesetzt. Nach seinen Angaben war er zur Tatzeit nicht in der Nähe des Tatortes und habe erst im Fernsehen gehört, was geschehen sei. Entgegen der Anklageschrift habe er bei der Bundeswehr keine Sprengstoffausbildung absolviert und sich auch privat nie mit Sprengstoff befasst, sagte er. Außerdem sei er kein Waffennarr. Seine Verteidiger betonten am Rande des Verfahrens, ihr Mandant habe schlicht nicht die Voraussetzungen, um eine solche Tat zu begehen.

Sprengstoff stammt aus der Bundeswehr

Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage unterdessen auf Indizien, Gutachten von Sachverständigen und Zeugenaussagen. Neben der mutmaßlichen Prahlerei mit der Tat im Gefängnis spielt unter anderem auch ein Sicherungssplint einer Handgranate eine Rolle, der in der Wohnung des Angeklagten gefunden worden war.

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ kurz vor dem Prozessauftakt berichtet, stammte der Sprengstoff der Bombe, die im Juli 2000 detonierte, aus Handgranaten der Bundeswehr. Dies gehe aus den Ermittlungen gegen den Angeklagten hervor. Zudem fand sich nach Informationen der Zeitung bei der Auswertung seines Computers eine brisante Fotostrecke. Die Aufnahmen zeigen nicht nur den Tatort, sondern auch die gegenüberliegende Bushaltestelle mit der besten Sicht auf das Geländer, an dem der Sprengsatz platziert worden war. Auch hatte der Angeklagte den Stromkasten fotografiert, von dem der Attentäter kurz nach 15 Uhr an jenem Julitag mittels Fernzündung die Bombe detonieren ließ.

Jüdische Gemeinde hofft auf Verurteilung

Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf begrüßte den Beginn des Verfahrens. „Wir blicken mit großer Erleichterung auf den Prozessbeginn“, sagte der Vorstand der Jüdischen Gemeinde, Michael Szentei-Heise, der „Rheinischen Post“ Natürlich sei die Panne bei den Ermittlungen peinlich, und es sei ärgerlich, dass es so lange gedauert habe, bis der vermeintliche Täter gefasst wurde. Die Gemeinde erhoffe sich eine Verurteilung des Angeklagten, „damit die Betroffenen von damals mit der Tat abschließen können“. Zugleich verwies Szentei-Heise darauf, dass es seit zwei Jahren eine „massive Zunahme judenfeindlicher Angriffe“ in Düsseldorf gebe.

Für das Verfahren sind bis Juli zunächst 37 Verhandlungstage angesetzt. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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