Anders unter Gleichen

Der Bundestag startet in die neue Wahlperiode

Mit der konstituierenden Sitzung des Bundestags beginnt die Parlamentsarbeit, auch wenn noch keine Regierung gebildet ist. Am Dienstag kamen die Abgeordneten – 709 sind es insgesamt – zusammen. 289 davon sind neu im Bundestag, darunter die der AfD. Von Corinna Buschow

Spannung liegt am Dienstagmorgen über Berlin-Mitte. Rund um den Bundestag herum stehen Polizisten, die Fahrradständer sind abgesperrt. Eine ähnliche Szenerie zeigt der Gendarmenmarkt, wo am frühen Morgen alte und neue Bundestagsabgeordnete zu einem Gottesdienst vor der konstituierenden Sitzung des Parlaments zusammenkommen. An den Einlässen zum Reichstagsgebäude bilden sich Schlangen. Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag so groß wie noch nie. Das Interesse von Gästen und Journalisten sorgt ebenso für Stau an den gläsernen Schiebetüren.

Besonderes Interesse gilt dabei der AfD, die den Einzug ins Parlament schaffte. Wer früh genug da ist, versucht sich einen Tribünenplatz mit Sicht auf die Fraktion zu sichern, die vom Rednerpult aus gesehen rechtsaußen platziert wurde.

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Mit ihren scharfen Tönen und Angriffen gegen die schwarz-rote Regierung gibt es Sorge, die AfD könnte das Hohe Haus mit unangemessenem Ton für eine Inszenierung nutzen. Mit ihren Positionen zur Flüchtlingspolitik und zum Islam sowie der Nähe einzelner AfD-Vertreter zur rechtsextremen Szene fürchten ebenso viele, rassistische Ressentiments könnten im Parlament salonfähig werden. Am Wochenende gingen mehr als 10.000 Menschen in Berlin auf die Straße, um einen Bundestag ohne Hass und Rassismus zu fordern.

Eklat blieb aus

Gemessen an den Befürchtungen blieb der große Eklat am Dienstag im Bundestag aus. Zwar gelang es der der AfD über den Trick eines Änderungsantrags zur Sitzungsleitung, den Aufschlag für sich zu verbuchen, da das Anliegen als erstes behandelt werden musste. Es blieb aber erfolglos. Die AfD wollte erreichen, dass die noch in der vergangenen Wahlperiode beschlossene Änderung für den Alterspräsidenten nicht greift. Dies sorgte dafür, dass nicht der älteste – ein AfD-Abgeordneter -, sondern der dienstälteste – in diesem Fall Hermann Otto Solms (FDP) – die konstituierende Sitzung eröffnete.

Solms versuchte, der AfD in seiner Begrüßung die Hand zu reichen. Die Entscheidung der Wähler sei zu akzeptieren, sagte er. Er warnte vor Ausgrenzung und Stigmatisierung und redete allen ins Gewissen: „Wir alle haben das gleiche Mandat, gleiche Rechte, aber auch gleiche Verpflichtungen.“

AfD-Kandidat erhält Stimmen von anderen Fraktionen

Die AfD unter Gleichen und doch irgendwie anders, könnte man ihr Debüt im Bundestag zusammenfassen. Nach der Wahl Wolfgang Schäubles (CDU) zum Bundestagspräsidenten reihten sich auch die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland in die Schlange der Gratulanten ein, hatten aber nicht wie andere Blumen parat.

Zudem ließ das Parlament Albrecht Glaser (AfD) bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten durchfallen. In drei Wahlgängen verfehlte er die erforderliche Mehrheit deutlich. Dass Glaser Stimmen von Abgeordneten anderer Fraktionen erhielt, bezeichnete der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg als „Skandal“. Auch Stimmenenthaltungen seien politisch nicht nachvollziehbar. Thomas Oppermann (SPD), Hans-Peter Friedrich (CSU), Wolfgang Kubicki (FDP), Claudia Roth (Grüne) und Petra Pau (Linke) wurden gleich im ersten Anlauf ins Präsidium gewählt. Der Platz der AfD bleibt dort nun zunächst leer.

Schäuble gelassen

Schäuble versuchte in seiner Rede den neuen Kräfteverhältnissen im Bundestag mit Gelassenheit entgegenzutreten. Mit Verweis auf seine 45-jährige Bundestagserfahrung sagte er, er wisse aus eigener Erfahrung, dass Erregung und Krisengefühle so neu nicht seien. Auch er mahnte aber einen respektvollen Umgang an: „Prügeln sollten wir uns hier nicht.“

Schäuble warnte angesichts gesellschaftlichen Wandels und „Teilöffentlichkeiten“ im Internet vor einer Fragmentierung der politischen Debatte, in der jeder nur seine eigenen Probleme wahrzunehmen scheine. Das Parlament könne ein Ort der Bündelung und Fokussierung sein, sagte Schäuble: „Niemand vertritt alleine das Volk.“

Der Ton könnte rauer werden

Dass der Ton im Parlament künftig deutlich rauer werden könnte, dafür will erklärtermaßen auch die SPD sorgen. In seiner Rede für einen Antrag, der dafür sorgen soll, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) regelmäßigen Befragungen im Parlament stellen muss, griff Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider (SPD) den alten Koalitionspartner Union scharf an, sprach von „Vernebelungsstrategie“ sowie einer Verweigerung des Streits, die die politischen Ränder gestärkt habe.

Dass die Sozialdemokraten bei der Abstimmung über die Anträge zur Geschäftsordnung gemeinsam mit der AfD stimmten, sorgte für einen Moment des Überraschens und Murrens im Parlament. Auch an diese Gleichheit muss man sich im Bundestag erst noch gewöhnen. (epd/mig)