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Szene aus dem Film "Human Flow" von Ai Weiwei © Amazon Studios

Ex-Obama-Beraterin Richard

„Und da erkennt man, dass das Menschen sind…“

Der chinesische Künstler Ai Weiwei wirbt mit seinem Dokumentarfilm "Human Flow" für Empathie mit den Flüchtlingen. Jetzt ist der Film in deutschen Kinos. Anne C. Richard, Weiweis Beraterin und ehemalige Flüchtlingsberaterin von Barack Obama im Weißen Haus, erklärt im Interview, wie der Film zustandegekommen ist, warum die Bilder - trotz Flucht und Elend - wunderschön sind und über Donald Trumps Flüchtlingspolitik.

Von Donnerstag, 16.11.2017, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 19.11.2017, 13:00 Uhr Lesedauer: 10 Minuten  |  

Petra Sorge: Frau Richard, wie haben Sie Ai Weiwei kennengelernt?

Anne C. Richard: Wir haben eine gemeinsame Bekannte in Genf. Als ich im vergangenen Jahr nach Berlin flog, sagte sie, du musst unbedingt Ai Weiwei treffen und sein Studio sehen! Ich dachte, das könnte interessant werden. Nach meinem Termin im Innenministerium fragte ich also meinen Sicherheitsbeamten: Hab ich jetzt frei? Er sagte, ja, „wo wollen Sie denn hin“? Ich sagte, in den Prenzlauer Berg. „Das ist ein echt hipper Kiez, wer sind denn diese Leute, die Sie besuchen wollen?“ Ich sagte, Künstler. Als wir dort ankamen, standen wir vor einer schwarzen Tür. Meine Begleiter fragten mich: „Ist das wirklich der richtige Ort?“

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Die waren wohl nervös.

Sie wollten mich nicht alleine in diesem Innenhof lassen, bis jemand kam und mich hereinließ. Schließlich begrüßten mich Ai Weiwei und seine Assistentin und führten mich durch diese alte Brauerei mit Fliesen an den Wänden. Sie hatten gerade ihre erste Reise nach Lesbos hinter sich, und waren sehr an Flüchtlingen interessiert.

Wollten sie von Ihnen Ratschläge haben?

Genau. Wir haben über die Flüchtlingslager Dadaab in Kenia und Zaatari in Jordanien gesprochen. Ich habe ihnen aber auch erklärt, dass die meisten Flüchtlinge gar nicht in Lagern leben, sondern in Städten, wo man sie nur schwer findet. Ich habe ihnen auch empfohlen, nach Bangladesch zu gehen, denn dort leben die nicht-registrierten Rohingya unter wirklich harten Umständen. Also haben sie das gefilmt.

Und wie bewerten Sie das Ergebnis auf der Leinwand?

Ich habe den Film jetzt dreimal gesehen. Bei der Preview in New York war ich sehr beeindruckt. Ich war an all diesen Orten und hatte trotzdem das Gefühl, auf einiges einen neuen Blick zu bekommen. Dann sah ich den Film auf der Premiere in Venedig – eine wirklich seltsame Erfahrung. Ich fuhr im Motorboot zu meinem Hotel und all diese Paparazzi drängelten sich und wollten sehen, wer da kam. Sie verloren das Interesse, weil nur ich es war. Bei der Vorstellung bekam „Human Flow“ dann stehende Ovationen. Das Publikum hat den Film sehr ernst genommen – sie waren fast schon ehrfürchtig. Ich fand, dass darin auch Humor steckt, aber niemand hat gelacht. Ai Weiwei hat ja auch eine schelmische Seite.

Sie sagten zuvor, dass einige der Bilder wunderschön sind. Wie kann das Elend von Menschen ästhetisch sein?

Eine der Eröffnungsszenen ist in den griechischen Inseln gedreht, einem Top-Tourismusziel weltweit. Man sieht herrliches Wasser, und plötzlich kommt dieses Boot in den Blick, mit kleinen orangenen Pünktchen. Es wird herangezoomt. Und da erkennt man, dass das Menschen sind, die diese orangenen Westen tragen, die dir bei einem Unfall das Leben retten – oder nicht. Viele Szenen in dem Film spielen draußen. Tatsächlich sind diese Menschen den Elementen vollkommen ausgesetzt.

Und bei der dritten Vorstellung…

…die war in Washington, D.C., und wurde von Mitgliedern des Kongresses veranstaltet.

Wie waren die Reaktionen?

Eigentlich waren nur zwei Abgeordnete da, aber das war gut – ein Republikaner und ein Demokrat unter den Organisatoren. Ich muss sagen, das erste Mal, als ich Ai Weiwei traf, wusste ich nicht viel über seine Kunst. Ich glaube, er war schockiert, denn Leute, die normalerweise sein Studio besuchen, wissen wahrscheinlich deutlich mehr. Zum Beispiel hat meine Tante an der High School Kunst unterrichtet – sie war so aufgeregt, dass ich mit Ai Weiwei herumhing. Als er nach New York kam, erlaubte er mir, meine Tante zu seiner Show mitzunehmen. Ai Weiwei neckte mich auch und sagte zu meiner Tante, sie weiß nicht viel über Kunst, stimmt‘s? Aber wie soll ich denn auch alles über moderne Kunst wissen? Ich war die vergangenen Jahre sehr beschäftigt (lacht).

Sie haben sich in der Zeit um Flüchtlinge gekümmert – und es ist manchmal schwierig, Leute von diesem Thema zu überzeugen. Kann ein Film, kann Kunst dabei helfen, Politik zu machen?

Absolut. Ich bin überzeugt, dass Fotografie sehr mächtig ist. Ob Videos, ein echter Dokumentarfilm oder Bilder – viel mehr Leute würden auf ein Foto klicken, als auf eine politische Erklärung, an der ich das ganze Wochenende gefeilt habe.

Wie haben Sie das selbst eingesetzt?

Als Hillary Clinton mich im April 2012 ins State Department holte, war meine erste Aktion zu sagen, okay, lasst uns einen Twitter-Feed starten. Einige Beamten, die schon jahrelang gedient hatten, fassten sich schockiert ans Herz: Was? Ein Twitter-Feed? Ich sagte, wenn das das ist, was junge Leute lesen, dann ist das die Art, wie wir mit ihnen kommunizieren werden.

Haben Sie in den sozialen Medien also auch mit Kunst gearbeitet?

Ja, vor allem mit Fotografie. In der Welt der Hilfsorganisationen wurde Kunst schon seit langem eingesetzt, um Kindern zu helfen, ihre Gefühle auszudrücken. Das ist sehr wichtig. Wo immer ich Flüchtlinge getroffen habe, wurden Kinder zum Malen und Zeichnen ermutigt – auch als Mittel des Heilens.

Welches Bild ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Oh, Kinder malen Flugzeuge, die Bomben fallen lassen, Feuer, und mittendrin Menschen. In Liberia hat sich ein Junge etwas aus Draht gebastelt, das wie ein Geländewagen aussah, und er schob es mit einem Besenstiel umher. Geländewagen sind die einzigen Fahrzeuge, die er sah, weil die Hilfsarbeiter darin fuhren. Alle Kinder folgten ihm, weil er dieses fantastische Spielzeug hatte. Ich realisierte, wie wenig man zum Überleben braucht, wie belastbar Flüchtlinge sind, und wie gesegnet und glücklich wir sein können. Aktuell Feuilleton Interview

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