Buchtipp zum Wochenende

Willkommen in Happyland!

Rassismus wirkt in alle Bereiche der deutschen Gesellschaft. Dennoch möchte keiner rassistisch sein, und viele Menschen scheuen sich vor dem Begriff. Das neue Buch von Tupoka Ogette „exit Racism“ begleitet die Leser bei ihrer Auseinandersetzung mit Rassismus – ohne erhobenen Zeigefinger. MiGAZIN veröffentlicht exklusiv einen Auszug.

Ich nenne den Zustand, in dem weiße Menschen leben, bevor sie sich aktiv und bewusst mit Rassismus beschäftigen, ‘Happyland’. Den Begriff hat ein Manager eines großen Kommunikationsunternehmens am Ende eines meiner Workshops geprägt. Er sagte: „Frau Ogette, ich habe das Gefühl, vierzig Jahre meines Lebens in ‘Happyland’ gelebt zu haben. Und Sie haben mich jetzt da rausgeschubst. Es fühlt sich an, als wäre ein Tornado durch meinen Kopf geweht.“

Happyland ist eine Welt, in der Rassismus das Vergehen der Anderen ist. In Happyland wissen alle Bewohner*innen, dass Rassismus etwas Grundschlechtes ist. Etwas, das es zu verachten gilt. Rassismus ist in Happyland enorm moralisch aufgeladen. Rassismus ist NPD, Baseballschläger, Glatzen und inzwischen auch die AfD. Es ist Hoyerswerda, Hitler und der Ku-Klux-Klan. Der Begriff ist nicht ambivalent, denn rassistisch ist, wer schlecht ist. Darüber gibt es in Happyland einen Konsens. Gelernt hat die*der Happyländer*in dies seit seiner oder ihrer* Kindheit. Immer wieder wurde es ihm oder ihr* eingebläut. Im Selbstverständnis der Happyländer und -länderinnen* hat das Wort ‘Rassismus’ keinen Platz. Auch andere verwandte ‘Ismen’ sind dort wenig vertreten.

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Kein Wunder also, dass mit Rassismus in Zusammenhang stehende Begriffe regelmäßiger zum Unwort des Jahres gekürt werden – vom ersten ‘Unwort’ ‘ausländerfrei’ 1991 bis zum bislang letzen ‘Gutmensch’ im Jahr 2015. Hinzu kommt, dass man in Happyland davon ausgeht, dass Rassismus etwas mit Vorsatz zu tun hat. Damit man etwas rassistisch nennen kann, muss es mit Absicht gesagt oder getan worden sein. Des Rassismus bezichtigt werden kann also nur jemand, der oder die* vorsätzlich beschließt, dass die nun folgende Handlung oder das im Folgenden Gesagte rassistisch sein soll. Eine Wirkung, die der Verursachende derselben nicht beabsichtigt hat, liegt entsprechend nur im Auge des Betrachters und der Verursachende trägt keinerlei Verantwortung dafür.

Auch Absicht und Wirkung bilden in Happyland keine kausale Kette und haben – wenn überhaupt – nur sehr wenig miteinander zu tun. Die*der Happyländer*in entscheidet, wann und wie das Gesagte beim Empfangenden ankommt, wie es sich anfühlt oder anzufühlen hat. „Ich habe es nicht so gemeint, also musst Du nicht so beleidigt tun.“

Und da das R-Wort so schwer moralisch belastet ist und Rassismus = schlechter Mensch bedeutet, kommt es für die*den Happyländer*in auch einer schweren Beleidigung gleich, des Rassismus bezichtigt zu werden: einem Hochverrat an allem, woran die*der Happyländer*in glaubt und was sie*er gelernt hat.

Ein noch schwerer wiegendes Tabu ist in Deutschland der Antisemitismus, als Spezialform des Rassismus, dessen tödlicher Ausgang im kollektiven Gedächtnis präsent ist. Weil dies so ist, reagieren Happyländer*innen auch defensiv und wütend auf die kleinste Andeutung, dass irgendetwas in ihrem Verhalten oder ihren Äußerungen auf Rassismus hindeutet. Dementsprechend erhält auch jeder Mensch, der es wagt, nur eine Vermutung auszusprechen, dass es sich in einer Situation oder bei etwas Gesagtem um das leidliche R-Thema handelt, umgehend und ungeprüft die Höchststrafe. Denn einen Rassismusvorwurf zu erhalten, ist immer schlimmer und emotional schwerwiegender, als das, was die fragliche Situation oder der fragliche Spruch ausgelöst hat. Immer. Deshalb macht man sich in Happyland auch vielmehr Sorgen darüber, rassistisch genannt zu werden, als sich tatsächlich mit Rassismus und dessen Wirkungsweisen zu beschäftigen.

Fragt man die Bewohner*innen Happylands, wie es denn so um Rassismus steht in dieser Welt, wird er*sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass das kein großes Thema mehr ist. Mehr noch, Happyländer*innen sind überzeugte Nicht-Rassisten. Nichts läge ihnen ferner, als jemanden bewusst auszugrenzen. Jedenfalls ist das nicht Teil ihres Selbstverständnisses. Sie halten sich für offen und tolerant. Das liegt daran, dass nicht nur das Wort, sondern auch die Gedanken daran aus Happyland verbannt wurden.

Noch etwas ist für die Bewohner*innen von Happyland wichtig. Sie möchten als Individuen wahrgenommen werden. Die eigene Hautfarbe spielt für sie keine Rolle. Es ist eine Kategorie, die – ihrer Meinung nach – in ihrem Alltag und daher auch in ihrem Selbstbild keine Rolle spielt. Die Kategorie ‘Weißsein’ scheint ihnen daher erst einmal sehr suspekt, und sie halten sie für eine abgedrehte Erfindung von fanatischen linksradikalen Hippies, die zu viel Zeit damit verbringen, anderen den Mund zu verbieten und überhaupt immer an allem herumnörgeln müssen, obwohl diese Dinge doch eigentlich kein Problem sind. Klingt doch eigentlich nach einem ganz netten Land, oder? Also zumindest für die Bewohner*innen. Aber Du ahnst es sicher schon. Es gibt ein Problem.

Wenn Du weiß bist, dann bist Du mit hoher Wahrscheinlichkeit von Anfang an Bewohner*in von Happyland. Es wäre durchaus normal. Nicht, weil Du schlechter bist als Schwarze Menschen oder People of Color, sondern weil Du keine Notwendigkeit hattest, Dich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Weil Rassismus nichts mit Dir zu tun hatte. Happyland ist gemütlich. Selbstversichernd. Wenn Du dieses Buch gelesen hast, wirst Du – so meine Hoffnung – aus Happyland ausgezogen sein. Nicht, dass ich es Dir nicht gönne, es gemütlich zu haben. Im Gegenteil. Mein Problem mit Happyland ist: