Umwelt- und Sozialverbände

Exportweltmeister Deutschland trägt globale Verantwortung gegen Armut

Umwelt- und Sozialverbände fordern von der künftigen Bundesregierung mehr Engagement im Kampf gegen Armut, Klimawandel und soziale Ungleichheit. Der scheidenden großen Koalition stellen sie ein schlechtes Zeugnis aus.

Ein Bündnis aus elf Umwelt- und Sozialverbänden geht mit der scheidenden Bundesregierung beim Thema Nachhaltigkeit hart ins Gericht. Zu wenig habe sich die große Koalition an den Zielen der internationalen Agenda 2030 orientiert, vor allem dann, wenn die Interessen von Industrie und Wirtschaft berührt gewesen seien, kritisierten die Verbände am Dienstag in Berlin. Von der künftigen Bundesregierung verlangten sie, sich bei den den international verbindlichen Zielen stärker aufzustellen und „Politik für die Gesellschaft“ zu machen.

Das Bündnis, dem unter anderem die Deutsche Umwelthilfe, der DGB, der Deutsche Naturschutzring sowie Venro als Dachverband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe angehören, untersuchte die Politik der scheidenden Bundesregierung in den Themenfeldern der 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Agenda 2030. In der Publikation „Großbaustelle Nachhaltigkeit“ betrachteten sie unter anderem die Auswirkungen von Billiglebensmitteln in Deutschland, die Konsequenzen aus einem möglichen Kohle-Ausstieg, den Zusammenhang von Tourismus und Wasserknappheit und den Zusammenhang von Migration und Flucht vor dem Hintergrund internationaler Verflechtungen.

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Reichtum-Schere zwischen Norden und Süden immer größer

Hierbei habe insbesondere die Globalisierung zu einer Vertiefung von Ungleichheiten zwischen reichen Ländern des Nordens und armen Ländern des Südens geführt. Mithilfe von Handelsüberschüssen, ausländischen Direktinvestitionen und Finanzspekulationen sei in den letzten 30 Jahren das Nationaleinkommen der reichen Länder wie kaum zuvor vermehrt worden. „In den meisten Ländern des globalen Südens ist das versprochene Wirtschaftswunder der Liberalisierung dagegen weitgehend ausgeblieben“, heißt es in dem Bericht.

Das Bündnis nimmt in diesem Zusammenhang vor allem Deutschland in die Pflicht. Mit einem Leistungsbilanzüberschuss von ca. 268 Milliarden Euro im Jahr 2016 sei Deutschland „Exportweltmeister“. Der größte Teil dieses Überschusses (ca. 255 Mrd. Euro) komme aus dem Warenhandel. Deutschland sei auch als Kreditgeber Weltspitze. Überschüsse in einem Land bedeuteten Defizite und Verschuldung anderenorts. „Daher trägt Deutschland eine strukturelle globale Verantwortung“, so die Verfasser des Berichts.

Zu enge Verbindungen zwischen Industrie und Politik

Ingrid Lebherz, Vorstandsmitglied des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro), verlangte, international müsse Deutschland seine Politik stärker an den Zielen der Agenda 2030 ausrichten und ärmere Länder unterstützen, eigene Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) habe zwar „gute Ansätze“ gezeigt. Allerdings fehlten seinem Ministerium die Gestaltungsmöglichkeiten.

Barbara Metz, stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe, macht für eine schleppende Entwicklung beim Thema Nachhaltigkeit zu enge Verbindungen zwischen Industrie und Politik verantwortlich, bei denen die Interessen der Bürger aus dem Fokus gerieten. „Solche Prozesse unterlaufen unser politisches System“, kritisierte sie und nannte als Beispiel den Diesel-Skandal, der für die Hersteller in Deutschland bislang ohne Konsequenzen geblieben sei.

Armut auch in Deutschland

Kai Lindemann aus dem Grundsatzreferat des DGB warnte, auch in Deutschland gebe es Armut und Ungleichheit, die den sozialen und ökonomischen Fortschritt behinderte. Auch er sieht die Handlungsfähigkeit des Staates in vielen Bereichen „nicht mehr gegeben.“ Die nächste Bundesregierung müsse wieder „Politik machen für die Gesellschaft“, forderte er.

Einen „Konflikte-TÜV“ forderte Christoph Bongard, Sprecher der Plattform Zivile Konfliktberatung, um die Auswirkungen deutscher Außen- und Entwicklungspolitik auf Krisenregionen regelmäßig zu überprüfen. Julia Duchrow vom Forum Menschenrechte trat für eine gesetzliche Regelung ein, die international agierende Unternehmen verpflichtet, ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in den Produktionsketten einzuhalten.

UN-Agenda 2030 für eine weltweite nachhaltige Entwicklung

Die Verbände versicherten, die künftige Regierung bei der Verfolgung der Nachhaltigkeitsziele konstruktiv unterstützen zu wollen – und im Zweifelsfall die Anhänger zu „mobilisieren“, wie DGB-Funktionär Lindemann sagte.

2015 verabschiedete die UN-Vollversammlung die Agenda 2030 für eine weltweite nachhaltige Entwicklung. Im Kern formuliert sie fünf Themenbereiche und 17 Ziele, zu denen die Bekämpfung von Hunger und Armut und des Klimawandels sowie eine gerechte Gestaltung der Globalisierung gehören. Die Bundesregierung verabschiedete im Januar 2017 ihre neue nationale Nachhaltigkeitsstrategie, beratend steht ihr der Rat für Nachhaltige Entwicklung seit 2001 zur Seite. (epd/mig)