Studie

Medizinische Versorgung als Instrument zur Steuerung von Migration

Eine aktuelle Studie wirft ein Schlaglicht auf schwerwiegende Defizite der europäischen Gesundheitssysteme. Ärzte der Welt ruft die europäischen Machthaber dazu auf, medizinische Versorgung nicht zur Steuerung von Migration zu missbrauchen.

Die europäischen Regierungen lassen die Schwächsten der Gesellschaft im Stich, wenn es um dringend notwendige medizinische Versorgung geht. Das zeigt eine von Ärzte der Welt und Partnerorganisationen in 14 Ländern durchgeführte Studie.

Laut dem Bericht nehmen nicht nur in Deutschland die Hürden zu, die Menschen daran hindern zum Arzt zu gehen – zum Beispiel das Anfang des Jahres in Kraft getretene sogenannte Leistungsausschlussgesetz, das bestimmte Gruppen von EU-Bürgern fast vollständig vom Zugang zum regulären Gesundheitssystem ausschließt. Auch in Frankreich, Großbritannien, Irland und anderen Ländern wurden Rückschritte gemacht.

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Oft nur Notfallversorgung

Der Bericht basiert auf Daten von 43.286 Patienten, die 2016 eine der von Ärzte der Welt und seinen Partnern betriebenen medizinischen Anlaufstellen aufgesucht haben. Neben Staatsbürgern der jeweiligen Länder (12,1 Prozent) waren es vor allem Migranten aus anderen EU-Staaten (7,5 Prozent) oder von außerhalb der EU (79, 1 Prozent). Viele sind vor Krieg, Gewalt oder Verfolgung aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan geflohen. Fast ein Viertel von ihnen waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

89 Prozent der Befragten lebten unterhalb der Armutsgrenze des jeweiligen Landes. Viele wohnten in schlechten Verhältnissen oder waren obdachlos. 55,2 Prozent von ihnen waren nicht krankenversichert, zusätzliche 18,3 Prozent hatten nur Anspruch auf medizinische Notfallversorgung.

Gravierende Versorgungslücken

Dennoch benötigten viele der Patienten dringend medizinische Hilfe. Viele litten unter akuten und chronischen Krankheiten. Über die Hälfte der schwangeren Frauen hatte bisher keine Vorsorgeuntersuchung erhalten. Kinder waren oft nicht ausreichend geimpft und zahlreiche Patienten hatten zum Teil schwere psychische Beschwerden.

In den Bericht eingeflossen sind auch Daten von Patienten der Ärzte der Welt-Praxen in München, Berlin, Stuttgart und Hamburg. Darunter waren deutsche Staatsbürger mit Krankenversicherungsschulden, denen nur eine Notfallversorgung zusteht, EU-Bürger, die nach einmonatigen Überbrückungsleistungen überhaupt keinen weiteren Anspruch auf medizinische Versorgung haben, und Menschen ohne Papiere, für die ein Antrag auf Kostenerstattung die Abschiebung bedeuten würde.

Gesundheitsversorgung kein Instrument zur Migrationssteuerung

„Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht und darf nicht als politisches Instrument zur Steuerung von Migration missbraucht werden“, kritisiert François De Keersmaeker, Direktor der deutschen Sektion von Ärzte der Welt. „Bestimmte Gruppen systematisch davon auszuschließen, ist nicht nur ein Risiko für die öffentliche Gesundheit, sondern verursacht in der Regel auch deutlich höhere Kosten, als von vornherein flächendeckend ausreichende medizinische Behandlung zu ermöglichen.“

Angesichts der besorgniserregenden Ergebnisse der Studie, fordert Ärzte der Welt die europäischen Regierungen nachdrücklich dazu auf, gesetzliche und andere Barrieren abzuschaffen, die den Zugang zu den staatlichen Gesundheitssystemen versperren oder erschweren. (ots/mig)