Aus dem Paradies in den Albtraum

Abgeschobene Kosovaren kehren oft in eine unvorstellbare Armut zurück

Fast jeder abgeschobene Kosovare will wieder zurück, wenn er nur könnte. Deutschland sei das „Paradies“. Ein Land, in dem es Arbeit gibt und Gesetze eingehalten werden. In ihrer Heimat stehen die meisten Rückkehrer vor dem Nichts.

Was die Zukunft bringt? „Nur Gott weiß es“, sagt Baki Mutishi und hebt ratlos die Hände zum Himmel. Läuft es schlecht, verliert der 60-Jährige bald wieder sein zu Hause. Dann landet die achtköpfige Familie auf der Straße und muss sehen, wie sie ein neues Dach über den Kopf bekommt.

Ihr Vermieter will das unverputzte Haus in der Roma Marhalla, dem Romaviertel in der nordkosovarischen Stadt Mitrovica, verkaufen. „8.000 Euro will er dafür haben, völlig illusorisch für uns“, sagt Mutishis Tochter Jaldez in fließendem Deutsch. Die 26-Jährige ist die Einzige in der Familie mit einem regelmäßigen Einkommen. Als Mitausbilderin von Roma-Frauen zu Friseurinnen bei der Diakonie Kosova erhält sie monatlich 100 Euro.

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Der Vater ist arbeitslos, die Mutter schwer herzkrank und die beiden Brüder sammeln nach Kilopreis Plastikflaschen. An guten Tagen bringen sie drei Euro mit nach Hause, an schlechten weniger oder gar nichts. Ein Busticket kostet 50 Cent und die Lebensmittelpreise im Kosovo sind deutlich höher als in Deutschland.

Keine Krankenversicherung

Auch die Strompreise in dem Westbalkanland sind seit der Privatisierung des Energiesektors für arme Menschen kaum noch bezahlbar. Medizinische Versorgung gibt es nur gegen Bares. Eine Krankenversicherung hat das Land nicht.

Dabei hat die Familie Mutishi schon bessere Zeiten gehabt. Viele Jahre lebten sie als Asylbewerber in Böblingen. Die Eltern hatten Ein-Euro-Jobs, die Kinder gingen in die Schule, sie waren gut untergebracht. „Ich wollte nur arbeiten und Geld verdienen“, sagte der Vater. Dann kam vor drei Jahren die Abschiebung und sie strandeten in Mitrovica. Und standen vor dem Nichts.

Fensterscheiben sind zu teuer

Daran hat sich nichts geändert. Brauchen die Mutishis heute was zu essen, müssen sie im Laden anschreiben lassen. „Strom und Miete haben wir schon lange nicht bezahlt“, sagt Jaldez. Dafür reiche das Geld einfach nicht. Die Fenster des einstöckigen Hauses, in dem die Familie lebt, sind mit Folie abgeklebt. Glas ist zu teuer. Aus den Wänden ragen nackte Stromkabel. Vor dem Haus wühlen Hunde im Müll. In den Büschen hängen verschlissene Plastiktüten.

Es ist diese totale Perspektivlosigkeit, die Jaldez die Tränen in die Augen treiben, die Sorge um ihre Eltern, ihren achtjähriges Sohn Kevin, ihre Brüder, ihren anderthalbjährigen Neffen. „Wo sollen wir denn bloß hin?“, fragt sie verzweifelt.

1.000 Rückkehrerfamilien

Etwa 1.000 Rückkehrerfamilien, die aus Deutschland abgeschoben wurden und Unterstützung benötigen, hat die Diakonie Kosova in ihrer Kartei. Allen zu helfen, sei aber völlig unmöglich, sagt Driton Topxhiu, Koordinator des diakonischen Rückkehrerprojekts.

Seit der Balkanstaat als sicheres Herkunftsland gilt, gelten seine Bewohner als Wirtschaftsflüchtlinge ohne Chance auf Asyl. Etwa 5.000 wurden laut der deutschen Botschafterin Angelika Viets 2016 aus der Bundesrepublik „zurückgeführt“. Um ihnen vor Ort eine Perspektive zu bieten, werden Mittel aus dem mit der EU geschlossenen Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen bereitgestellt. Etwa 20.000 Arbeitsplätze seien so bereits entstanden, sagt Viets.

Paradies Deutschland

Die Realität sieht aber oft anders aus. Das Zuhause der fünfköpfigen Familie Kameri misst heute 16 Quadratmeter und ist eine feuchte Hütte in einem Dorf oberhalb von Mitrovica. Durch die drei Finger breiten Risse in den Wänden pfeift der kalte Wind. Das Wasser müssen sie vom Nachbarn holen, die Toilette ist ein 50 Meter entfernter Verschlag mit einem LKW-Reifen als Kloschüssel.

Um diesem Elend zu entkommen, machte sich die kosovarisch-albanische Familie vor zwei Jahren auf ins „Paradies Deutschland“, wie Vater Besim Kameri sagt. Zwei Jahre lebten sie in der Nähe von Koblenz, erst in einem Flüchtlingsheim, dann in einer eigenen Wohnung. Die Kinder gingen zu Schule, die Eltern machten sich in der Kommune nützlich. Dann kam die Abschiebung.

Starthilfe: Herd- und Holzofen

Und der Albtraum begann von vorn. Der 49-jährige Besim Kameri ist ungelernt und verdingt sich als Tagelöhner. Häufig wartet er vergeblich auf einen Job. Die 16-jährige deutschsprechende Tochter geht zwar noch zur Schule wie auch ihre Brüder, aber allein das Busgeld von zehn Euro monatlich überfordert das Budget der Familie.

Von Deutschland bekamen sie als Starthilfe einen eisernen Herd- und Holzofen geschenkt. Was die Familie eigentlich brauche, sei ein festes Haus, sagt der dortige Diakonie-Chef Bernd Baumgarten. Aber das kostet etwa 8.000 Euro.

„Ich habe geweint“

Auch für Ramadan und Emine Hazim war die erzwungene Rückkehr 2016 nach einem Jahr Asylverfahren in Erlangen ein Schock. „Ich habe geweint. Wir standen vor dem Nichts“, berichtet die 47-Jährige. Ihren Besitz hatte die vierköpfige Familie für die Bustickets nach Deutschland verkauft. Heute hat die Familie wieder eine Mietwohnung in einem Vorort der Hauptstadt Pristina und Emine mit Hilfe der Diakonie eine kleine Schneiderei aufgemacht. Ramadan geht ihr zu Hand.

Die ganze Hoffnung der Familie liegt auf Leonore. Die 23-jährige Tochter hat einen Deutschen geheiratet, den sie in Erlangen kennenlernte und wartet jetzt auf ihre Papiere. In Deutschland will sie studieren und ihre Eltern in der Heimat unterstützen. Und sie hat einen großen Traum: Teilnehmerin bei „Germanys Next Topmodel“. (epd/mig)