Noch nicht am Ziel

Charlotte Knobloch wird 85 Jahre alt

„Widerstände spornen mich an“, sagt Charlotte Knobloch. Seit mehr als 35 Jahren kämpft die Holocaust-Überlebende dafür, dass jüdisches Leben in Deutschland zur Normalität wird. Am 29. Oktober wird sie 85 Jahre – und ist noch längst nicht am Ziel. Von Brigitte Bitto

Sie gehört zu den bekanntesten Vertretern der Juden in Deutschland: Charlotte Knobloch mischt seit mehr als 35 Jahren mit in gesellschaftlichen Debatten rund um Verständigung und friedliches Miteinander. Dass sie dabei nicht immer offene Türen einläuft, ließ sie nie aufgeben: „Widerstände spornen mich an“, sagt die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Am 29. Oktober wird sie 85 Jahre alt.

Das „Münchner Kindl“, als das sie sich selbst bezeichnet, wünscht sich eine „bessere, gerechtere und friedlichere Welt“. Von 2006 bis 2010 kämpfte sie dafür an der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland, als die erste Frau in dieser Position. Von 2005 bis 2013 war sie Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses. Seit 1985 ist Knobloch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, 2016 wurde sie wiedergewählt: „Es stehen große Herausforderungen an“, erklärt sie.

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Synagogen „Zeichen der Hoffnung“

Einer ihrer größten Erfolge aus ihrer Sicht: Der Bau der Synagoge und des Jüdischen Gemeindezentrums am Münchner Sankt-Jakobs-Platz. Mehr als 20 Jahre hatte Knobloch dafür gekämpft. Manchmal wollte sie „alles hinschmeißen“, sagt sie. Jetzt kann sie ihr Lebenswerk täglich in seiner vollen Pracht bewundern: Der Blick auf die nun bald elf Jahre alte Ohel-Jakob-Synagoge im Herzen der Stadt gehört neben ihrer Familie zu den Dingen, über die sie sich im Rückblick am meisten freut, sagt die Mutter und Großmutter.

Überhaupt seien die neuen Synagogen, die in anderen Städten nach Münchner Vorbild entstanden seien, „Zeichen der Hoffnung“ und Ausdruck einer Normalisierung des jüdischen Lebens in Deutschland: „Damit haben wir die Hinterhofatmosphäre verlassen.“

Knobloch überlebt die Schoah

Geboren 1932 in einer großbürgerlichen Münchner Familie lebt Charlotte Neuland nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Großmutter, die Mutterersatz wird. 1942 muss das kleine Mädchen erleben, wie diese ins KZ Theresienstadt deportiert wird, wo sie später getötet wird.

Knobloch überlebt die Schoah: Versteckt bei einer katholischen Bauernfamilie in Franken. Die Tochter der Familie, Kreszentia Hummel, gab Charlotte Knobloch als ihre Tochter aus. Posthum ist sie als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt worden. „Ich verneige mich vor ihr, nicht nur heute, sondern an jedem Tag meines Lebens“, sagte Knobloch bei der Feierstunde.

Deutschland Anfangs eine enorme Belastung

Als der Krieg vorbei ist, holt ihr Vater sie zurück ins zertrümmerte München. 1951 heiratet sie den Krakauer Juden und KZ-Überlebenden Samuel Knobloch und bekommt zwei Töchter und einen Sohn.

In Deutschland bleiben will Knobloch nach 1945 nicht. „Anfangs war es eine enorme Belastung, weiter mit den Menschen zu leben, die uns gedemütigt und beleidigt haben“, beschreibt sie. Doch wie so oft in ihrem Leben lässt sie sich nicht unterkriegen, trotzt den Widerständen – und bleibt. Heute ist sie darüber froh: „Ich bin glücklich, dass ich das jüdische Leben in Deutschland mitgestalten konnte.“

AfD im Bundestag „verheerender Einschnitt“

Wortmächtig äußert sie sich, wenn es um Antisemitismus und Rassismus, die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die Solidarität mit Israel oder das Holocaust-Gedenken geht. Den Einzug der AfD in den Bundestag sieht sie als „verheerenden Einschnitt“ in der Geschichte der Bundesrepublik, als „wahrgewordenen Alptraum“: „Ich sorge mich um unsere Demokratie und unser Land.“

Knobloch hat sich nie gescheut, sich mit ihren Äußerungen auch gegen eine breite Öffentlichkeit zu stellen, sprach sich gegen die kommentierte Neuausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ aus und gegen die Verlegung von „Stolpersteinen“ zum Gedenken an NS-Opfer: „Ich werde nicht zulassen, dass Namen von Menschen wieder mit Füßen getreten, bespuckt oder beschmutzt werden – oder dass Hunde ihre Exkremente dort hinterlassen“, argumentierte sie.

Erkenntnisprozess in Gang setzen

Umso mehr liegt ihr am Herzen, neue Wege des Gedenkens zu finden: In Deutschland sei es zu oft um erhobene Zeigefinger, Schuld und Scham gegangen. Statt einzuschüchtern müsse ein Erkenntnisprozess in Gang gesetzt werden: „Ich wünsche mir eine kluge Kultur des Erinnerns, die die Menschen zu aufgeklärten Patrioten macht. Staatsbürger, die das friedliche Miteinander als eigene Aufgabe begreifen.“

Was sie nicht mag, ist, als „Mitbürgerin“ bezeichnet zu werden. Oder wenn von „jüdischen Schriftstellern“ oder „jüdischen Sportlern“ gesprochen werde, während niemand auf die Idee käme, von „katholischen“ oder „protestantischen Sportlern“ zu sprechen. „Die Normalität ist für uns noch nicht erreicht“, sagt Knobloch. Sie strebe sie mit aller Kraft an – ob sie sie jedoch noch erleben werde, könne sie nicht sagen. (epd/mig)